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Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910.

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spielten. Die Bursenvorsteher leisteten in der Überwachung der Scholaren nicht, was ihnen zukam; sie gestatteten aus Gewinnsucht ihren Pensionären, um sich dieselben möglichst zu erhalten, die größten Freiheiten und ließen jede Ungebühr passieren. So kam es, daß die Bursen allgemach einen geradezu verderblichen Einfluß auf das studentische Leben ausübten, und man beispielsweise das Collegium illustre in Tübingen eine Wohnung des Lasters und Müßiggangs nannte. Im 16. Jahrhundert verschwanden unter dem Einflusse der Reformation und des aufblühenden Humanismus die Bursen, die sich offenbar überlebt hatten. An den neugegründeten protestantischen Universitäten verzichtete man auf die Schaffung dieser Anstalten, und an den älteren wurden sie mehr und mehr aufgegeben. Die Studierenden nahmen zumeist bei Professoren eine Art Pension und erlangten das, was man die akademische Freiheit nannte. Allein der Gebrauch, den sie von dieser Freiheit machten, war in manchen Beziehungen, namentlich auch in bezug auf die Trinkgewohnheiten, kein sehr erfreulicher.

Man darf, wenn man das studentische Leben jener Zeit richtig würdigen will, nicht außer acht lassen, daß die Kultur der Gesamtbevölkerung Deutschlands damals noch sehr tief stand. Die Sitten waren roh, die Neigung zum Trinken, das Erbübel der germanischen Rasse, machte sich namentlich in Norddeutschland in ungezügelter Weise geltend, und Luther hatte wohl recht, wenn er den Ausspruch tat, daß derjenige, der das Bierbrauen erfand, ille fuit pestis Germaniae.

An einer besseren, gebildeten Gesellschaft, der sich die Studenten hätten anschließen können, mangelte es noch gänzlich, und so begreift es sich, daß die Studenten, die auf sich angewiesen waren, in ihren Sitten sehr verwilderten und sich dies insbesonders im Konsum geistiger Getränke äußerte. Während aber anfänglich jeder im Trinken seiner Neigung folgen konnte, trat schon im 16. und noch mehr im 17. Jahrhundert in den studentischen Trinkgebräuchen eine folgenschwere Änderung ein, deren Überreste noch heutzutage nicht überwunden sind. Es entwickelten sich gewisse Trinkmanieren, die sich zu einer Art Zechgesetz, einem Trink- oder Saufkomment ausbildeten, der in der Folge die geselligen Zusammenkünfte der Studenten beherrschte. Hiebei spielte das Zutrinken und Volltrinken eine solche Rolle, daß weltliche und geistliche Fürsten, sowie die akademischen Obrigkeiten Mandate dagegen erließen, was jedoch dem Unwesen wenig Einhalt tat.

Die älteste der Urkunden, die wir über die studentischen Trinkkomments besitzen, bildet das Jus potandi des Blasius Multibibus vom Jahre 1616. Darnach trank man schon damals "totales und partiales",

spielten. Die Bursenvorsteher leisteten in der Überwachung der Scholaren nicht, was ihnen zukam; sie gestatteten aus Gewinnsucht ihren Pensionären, um sich dieselben möglichst zu erhalten, die größten Freiheiten und ließen jede Ungebühr passieren. So kam es, daß die Bursen allgemach einen geradezu verderblichen Einfluß auf das studentische Leben ausübten, und man beispielsweise das Collegium illustre in Tübingen eine Wohnung des Lasters und Müßiggangs nannte. Im 16. Jahrhundert verschwanden unter dem Einflusse der Reformation und des aufblühenden Humanismus die Bursen, die sich offenbar überlebt hatten. An den neugegründeten protestantischen Universitäten verzichtete man auf die Schaffung dieser Anstalten, und an den älteren wurden sie mehr und mehr aufgegeben. Die Studierenden nahmen zumeist bei Professoren eine Art Pension und erlangten das, was man die akademische Freiheit nannte. Allein der Gebrauch, den sie von dieser Freiheit machten, war in manchen Beziehungen, namentlich auch in bezug auf die Trinkgewohnheiten, kein sehr erfreulicher.

Man darf, wenn man das studentische Leben jener Zeit richtig würdigen will, nicht außer acht lassen, daß die Kultur der Gesamtbevölkerung Deutschlands damals noch sehr tief stand. Die Sitten waren roh, die Neigung zum Trinken, das Erbübel der germanischen Rasse, machte sich namentlich in Norddeutschland in ungezügelter Weise geltend, und Luther hatte wohl recht, wenn er den Ausspruch tat, daß derjenige, der das Bierbrauen erfand, ille fuit pestis Germaniae.

