Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Schwere.
wesen, das Werk vollkommen zu verstehen. Er wählte in diesem
Buche den synthetischen Vortrag der alten griechischen Geometer,
für welchen er sein ganzes Leben durch eine besondere Achtung
gehegt hatte. Allein es scheint, daß er die von ihm gemachten
Entdeckungen nicht auf diesem, an sich sehr schwierigen, sondern
daß er sie auf dem viel leichteren Wege der mathematischen Ana-
lyse gemacht, und dann nur wieder in die Sprache jener Synthese
übertragen habe. Man muß es bedauern, daß er diesen Weg
gewählt, daß er bei der Auseinandersetzung seiner Entdeckungen
nicht die Mittel angegeben hat, welche ihn dazu führten, und daß
er die Beweise mehrerer seiner Theoreme gänzlich unterdrückte,
weil er, wie es scheint, das Vergnügen, sich mühsam errathen zu
lassen, dem Zwecke, seine Leser aufzuklären, vorgezogen hat. Die
Kenntniß der Methode, die das Talent zu seinen Entdeckungen
führt, ist oft nicht weniger interessant und lehrreich zugleich, als
diese Entdeckungen selbst.

§. 41. (Einfachere Ableitung dieses allgemeinen Gesetzes.) Da
dieses Gesetz die Grundlage der ganzen neueren Astronomie, und
sonach von der größten Wichtigkeit ist, so wird es nicht unange-
messen scheinen, die Wahrheit desselben noch auf einem anderen
Wege zu zeigen.

Newton wollte seine Idee von diesem Gesetze, oder vielmehr
er wollte die Richtigkeit dieser Idee durch irgend eine allgemeine
Erscheinung in der Natur, durch eine eigentliche Beobachtung
nachweisen, und er wählte dazu die Bewegung des Mondes, in-
dem er durch Rechnung zeigte, daß dieser Himmelskörper, wenn
er bis zur Oberfläche unserer Erde gebracht werden könnte, in der
ersten Sekunde eben so tief fallen würde, als hier, den Beobach-
tungen gemäß, jeder Stein während derselben Zeit fällt, und daß
daher die Kraft, welche den Stein fallen macht, dieselbe seyn
muß, welche den Mond in seiner Bahn um die Erde bewegt.
Zu diesem Zwecke mußte er nicht nur die Bewegung des Mondes,
sondern auch die Größe der Erde genau kennen, und da ihm die
letzte Kenntniß fehlte, so wurde er, wie man gesehen hat, so
lange in der Erfüllung seiner Wünsche aufgehalten. Auch
blieb, selbst nachdem er endlich diese Entdeckung gemacht hatte,
immer noch die Frage übrig, ob dasselbe, was er so eben für die

Allgemeine Schwere.
weſen, das Werk vollkommen zu verſtehen. Er wählte in dieſem
Buche den ſynthetiſchen Vortrag der alten griechiſchen Geometer,
für welchen er ſein ganzes Leben durch eine beſondere Achtung
gehegt hatte. Allein es ſcheint, daß er die von ihm gemachten
Entdeckungen nicht auf dieſem, an ſich ſehr ſchwierigen, ſondern
daß er ſie auf dem viel leichteren Wege der mathematiſchen Ana-
lyſe gemacht, und dann nur wieder in die Sprache jener Syntheſe
übertragen habe. Man muß es bedauern, daß er dieſen Weg
gewählt, daß er bei der Auseinanderſetzung ſeiner Entdeckungen
nicht die Mittel angegeben hat, welche ihn dazu führten, und daß
er die Beweiſe mehrerer ſeiner Theoreme gänzlich unterdrückte,
weil er, wie es ſcheint, das Vergnügen, ſich mühſam errathen zu
laſſen, dem Zwecke, ſeine Leſer aufzuklären, vorgezogen hat. Die
Kenntniß der Methode, die das Talent zu ſeinen Entdeckungen
führt, iſt oft nicht weniger intereſſant und lehrreich zugleich, als
dieſe Entdeckungen ſelbſt.

§. 41. (Einfachere Ableitung dieſes allgemeinen Geſetzes.) Da
dieſes Geſetz die Grundlage der ganzen neueren Aſtronomie, und
ſonach von der größten Wichtigkeit iſt, ſo wird es nicht unange-
meſſen ſcheinen, die Wahrheit deſſelben noch auf einem anderen
Wege zu zeigen.

