Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Löhe, Wilhelm: Eine protestantische Missionspredigt von der Abendmahlszucht. Nürnberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber es erweist sich schon aus der gegenwärtigen Beschaffenheit der Landeskirchen, daß schon längst der Gehorsam gegen die Kirchenordnungen aufgehört haben muß, auch wo und so weit er früher da war: woher kämen denn sonst die Tausende und Millionen von ungläubigen, unchristlichen, weltlichen Menschen, die nicht etwa insgeheim, sondern mit ganz offenbarem Hervortreten und unverholener Herzensgesinnung das Reich der Kirche eingenommen haben? Die Zucht, zumal die, welche und wie sie von dem HErrn und seinen Aposteln befohlen ist, hat längst aufgehört, es ist keine da; oder soll man die letzten Spuren entschwundenen oder die ersten Zeichen einer vielleicht sich wieder regenden Zucht recht hoch anrechnen, wie es die Eigenliebe mancher jetzt lebenden Christen verlangt, nun, so können wir sagen: es ist fast keine da. Hie und da steht vielleicht ein einsamer Pfarrer, vielleicht von einigen Kirchenvorstehern in einem gewissen Maße unterstützt: er versucht es, das Seine zu thun, - vielleicht mit Zittern und Zagen: in welchem Geruch steht dann ein solcher Held? Kein Mensch sagt von ihm, in seinem Herzen keime und sproße die Liebe; sondern streng ist er, ein Eiferer, ein anmaßender Mensch, voll Priesterstolzes, welcher das Gelüsten in sich hegt, die alte Priesterherrschaft der römischen Kirche auch in die protestantische wieder einzuführen. Die, an welchen er in großer Verlegenheit sein bischen Zucht zu üben sich gezwungen sieht, hätten gute Lust, ihn zu verklagen, wenn sie nur dazu genug gutes Gewißen hätten, wenn nur nicht da drinnen eine Stimme zu laut für den armen Pfarrer und sein Thun spräche. Manche klagen dennoch: die Zucht der Liebe wird zur Streitsache, etwa zwischen einem Trunkenbold und dem Pfarrer, zwischen einer Hure und dem Hirten der Gemeinde. Und was sagt denn die Gemeinde? Erwacht und merkt sie, daß es unrecht ist, den Pfarrer allein zu laßen in seinem Streite; tritt sie auf seine Seite und billigt wenigstens durch

Aber es erweist sich schon aus der gegenwärtigen Beschaffenheit der Landeskirchen, daß schon längst der Gehorsam gegen die Kirchenordnungen aufgehört haben muß, auch wo und so weit er früher da war: woher kämen denn sonst die Tausende und Millionen von ungläubigen, unchristlichen, weltlichen Menschen, die nicht etwa insgeheim, sondern mit ganz offenbarem Hervortreten und unverholener Herzensgesinnung das Reich der Kirche eingenommen haben? Die Zucht, zumal die, welche und wie sie von dem HErrn und seinen Aposteln befohlen ist, hat längst aufgehört, es ist keine da; oder soll man die letzten Spuren entschwundenen oder die ersten Zeichen einer vielleicht sich wieder regenden Zucht recht hoch anrechnen, wie es die Eigenliebe mancher jetzt lebenden Christen verlangt, nun, so können wir sagen: es ist fast keine da. Hie und da steht vielleicht ein einsamer Pfarrer, vielleicht von einigen Kirchenvorstehern in einem gewissen Maße unterstützt: er versucht es, das Seine zu thun, – vielleicht mit Zittern und Zagen: in welchem Geruch steht dann ein solcher Held? Kein Mensch sagt von ihm, in seinem Herzen keime und sproße die Liebe; sondern streng ist er, ein Eiferer, ein anmaßender Mensch, voll Priesterstolzes, welcher das Gelüsten in sich hegt, die alte Priesterherrschaft der römischen Kirche auch in die protestantische wieder einzuführen. Die, an welchen er in großer Verlegenheit sein bischen Zucht zu üben sich gezwungen sieht, hätten gute Lust, ihn zu verklagen, wenn sie nur dazu genug gutes Gewißen hätten, wenn nur nicht da drinnen eine Stimme zu laut für den armen Pfarrer und sein Thun spräche. Manche klagen dennoch: die Zucht der Liebe wird zur Streitsache, etwa zwischen einem Trunkenbold und dem Pfarrer, zwischen einer Hure und dem Hirten der Gemeinde. Und was sagt denn die Gemeinde? Erwacht und merkt sie, daß es unrecht ist, den Pfarrer allein zu laßen in seinem Streite; tritt sie auf seine Seite und billigt wenigstens durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="13"/>
