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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Tische, den Kopf in die Hand gestützt, und warf einen Blick auf die Eintretende, der jeden Anderen entmuthigt hätte. Justinen störte er nicht, allein eine Unordnung im Zimmer, eine unverzeihliche Nachlästigkeit des windigen Bedienten brachte sie doch aus ihrer Bahn. Mechanisch fing sie an, die herumliegenden Sachen wegzuräumen, bis sie sich auf einmal aus einer gebückten Stellung aufrichtete und mit bewegter Stimme sagte: Sie sitzen da, als wäre nichts geschehen, und haben doch das letzte bischen Glück und Ruhe eben aus dem Hause gejagt. Was soll denn die arme Mariane für einen Mann freien, wenn der nicht gut genug ist? Was ist denn an dem Herrn Hauptmann zu tadeln?

Woher wissen Sie, was in meinem Zimmer verhandelt wird? fragte Ellinger scharf.

Ei, auf rechtlichem Wege gewiß, antwortete Justine. Der Herr Hauptmann selbst hat es mir gesagt, er weiß, wie mein Herz an den Kindern hängt, wie lange ich schon zu Gott bitte, er möge dies Liebesband segnen. Grüßen Sie Marianen, Sie sind wie ihre Mutter! sagte er. O! er hat Recht, an meinem Herzen soll sie sich ausweinen. Was lange vergessen und verschmerzt ist, wird auf einmal lebendig, ich fühle meine Jugend wieder, mit allem Kummer, den keine Seele getheilt hat. Da waren auch Dornen, die Menschen gepflanzt hatten in ihrem Dünkel, und sie zerrißen mein Herz. Aber der Herr zählt die Thränen der Vergessenen, Verlassenen, die vielen, die ungesehen fließen. Was

Tische, den Kopf in die Hand gestützt, und warf einen Blick auf die Eintretende, der jeden Anderen entmuthigt hätte. Justinen störte er nicht, allein eine Unordnung im Zimmer, eine unverzeihliche Nachlästigkeit des windigen Bedienten brachte sie doch aus ihrer Bahn. Mechanisch fing sie an, die herumliegenden Sachen wegzuräumen, bis sie sich auf einmal aus einer gebückten Stellung aufrichtete und mit bewegter Stimme sagte: Sie sitzen da, als wäre nichts geschehen, und haben doch das letzte bischen Glück und Ruhe eben aus dem Hause gejagt. Was soll denn die arme Mariane für einen Mann freien, wenn der nicht gut genug ist? Was ist denn an dem Herrn Hauptmann zu tadeln?

Woher wissen Sie, was in meinem Zimmer verhandelt wird? fragte Ellinger scharf.

Ei, auf rechtlichem Wege gewiß, antwortete Justine. Der Herr Hauptmann selbst hat es mir gesagt, er weiß, wie mein Herz an den Kindern hängt, wie lange ich schon zu Gott bitte, er möge dies Liebesband segnen. Grüßen Sie Marianen, Sie sind wie ihre Mutter! sagte er. O! er hat Recht, an meinem Herzen soll sie sich ausweinen. Was lange vergessen und verschmerzt ist, wird auf einmal lebendig, ich fühle meine Jugend wieder, mit allem Kummer, den keine Seele getheilt hat. Da waren auch Dornen, die Menschen gepflanzt hatten in ihrem Dünkel, und sie zerrißen mein Herz. Aber der Herr zählt die Thränen der Vergessenen, Verlassenen, die vielen, die ungesehen fließen. Was

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/20>, abgerufen am 19.04.2024.