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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Erstes Buch
[Spaltenumbruch] gerlich Gesetze machen: daß Segesthes nicht
der Thußnelden Vater bleibe. Jch heische
Recht/ heiliger Libys/ und ich beziehe mich auff
das Recht der Kinder hiesigen Landes/ welche
für die Eltern auch wider ihren Willen ster-
ben können. Mit diesen Worten sanck sie für
dem einen Opffer-Tische zu Boden/ und nach
dem sie dreymahl geruffen hatte: Schlachtet die
für ihren Vater willig sterbende Tochter; sahe
sie alle Umstehende ringsum mit starren Augen
an/ gleich ob sie aus eines iedem Antlitze das in-
nerste seines Gemüths lesen wolte. Libys verlohr
vewundernde hierüber Puls und Sprache; Der
unbarmhertzige Ganasch ward zu inniglichem
Mitleiden bewogen; Jhr Bruder Sieges-
mund erstarrte wie ein Stein/ Segesthes sanck
ohnmächtig zur Erden/ alle Umstehenden seuff-
zeten; Hertzog Herrmann ward von der Liebe
und dem Mitleiden so empfindlich berühret/
daß er seine Hertzhafftigkeit viel zu schwach hielt
diesem Trauerspiele ohne seine selbst eigne Ver-
liehrung zuzusehen/ und womit die bey den
Deutschen verächtliche Wehmuth ihm nicht bey
dem anwesenden Pöfel ein verkleinerliches Ur-
thel zuziehen möchte/ verhüllete er sein Antlitz/
gleich als ob diese Begebenheit ihm mehr als
dem leiblichen Vater zu Hertzen ginge/ und er
schwerer als vor zeiten Agamemnon der Opffe-
rung dieser andern Jphigenia zusehen könte.
Ja er stand schon auff verwandtem Fusse/ um
sich dieser unerträglichen Bekümmerniß zu ent-
brechen/ als ihn ein heftiger Hall des schreyenden
Volcks/ seine Enteusserung zu hemmen/ und sein
Gesichte zu eröffnen nöthigte. Da er denn wahr-
nahm/ daß die an ihrer Auffopfferung zu zweif-
ffeln anfangende Thußnelde auffgesprungen
war/ und sich dem erstarrten Libys das Schlacht-
messer aus der Hand zu winden bemühete. Jhr
Götter! rieff er/ und sprang zwischen sie und
den Priester/ um mit der Ausreissung des
Messers auch ihre selbsthändige Hinrichtung
zu verhindern. Unbarmhertziger Herrmann!
sprach sie/ und blickte ihn mit gantz gebrochenen
[Spaltenumbruch] Augen/ aus welchen Tod und Wehmuth selbst
zu sehen schien/ an/ daß es einen Stein hätte
erbarmen mögen. Unbarmhertziger Herr-
mann! fuhr sie fort/ ist diß das schöne Kennzei-
chen der mir mehrmahls so hoch betheurten
Liebe? Mißgönnestu mir für meine beständige
Zuneigung den Tod/ oder die Ehre für den
Vater zu sterben? Jenes verwehren einem
auch die Feinde nicht; dieses aber kan mir die
Unsterbligkeit erwerben. Holdselige Thuß-
nelde/ fing der Feldherr gegen sie an/ soll der
nicht den Streich von deiner Brust abwen-
den/ welcher ihm zugleich durch seine Seele
gehen würde? Was würde dir mit einer eiteln
Unsterbligkeit des Nachruhms gedienet seyn/
welche mich zu Grabe schicken/ und nebst mei-
nem Ruhme mein gantzes Wesen vertilgen wür-
de? Soll ich denn aber/ fuhr sie heraus/ meinen
Vater so verächtlich in Wind schlagen und so
schimpfflich umkommen lassen? Soll ich das
mit Purpur-Tinte in mein Hertz und Adern
geschriebene Gesetze der Natur ausleschen/
und die eingepflantzte Wärme der Liebe durch
kalten Undanck erstecken? Hertzog Herrmann
sahe hierauff den Priester Libys schmertzhafft
an/ gleich als ob er von ihm ein Hülffsmittel er-
bitten wolte/ welcher von seiner Bestürtzung sich
noch kaum erholen konte. Nach einem langen
Stillschweigen fing er als wie aus einer Entzü-
ckung an: O allerweiseste Gottheit! wie wer-
den doch der Scharffsichtigsten Augen verdü-
stert/ wenn sie in die Sonne deiner unerforsch-
lichen Versehung schauen wollen! Welch ein
alberer Schluß komt heraus/ wenn unser thö-
richtes Urthel die Schickungen des Verhäng-
nisses sich zu meistern unterwindet/ und mit
dem Pöfel diß oder jenes für gut oder böse/ für
Glück oder Unglück hält/ was in seinem We-
sen und Ausgange nicht so beschaffen ist/ als es
eusserlich unserm blöden Verstande fürkömmt.