Aber es erweist sich schon aus der gegenwärtigen Beschaffenheit der Landeskirchen, daß schon längst der Gehorsam gegen die Kirchenordnungen aufgehört haben muß, auch wo und so weit er früher da war: woher kämen denn sonst die Tausende und Millionen von ungläubigen, unchristlichen, weltlichen Menschen, die nicht etwa insgeheim, sondern mit ganz offenbarem Hervortreten und unverholener Herzensgesinnung das Reich der Kirche eingenommen haben? Die Zucht, zumal die, welche und wie sie von dem HErrn und seinen Aposteln befohlen ist, hat längst aufgehört, es ist keine da; oder soll man die letzten Spuren entschwundenen oder die ersten Zeichen einer vielleicht sich wieder regenden Zucht recht hoch anrechnen, wie es die Eigenliebe mancher jetzt lebenden Christen verlangt, nun, so können wir sagen: es ist fast keine da. Hie und da steht vielleicht ein einsamer Pfarrer, vielleicht von einigen Kirchenvorstehern in einem gewissen Maße unterstützt: er versucht es, das Seine zu thun, &#x2013; vielleicht mit Zittern und Zagen: in welchem Geruch steht dann ein solcher Held? Kein Mensch sagt von ihm, in seinem Herzen keime und sproße die Liebe; sondern streng ist er, ein Eiferer, ein anmaßender Mensch, voll Priesterstolzes, welcher das Gelüsten in sich hegt, die alte Priesterherrschaft der römischen Kirche auch in die protestantische wieder einzuführen. Die, an welchen er in großer Verlegenheit sein bischen Zucht zu üben sich gezwungen sieht, hätten gute Lust, ihn zu verklagen, wenn sie nur dazu genug gutes Gewißen hätten, wenn nur nicht da drinnen eine Stimme zu laut für den armen Pfarrer und sein Thun spräche. Manche klagen dennoch: die Zucht der Liebe wird zur Streitsache, etwa zwischen einem Trunkenbold und dem Pfarrer, zwischen einer Hure und dem Hirten der Gemeinde. Und was sagt denn die Gemeinde? Erwacht und merkt sie, daß es unrecht ist, den Pfarrer allein zu laßen in seinem Streite; tritt sie auf seine Seite und billigt wenigstens durch
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0013] Aber es erweist sich schon aus der gegenwärtigen Beschaffenheit der Landeskirchen, daß schon längst der Gehorsam gegen die Kirchenordnungen aufgehört haben muß, auch wo und so weit er früher da war: woher kämen denn sonst die Tausende und Millionen von ungläubigen, unchristlichen, weltlichen Menschen, die nicht etwa insgeheim, sondern mit ganz offenbarem Hervortreten und unverholener Herzensgesinnung das Reich der Kirche eingenommen haben? Die Zucht, zumal die, welche und wie sie von dem HErrn und seinen Aposteln befohlen ist, hat längst aufgehört, es ist keine da; oder soll man die letzten Spuren entschwundenen oder die ersten Zeichen einer vielleicht sich wieder regenden Zucht recht hoch anrechnen, wie es die Eigenliebe mancher jetzt lebenden Christen verlangt, nun, so können wir sagen: es ist fast keine da. Hie und da steht vielleicht ein einsamer Pfarrer, vielleicht von einigen Kirchenvorstehern in einem gewissen Maße unterstützt: er versucht es, das Seine zu thun, – vielleicht mit Zittern und Zagen: in welchem Geruch steht dann ein solcher Held? Kein Mensch sagt von ihm, in seinem Herzen keime und sproße die Liebe; sondern streng ist er, ein Eiferer, ein anmaßender Mensch, voll Priesterstolzes, welcher das Gelüsten in sich hegt, die alte Priesterherrschaft der römischen Kirche auch in die protestantische wieder einzuführen. Die, an welchen er in großer Verlegenheit sein bischen Zucht zu üben sich gezwungen sieht, hätten gute Lust, ihn zu verklagen, wenn sie nur dazu genug gutes Gewißen hätten, wenn nur nicht da drinnen eine Stimme zu laut für den armen Pfarrer und sein Thun spräche. Manche klagen dennoch: die Zucht der Liebe wird zur Streitsache, etwa zwischen einem Trunkenbold und dem Pfarrer, zwischen einer Hure und dem Hirten der Gemeinde. Und was sagt denn die Gemeinde? Erwacht und merkt sie, daß es unrecht ist, den Pfarrer allein zu laßen in seinem Streite; tritt sie auf seine Seite und billigt wenigstens durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-03T10:23:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-03T10:23:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-03T10:23:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/loehe_abendmahlszucht_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/loehe_abendmahlszucht_1853/13
Zitationshilfe: Löhe, Wilhelm: Eine protestantische Missionspredigt von der Abendmahlszucht. Nürnberg, 1853, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loehe_abendmahlszucht_1853/13>, abgerufen am 28.03.2024.