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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Königs sei; als sie es glauben mußte, weinte sie vor Freuden und sonnte sich sichtbar in seinen Strahlen. Ich bin nur ein schlechtes altes Mädchen, sagte sie, aber wenn ich den Junker Joachim nicht so treu gepflegt hätte, wäre er vielleicht jetzt kein großer General, und unser König hätte keinen Ziethen. Niemand weiß, was für kleine Tropfen ins Wasser fließen, ehe es ein breiter Strom wird. Kinderwärterinnen, sage ich, sind wichtiger in der Welt, als man glaubt. Die großthuenden Mannspersonen sehen uns über die Achsel an, aber ich sage: bedenkt nur, daß ihr einmal hülflos waret und eure geraden Gliedmaßen nächst Gott eurer Wärterin dankt. Mein General, segne ihn Gott, hat das immer erkannt.

Justine wurde nun die eifrigste Zeitungsleserin im Hause. Früher gab es für sie keine Lectüre, als das Gesangbuch und den Kalender, deßhalb ging das Lesen schwer von Statten, besonders die Kriegsberichte mit den vielen bedenklichen Namen und Ausdrücken. Mariane und Lottchen machten also die Vorleserinnen, zögerten sie aber einmal zu lange, so saß die Alte mit der Brille vor dem Blatte, verfolgte die Zeilen mit dem Finger und bewegte buchstabirend die Lippen; ein Anblick, über welchen die kleine Luise mit stolzer Ueberhebung lächelte. Größeres Vergnügen gaben ihr mündliche Kriegsberichte. Ein alter Bürger, ihr Gevatter, König Friedrichs warmer Anhänger, kam fast täglich, brachte ein gutes Prischen in ihre Dose und eine Menge wahrer und falscher

Königs sei; als sie es glauben mußte, weinte sie vor Freuden und sonnte sich sichtbar in seinen Strahlen. Ich bin nur ein schlechtes altes Mädchen, sagte sie, aber wenn ich den Junker Joachim nicht so treu gepflegt hätte, wäre er vielleicht jetzt kein großer General, und unser König hätte keinen Ziethen. Niemand weiß, was für kleine Tropfen ins Wasser fließen, ehe es ein breiter Strom wird. Kinderwärterinnen, sage ich, sind wichtiger in der Welt, als man glaubt. Die großthuenden Mannspersonen sehen uns über die Achsel an, aber ich sage: bedenkt nur, daß ihr einmal hülflos waret und eure geraden Gliedmaßen nächst Gott eurer Wärterin dankt. Mein General, segne ihn Gott, hat das immer erkannt.

Justine wurde nun die eifrigste Zeitungsleserin im Hause. Früher gab es für sie keine Lectüre, als das Gesangbuch und den Kalender, deßhalb ging das Lesen schwer von Statten, besonders die Kriegsberichte mit den vielen bedenklichen Namen und Ausdrücken. Mariane und Lottchen machten also die Vorleserinnen, zögerten sie aber einmal zu lange, so saß die Alte mit der Brille vor dem Blatte, verfolgte die Zeilen mit dem Finger und bewegte buchstabirend die Lippen; ein Anblick, über welchen die kleine Luise mit stolzer Ueberhebung lächelte. Größeres Vergnügen gaben ihr mündliche Kriegsberichte. Ein alter Bürger, ihr Gevatter, König Friedrichs warmer Anhänger, kam fast täglich, brachte ein gutes Prischen in ihre Dose und eine Menge wahrer und falscher

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[0014] Königs sei; als sie es glauben mußte, weinte sie vor Freuden und sonnte sich sichtbar in seinen Strahlen. Ich bin nur ein schlechtes altes Mädchen, sagte sie, aber wenn ich den Junker Joachim nicht so treu gepflegt hätte, wäre er vielleicht jetzt kein großer General, und unser König hätte keinen Ziethen. Niemand weiß, was für kleine Tropfen ins Wasser fließen, ehe es ein breiter Strom wird. Kinderwärterinnen, sage ich, sind wichtiger in der Welt, als man glaubt. Die großthuenden Mannspersonen sehen uns über die Achsel an, aber ich sage: bedenkt nur, daß ihr einmal hülflos waret und eure geraden Gliedmaßen nächst Gott eurer Wärterin dankt. Mein General, segne ihn Gott, hat das immer erkannt. Justine wurde nun die eifrigste Zeitungsleserin im Hause. Früher gab es für sie keine Lectüre, als das Gesangbuch und den Kalender, deßhalb ging das Lesen schwer von Statten, besonders die Kriegsberichte mit den vielen bedenklichen Namen und Ausdrücken. Mariane und Lottchen machten also die Vorleserinnen, zögerten sie aber einmal zu lange, so saß die Alte mit der Brille vor dem Blatte, verfolgte die Zeilen mit dem Finger und bewegte buchstabirend die Lippen; ein Anblick, über welchen die kleine Luise mit stolzer Ueberhebung lächelte. Größeres Vergnügen gaben ihr mündliche Kriegsberichte. Ein alter Bürger, ihr Gevatter, König Friedrichs warmer Anhänger, kam fast täglich, brachte ein gutes Prischen in ihre Dose und eine Menge wahrer und falscher

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/14>, abgerufen am 29.03.2024.