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Löhe, Wilhelm: Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau. Nürnberg, 1870.

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Blödenanstalt auftreten mußte. Diaconissenanstalt und Blödenanstalt sind so disparate Dinge, daß nicht die geringste Nöthigung vorhanden ist, sondern daß es rein zufällig ist, wenn sie in einem Odem zusammen ausgesprochen oder zugleich mit einander in Absicht genommen werden. Der Blöde ist einer von den tausend und aber tausenden Leidenden, für die man nach dem Sinne des Herrn arbeiten und leiden darf. Aber er ist es nicht mehr, als andere, und wenn man zuweilen die Blöden die elendsten unter den Elenden genannt hat, so gehört das unter die rhetorischen Uebertreibungen einer Sache: man kann sich an sie gewöhnen, man kann sie schön finden, aber man kann ebenso gut gegen als für sie reden. Am Schluße des Krieges 1866, da die Heere heimwärts zogen, kam einmal eine Abtheilung bayerischer Soldaten für einen Tag nach Dettelsau und wurden hier einquartiert. Alles interessirte sie, aber nichts so sehr als die Blöden. Den ganzen Tag war das Blödenhaus umlagert, so sehr, daß man eine Weile meinen konnte, es würde gestürmt, eine so große Theilnahme fanden die armen Blöden. Ein Trupp der Leute begegneten gerührt und mit Zähren dem Pfarrer und meinten, sie wollten sich doch lieber von den Preußen todtschießen laßen als blöde sein. In der That konnte man glauben, daß die Soldaten auch den Gedanken hatten, daß die Blöden unter den Elenden die Elendsten seien. Und doch ist es so gar häufig, daß diese Elenden als besonders glückliche Menschen aufgefaßt werden. Wer sie mit einander leben und umgehen sieht, der kann sich zuweilen nicht genug darüber verwundern, wie schnell sie sich an einander und zusammen gewöhnen, wie glücklich sie unter einander sind, und wie fröhlich sie Himmel und Erde anlacht. Ich der mich zwar nicht rühmen kann, dem Chore der Blöden besonders nahe zu stehen, der ich aber seit dem Anfange des

Blödenanstalt auftreten mußte. Diaconissenanstalt und Blödenanstalt sind so disparate Dinge, daß nicht die geringste Nöthigung vorhanden ist, sondern daß es rein zufällig ist, wenn sie in einem Odem zusammen ausgesprochen oder zugleich mit einander in Absicht genommen werden. Der Blöde ist einer von den tausend und aber tausenden Leidenden, für die man nach dem Sinne des Herrn arbeiten und leiden darf. Aber er ist es nicht mehr, als andere, und wenn man zuweilen die Blöden die elendsten unter den Elenden genannt hat, so gehört das unter die rhetorischen Uebertreibungen einer Sache: man kann sich an sie gewöhnen, man kann sie schön finden, aber man kann ebenso gut gegen als für sie reden. Am Schluße des Krieges 1866, da die Heere heimwärts zogen, kam einmal eine Abtheilung bayerischer Soldaten für einen Tag nach Dettelsau und wurden hier einquartiert. Alles interessirte sie, aber nichts so sehr als die Blöden. Den ganzen Tag war das Blödenhaus umlagert, so sehr, daß man eine Weile meinen konnte, es würde gestürmt, eine so große Theilnahme fanden die armen Blöden. Ein Trupp der Leute begegneten gerührt und mit Zähren dem Pfarrer und meinten, sie wollten sich doch lieber von den Preußen todtschießen laßen als blöde sein. In der That konnte man glauben, daß die Soldaten auch den Gedanken hatten, daß die Blöden unter den Elenden die Elendsten seien. Und doch ist es so gar häufig, daß diese Elenden als besonders glückliche Menschen aufgefaßt werden. Wer sie mit einander leben und umgehen sieht, der kann sich zuweilen nicht genug darüber verwundern, wie schnell sie sich an einander und zusammen gewöhnen, wie glücklich sie unter einander sind, und wie fröhlich sie Himmel und Erde anlacht. Ich der mich zwar nicht rühmen kann, dem Chore der Blöden besonders nahe zu stehen, der ich aber seit dem Anfange des

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[95/0095] Blödenanstalt auftreten mußte. Diaconissenanstalt und Blödenanstalt sind so disparate Dinge, daß nicht die geringste Nöthigung vorhanden ist, sondern daß es rein zufällig ist, wenn sie in einem Odem zusammen ausgesprochen oder zugleich mit einander in Absicht genommen werden. Der Blöde ist einer von den tausend und aber tausenden Leidenden, für die man nach dem Sinne des Herrn arbeiten und leiden darf. Aber er ist es nicht mehr, als andere, und wenn man zuweilen die Blöden die elendsten unter den Elenden genannt hat, so gehört das unter die rhetorischen Uebertreibungen einer Sache: man kann sich an sie gewöhnen, man kann sie schön finden, aber man kann ebenso gut gegen als für sie reden. Am Schluße des Krieges 1866, da die Heere heimwärts zogen, kam einmal eine Abtheilung bayerischer Soldaten für einen Tag nach Dettelsau und wurden hier einquartiert. Alles interessirte sie, aber nichts so sehr als die Blöden. Den ganzen Tag war das Blödenhaus umlagert, so sehr, daß man eine Weile meinen konnte, es würde gestürmt, eine so große Theilnahme fanden die armen Blöden. Ein Trupp der Leute begegneten gerührt und mit Zähren dem Pfarrer und meinten, sie wollten sich doch lieber von den Preußen todtschießen laßen als blöde sein. In der That konnte man glauben, daß die Soldaten auch den Gedanken hatten, daß die Blöden unter den Elenden die Elendsten seien. Und doch ist es so gar häufig, daß diese Elenden als besonders glückliche Menschen aufgefaßt werden. Wer sie mit einander leben und umgehen sieht, der kann sich zuweilen nicht genug darüber verwundern, wie schnell sie sich an einander und zusammen gewöhnen, wie glücklich sie unter einander sind, und wie fröhlich sie Himmel und Erde anlacht. Ich der mich zwar nicht rühmen kann, dem Chore der Blöden besonders nahe zu stehen, der ich aber seit dem Anfange des

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Zitationshilfe: Löhe, Wilhelm: Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau. Nürnberg, 1870, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loehe_neuendettelsau_1870/95>, abgerufen am 28.03.2024.