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Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910.

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Temperance (Abstinenten) 7,48 Wochen, bei nicht abstinenten Kassenmitgliedern 24,68 bis 27,66 Wochen. Diese Zahlen sprechen sehr deutlich, und der Hinweis auf die Hochbetagten, die täglich ein gewisses Bier- oder Weinquantum zu sich nehmen, wird dadurch der Beweiskraft bezüglich der Unschädlichkeit mäßigen Alkoholgenusses völlig beraubt. Die Betreffenden sind eben Individuen, die entweder eine ungewöhnliche Resistenz gegen die Alkoholwirkung oder, was wahrscheinlicher ist, überhaupt eine ungewöhnlich robuste Konstitution besitzen, und aus ihrem Verhalten läßt sich daher keine Folgerung für den Durchschnitt ziehen.

Was nun den Einfluß des Alkohols auf die Arbeitskraft der geistig Höchststehenden betrifft, so gibt man sich einer Täuschung hin, wenn man denselben für völlig irrelevant hält. Eine gewiß in dieser Sache kompetente Persönlichkeit, Altmeister Goethe, hat uns in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise darüber belehrt, daß auch bei den größten Geistern der nachteilige Einfluß des Alkohols auf die Arbeitskraft ähnlich wie beim Durchschnittsmenschen sich äußert. In seinen Tagebüchern vom Jahre 1779 (Goethe war damals 30 Jahre alt), ist bemerkt: "Seit drei Tagen keinen Wein. Man könnte noch mehr, ja das Unglaubliche leisten, wenn man mäßiger wäre." Und an einer anderen Stelle: "Wenn ich den Wein abschaffen könnte, wäre ich glücklich. Ich trinke fast keinen Wein mehr und gewinne fast täglich mehr Blick und Geschick zum tätigen Leben."

Interessant ist auch, was er 1808 an seinen damals in Heidelberg studierenden Sohn August schrieb: "Es ist mir lieb, zu hören, daß Du Dich auch vor dem so sehr zur Gewohnheit gewordenen Getränk (dem Wein) in Acht nimmst, das mehr, als man glaubt, einem besonnenen, heiteren und tätigen Leben entgegen wirkt."

Und Bismarck, der große Kanzler, hat nach Moritz Busch über das Bier sich dahin geäußert, daß es dumm, faul und impotent macht.

Daneben darf nicht außer acht gelassen werden, daß auch manche große Geister, Dichter, bildende Künstler, Komponisten, durch Alkoholexzesse nicht nur ihre Schaffenskraft geschmälert, sondern sich geradezu geistig und körperlich ruiniert und ihr Leben verkürzt haben.

Wir haben in Deutschland in den letzten Jahren wieder einige recht traurige Beispiele dieser Art erlebt, die Männer betrafen, deren frühzeitiger Heimgang von allen Gebildeten bedauert wurde und unserer Nation sicher erspart geblieben wäre, wenn die Betreffenden ihre Neigung für die feuchtfröhliche Geselligkeit besser gezügelt hätten.

Temperance (Abstinenten) 7,48 Wochen, bei nicht abstinenten Kassenmitgliedern 24,68 bis 27,66 Wochen. Diese Zahlen sprechen sehr deutlich, und der Hinweis auf die Hochbetagten, die täglich ein gewisses Bier- oder Weinquantum zu sich nehmen, wird dadurch der Beweiskraft bezüglich der Unschädlichkeit mäßigen Alkoholgenusses völlig beraubt. Die Betreffenden sind eben Individuen, die entweder eine ungewöhnliche Resistenz gegen die Alkoholwirkung oder, was wahrscheinlicher ist, überhaupt eine ungewöhnlich robuste Konstitution besitzen, und aus ihrem Verhalten läßt sich daher keine Folgerung für den Durchschnitt ziehen.

Was nun den Einfluß des Alkohols auf die Arbeitskraft der geistig Höchststehenden betrifft, so gibt man sich einer Täuschung hin, wenn man denselben für völlig irrelevant hält. Eine gewiß in dieser Sache kompetente Persönlichkeit, Altmeister Goethe, hat uns in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise darüber belehrt, daß auch bei den größten Geistern der nachteilige Einfluß des Alkohols auf die Arbeitskraft ähnlich wie beim Durchschnittsmenschen sich äußert. In seinen Tagebüchern vom Jahre 1779 (Goethe war damals 30 Jahre alt), ist bemerkt: „Seit drei Tagen keinen Wein. Man könnte noch mehr, ja das Unglaubliche leisten, wenn man mäßiger wäre.“ Und an einer anderen Stelle: „Wenn ich den Wein abschaffen könnte, wäre ich glücklich. Ich trinke fast keinen Wein mehr und gewinne fast täglich mehr Blick und Geschick zum tätigen Leben.“

Interessant ist auch, was er 1808 an seinen damals in Heidelberg studierenden Sohn August schrieb: „Es ist mir lieb, zu hören, daß Du Dich auch vor dem so sehr zur Gewohnheit gewordenen Getränk (dem Wein) in Acht nimmst, das mehr, als man glaubt, einem besonnenen, heiteren und tätigen Leben entgegen wirkt.“

Und Bismarck, der große Kanzler, hat nach Moritz Busch über das Bier sich dahin geäußert, daß es dumm, faul und impotent macht.