An einer besseren, gebildeten Gesellschaft, der sich die Studenten hätten anschließen können, mangelte es noch gänzlich, und so begreift es sich, daß die Studenten, die auf sich angewiesen waren, in ihren Sitten sehr verwilderten und sich dies insbesonders im Konsum geistiger Getränke äußerte. Während aber anfänglich jeder im Trinken seiner Neigung folgen konnte, trat schon im 16. und noch mehr im 17. Jahrhundert in den studentischen Trinkgebräuchen eine folgenschwere Änderung ein, deren Überreste noch heutzutage nicht überwunden sind. Es entwickelten sich gewisse Trinkmanieren, die sich zu einer Art Zechgesetz, einem Trink- oder Saufkomment ausbildeten, der in der Folge die geselligen Zusammenkünfte der Studenten beherrschte. Hiebei spielte das Zutrinken und Volltrinken eine solche Rolle, daß weltliche und geistliche Fürsten, sowie die akademischen Obrigkeiten Mandate dagegen erließen, was jedoch dem Unwesen wenig Einhalt tat.

Die älteste der Urkunden, die wir über die studentischen Trinkkomments besitzen, bildet das Jus potandi des Blasius Multibibus vom Jahre 1616. Darnach trank man schon damals „totales und partiales“,

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[5/0007] spielten. Die Bursenvorsteher leisteten in der Überwachung der Scholaren nicht, was ihnen zukam; sie gestatteten aus Gewinnsucht ihren Pensionären, um sich dieselben möglichst zu erhalten, die größten Freiheiten und ließen jede Ungebühr passieren. So kam es, daß die Bursen allgemach einen geradezu verderblichen Einfluß auf das studentische Leben ausübten, und man beispielsweise das Collegium illustre in Tübingen eine Wohnung des Lasters und Müßiggangs nannte. Im 16. Jahrhundert verschwanden unter dem Einflusse der Reformation und des aufblühenden Humanismus die Bursen, die sich offenbar überlebt hatten. An den neugegründeten protestantischen Universitäten verzichtete man auf die Schaffung dieser Anstalten, und an den älteren wurden sie mehr und mehr aufgegeben. Die Studierenden nahmen zumeist bei Professoren eine Art Pension und erlangten das, was man die akademische Freiheit nannte. Allein der Gebrauch, den sie von dieser Freiheit machten, war in manchen Beziehungen, namentlich auch in bezug auf die Trinkgewohnheiten, kein sehr erfreulicher. Man darf, wenn man das studentische Leben jener Zeit richtig würdigen will, nicht außer acht lassen, daß die Kultur der Gesamtbevölkerung Deutschlands damals noch sehr tief stand. Die Sitten waren roh, die Neigung zum Trinken, das Erbübel der germanischen Rasse, machte sich namentlich in Norddeutschland in ungezügelter Weise geltend, und Luther hatte wohl recht, wenn er den Ausspruch tat, daß derjenige, der das Bierbrauen erfand, ille fuit pestis Germaniae. An einer besseren, gebildeten Gesellschaft, der sich die Studenten hätten anschließen können, mangelte es noch gänzlich, und so begreift es sich, daß die Studenten, die auf sich angewiesen waren, in ihren Sitten sehr verwilderten und sich dies insbesonders im Konsum geistiger Getränke äußerte. Während aber anfänglich jeder im Trinken seiner Neigung folgen konnte, trat schon im 16. und noch mehr im 17. Jahrhundert in den studentischen Trinkgebräuchen eine folgenschwere Änderung ein, deren Überreste noch heutzutage nicht überwunden sind. Es entwickelten sich gewisse Trinkmanieren, die sich zu einer Art Zechgesetz, einem Trink- oder Saufkomment ausbildeten, der in der Folge die geselligen Zusammenkünfte der Studenten beherrschte. Hiebei spielte das Zutrinken und Volltrinken eine solche Rolle, daß weltliche und geistliche Fürsten, sowie die akademischen Obrigkeiten Mandate dagegen erließen, was jedoch dem Unwesen wenig Einhalt tat. Die älteste der Urkunden, die wir über die studentischen Trinkkomments besitzen, bildet das Jus potandi des Blasius Multibibus vom Jahre 1616. Darnach trank man schon damals „totales und partiales“,

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Zitationshilfe: Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loewenfeld_student_1910/7>, abgerufen am 23.04.2024.