Welcher unter uns glaubte nicht/ daß Segesthes
in das tieffste Elend verfallen/ Thußnelde in den
mitleidentlichsten Zustand gerathen wäre? Un-

sere

Erſtes Buch
[Spaltenumbruch] gerlich Geſetze machen: daß Segeſthes nicht
der Thußnelden Vater bleibe. Jch heiſche
Recht/ heiliger Libys/ und ich beziehe mich auff
das Recht der Kinder hieſigen Landes/ welche
fuͤr die Eltern auch wider ihren Willen ſter-
ben koͤnnen. Mit dieſen Worten ſanck ſie fuͤr
dem einen Opffer-Tiſche zu Boden/ und nach
dem ſie dreymahl geruffen hatte: Schlachtet die
fuͤr ihren Vater willig ſterbende Tochter; ſahe
ſie alle Umſtehende ringsum mit ſtarren Augen
an/ gleich ob ſie aus eines iedem Antlitze das in-
nerſte ſeines Gemuͤths leſen wolte. Libys verlohꝛ
vewundernde hieruͤber Puls und Sprache; Der
unbarmhertzige Ganaſch ward zu inniglichem
Mitleiden bewogen; Jhr Bruder Sieges-
mund erſtarrte wie ein Stein/ Segeſthes ſanck
ohnmaͤchtig zur Erden/ alle Umſtehenden ſeuff-
zeten; Hertzog Herrmann ward von der Liebe
und dem Mitleiden ſo empfindlich beruͤhret/
daß er ſeine Hertzhafftigkeit viel zu ſchwach hielt
dieſem Trauerſpiele ohne ſeine ſelbſt eigne Ver-
liehrung zuzuſehen/ und womit die bey den
Deutſchen veraͤchtliche Wehmuth ihm nicht bey
dem anweſenden Poͤfel ein verkleinerliches Ur-
thel zuziehen moͤchte/ verhuͤllete er ſein Antlitz/
gleich als ob dieſe Begebenheit ihm mehr als
dem leiblichen Vater zu Hertzen ginge/ und er
ſchwerer als vor zeiten Agamemnon der Opffe-
rung dieſer andern Jphigenia zuſehen koͤnte.
Ja er ſtand ſchon auff verwandtem Fuſſe/ um
ſich dieſer unertraͤglichen Bekuͤmmerniß zu ent-
brechen/ als ihn ein heftiger Hall des ſchꝛeyenden
Volcks/ ſeine Enteuſſeꝛung zu hemmen/ und ſein
Geſichte zu eroͤffnen noͤthigte. Da er denn wahꝛ-
nahm/ daß die an ihrer Auffopfferung zu zweif-
ffeln anfangende Thußnelde auffgeſprungen
war/ und ſich dem erſtarꝛten Libys das Schlacht-
meſſer aus der Hand zu winden bemuͤhete. Jhr
Goͤtter! rieff er/ und ſprang zwiſchen ſie und
den Prieſter/ um mit der Ausreiſſung des
Meſſers auch ihre ſelbſthaͤndige Hinrichtung
zu verhindern. Unbarmhertziger Herrmann!
ſprach ſie/ und blickte ihn mit gantz gebrochenen
[Spaltenumbruch] Augen/ aus welchen Tod und Wehmuth ſelbſt
zu ſehen ſchien/ an/ daß es einen Stein haͤtte
erbarmen moͤgen. Unbarmhertziger Herr-
mann! fuhr ſie fort/ iſt diß das ſchoͤne Kennzei-
chen der mir mehrmahls ſo hoch betheurten
Liebe? Mißgoͤnneſtu mir fuͤr meine beſtaͤndige
Zuneigung den Tod/ oder die Ehre fuͤr den
Vater zu ſterben? Jenes verwehren einem
auch die Feinde nicht; dieſes aber kan mir die
Unſterbligkeit erwerben. Holdſelige Thuß-
nelde/ fing der Feldherr gegen ſie an/ ſoll der
nicht den Streich von deiner Bruſt abwen-
den/ welcher ihm zugleich durch ſeine Seele
gehen wuͤrde? Was wuͤrde dir mit einer eiteln
Unſterbligkeit des Nachruhms gedienet ſeyn/
welche mich zu Grabe ſchicken/ und nebſt mei-
nem Ruhme mein gantzes Weſen vertilgen wuͤꝛ-
de? Soll ich denn aber/ fuhr ſie heraus/ meinen
Vater ſo veraͤchtlich in Wind ſchlagen und ſo
ſchimpfflich umkommen laſſen? Soll ich das
mit Purpur-Tinte in mein Hertz und Adern
geſchriebene Geſetze der Natur ausleſchen/
und die eingepflantzte Waͤrme der Liebe durch
kalten Undanck erſtecken? Hertzog Herrmann
ſahe hierauff den Prieſter Libys ſchmertzhafft
an/ gleich als ob er von ihm ein Huͤlffsmittel er-
bitten wolte/ welcher von ſeiner Beſtuͤrtzung ſich
noch kaum erholen konte. Nach einem langen
Stillſchweigen fing er als wie aus einer Entzuͤ-
ckung an: O allerweiſeſte Gottheit! wie wer-
den doch der Scharffſichtigſten Augen verduͤ-
ſtert/ wenn ſie in die Sonne deiner unerforſch-
lichen Verſehung ſchauen wollen! Welch ein
alberer Schluß komt heraus/ wenn unſer thoͤ-
richtes Urthel die Schickungen des Verhaͤng-
niſſes ſich zu meiſtern unterwindet/ und mit
dem Poͤfel diß oder jenes fuͤr gut oder boͤſe/ fuͤr
Gluͤck oder Ungluͤck haͤlt/ was in ſeinem We-
ſen und Ausgange nicht ſo beſchaffen iſt/ als es
euſſerlich unſerm bloͤden Verſtande fuͤrkoͤmmt.
Welcher unter uns glaubte nicht/ daß Segeſthes
in das tieffſte Elend verfallen/ Thußnelde in den
mitleidentlichſten Zuſtand gerathen waͤre? Un-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/126>, abgerufen am 25.04.2024.