Daneben darf nicht außer acht gelassen werden, daß auch manche große Geister, Dichter, bildende Künstler, Komponisten, durch Alkoholexzesse nicht nur ihre Schaffenskraft geschmälert, sondern sich geradezu geistig und körperlich ruiniert und ihr Leben verkürzt haben.

Wir haben in Deutschland in den letzten Jahren wieder einige recht traurige Beispiele dieser Art erlebt, die Männer betrafen, deren frühzeitiger Heimgang von allen Gebildeten bedauert wurde und unserer Nation sicher erspart geblieben wäre, wenn die Betreffenden ihre Neigung für die feuchtfröhliche Geselligkeit besser gezügelt hätten.

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        <p>Was nun den Einfluß des Alkohols auf die Arbeitskraft der geistig Höchststehenden betrifft, so gibt man sich einer Täuschung hin, wenn man denselben für völlig irrelevant hält. Eine gewiß in dieser Sache kompetente Persönlichkeit, Altmeister Goethe, hat uns in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise darüber belehrt, daß auch bei den größten Geistern der nachteilige Einfluß des Alkohols auf die Arbeitskraft ähnlich wie beim Durchschnittsmenschen sich äußert. In seinen Tagebüchern vom Jahre 1779 (Goethe war damals 30 Jahre alt), ist bemerkt: &#x201E;Seit drei Tagen keinen Wein. Man könnte noch mehr, ja das Unglaubliche leisten, wenn man mäßiger wäre.&#x201C; Und an einer anderen Stelle: &#x201E;Wenn ich den Wein abschaffen könnte, wäre ich glücklich. Ich trinke fast keinen Wein mehr und gewinne fast täglich mehr Blick und Geschick zum tätigen Leben.&#x201C;</p>
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[19/0021] Temperance (Abstinenten) 7,48 Wochen, bei nicht abstinenten Kassenmitgliedern 24,68 bis 27,66 Wochen. Diese Zahlen sprechen sehr deutlich, und der Hinweis auf die Hochbetagten, die täglich ein gewisses Bier- oder Weinquantum zu sich nehmen, wird dadurch der Beweiskraft bezüglich der Unschädlichkeit mäßigen Alkoholgenusses völlig beraubt. Die Betreffenden sind eben Individuen, die entweder eine ungewöhnliche Resistenz gegen die Alkoholwirkung oder, was wahrscheinlicher ist, überhaupt eine ungewöhnlich robuste Konstitution besitzen, und aus ihrem Verhalten läßt sich daher keine Folgerung für den Durchschnitt ziehen. Was nun den Einfluß des Alkohols auf die Arbeitskraft der geistig Höchststehenden betrifft, so gibt man sich einer Täuschung hin, wenn man denselben für völlig irrelevant hält. Eine gewiß in dieser Sache kompetente Persönlichkeit, Altmeister Goethe, hat uns in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise darüber belehrt, daß auch bei den größten Geistern der nachteilige Einfluß des Alkohols auf die Arbeitskraft ähnlich wie beim Durchschnittsmenschen sich äußert. In seinen Tagebüchern vom Jahre 1779 (Goethe war damals 30 Jahre alt), ist bemerkt: „Seit drei Tagen keinen Wein. Man könnte noch mehr, ja das Unglaubliche leisten, wenn man mäßiger wäre.“ Und an einer anderen Stelle: „Wenn ich den Wein abschaffen könnte, wäre ich glücklich. Ich trinke fast keinen Wein mehr und gewinne fast täglich mehr Blick und Geschick zum tätigen Leben.“ Interessant ist auch, was er 1808 an seinen damals in Heidelberg studierenden Sohn August schrieb: „Es ist mir lieb, zu hören, daß Du Dich auch vor dem so sehr zur Gewohnheit gewordenen Getränk (dem Wein) in Acht nimmst, das mehr, als man glaubt, einem besonnenen, heiteren und tätigen Leben entgegen wirkt.“ Und Bismarck, der große Kanzler, hat nach Moritz Busch über das Bier sich dahin geäußert, daß es dumm, faul und impotent macht. Daneben darf nicht außer acht gelassen werden, daß auch manche große Geister, Dichter, bildende Künstler, Komponisten, durch Alkoholexzesse nicht nur ihre Schaffenskraft geschmälert, sondern sich geradezu geistig und körperlich ruiniert und ihr Leben verkürzt haben. Wir haben in Deutschland in den letzten Jahren wieder einige recht traurige Beispiele dieser Art erlebt, die Männer betrafen, deren frühzeitiger Heimgang von allen Gebildeten bedauert wurde und unserer Nation sicher erspart geblieben wäre, wenn die Betreffenden ihre Neigung für die feuchtfröhliche Geselligkeit besser gezügelt hätten.

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Zitationshilfe: Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loewenfeld_student_1910/21>, abgerufen am 25.04.2024.