Newton wollte ſeine Idee von dieſem Geſetze, oder vielmehr
er wollte die Richtigkeit dieſer Idee durch irgend eine allgemeine
Erſcheinung in der Natur, durch eine eigentliche Beobachtung
nachweiſen, und er wählte dazu die Bewegung des Mondes, in-
dem er durch Rechnung zeigte, daß dieſer Himmelskörper, wenn
er bis zur Oberfläche unſerer Erde gebracht werden könnte, in der
erſten Sekunde eben ſo tief fallen würde, als hier, den Beobach-
tungen gemäß, jeder Stein während derſelben Zeit fällt, und daß
daher die Kraft, welche den Stein fallen macht, dieſelbe ſeyn
muß, welche den Mond in ſeiner Bahn um die Erde bewegt.
Zu dieſem Zwecke mußte er nicht nur die Bewegung des Mondes,
ſondern auch die Größe der Erde genau kennen, und da ihm die
letzte Kenntniß fehlte, ſo wurde er, wie man geſehen hat, ſo
lange in der Erfüllung ſeiner Wünſche aufgehalten. Auch
blieb, ſelbſt nachdem er endlich dieſe Entdeckung gemacht hatte,
immer noch die Frage übrig, ob daſſelbe, was er ſo eben für die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0072" n="60"/><fw place="top" type="header">Allgemeine Schwere.</fw><lb/>
we&#x017F;en, das Werk vollkommen zu ver&#x017F;tehen. Er wählte in die&#x017F;em<lb/>
Buche den &#x017F;yntheti&#x017F;chen Vortrag der alten griechi&#x017F;chen Geometer,<lb/>
für welchen er &#x017F;ein ganzes Leben durch eine be&#x017F;ondere Achtung<lb/>
gehegt hatte. Allein es &#x017F;cheint, daß er die von ihm gemachten<lb/>
Entdeckungen nicht auf die&#x017F;em, an &#x017F;ich &#x017F;ehr &#x017F;chwierigen, &#x017F;ondern<lb/>
daß er &#x017F;ie auf dem viel leichteren Wege der mathemati&#x017F;chen Ana-<lb/>
ly&#x017F;e gemacht, und dann nur wieder in die Sprache jener Synthe&#x017F;e<lb/>
übertragen habe. Man muß es bedauern, daß er die&#x017F;en Weg<lb/>
gewählt, daß er bei der Auseinander&#x017F;etzung &#x017F;einer Entdeckungen<lb/>
nicht die Mittel angegeben hat, welche ihn dazu führten, und daß<lb/>
er die Bewei&#x017F;e mehrerer &#x017F;einer Theoreme gänzlich unterdrückte,<lb/>
weil er, wie es &#x017F;cheint, das Vergnügen, &#x017F;ich müh&#x017F;am errathen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, dem Zwecke, &#x017F;eine Le&#x017F;er aufzuklären, vorgezogen hat. Die<lb/>
Kenntniß der Methode, die das Talent zu &#x017F;einen Entdeckungen<lb/>
führt, i&#x017F;t oft nicht weniger intere&#x017F;&#x017F;ant und lehrreich zugleich, als<lb/>
die&#x017F;e Entdeckungen &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>§. 41. (Einfachere Ableitung die&#x017F;es allgemeinen Ge&#x017F;etzes.) Da<lb/>
die&#x017F;es Ge&#x017F;etz die Grundlage der ganzen neueren A&#x017F;tronomie, und<lb/>
&#x017F;onach von der größten Wichtigkeit i&#x017F;t, &#x017F;o wird es nicht unange-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cheinen, die Wahrheit de&#x017F;&#x017F;elben noch auf einem anderen<lb/>
Wege zu zeigen.</p><lb/>
              <p>Newton wollte &#x017F;eine Idee von die&#x017F;em Ge&#x017F;etze, oder vielmehr<lb/>
er wollte die Richtigkeit die&#x017F;er Idee durch irgend eine allgemeine<lb/>
Er&#x017F;cheinung in der Natur, durch eine eigentliche Beobachtung<lb/>
nachwei&#x017F;en, und er wählte dazu die Bewegung des Mondes, in-<lb/>
dem er durch Rechnung zeigte, daß die&#x017F;er Himmelskörper, wenn<lb/>
er bis zur Oberfläche un&#x017F;erer Erde gebracht werden könnte, in der<lb/>
er&#x017F;ten Sekunde eben &#x017F;o tief fallen würde, als hier, den Beobach-<lb/>
tungen gemäß, jeder Stein während der&#x017F;elben Zeit fällt, und daß<lb/>
daher die Kraft, welche den Stein fallen macht, die&#x017F;elbe &#x017F;eyn<lb/>
muß, welche den Mond in &#x017F;einer Bahn um die Erde bewegt.<lb/>
Zu die&#x017F;em Zwecke mußte er nicht nur die Bewegung des Mondes,<lb/>
&#x017F;ondern auch die Größe der Erde genau kennen, und da ihm die<lb/>
letzte Kenntniß fehlte, &#x017F;o wurde er, wie man ge&#x017F;ehen hat, &#x017F;o<lb/>
lange in der Erfüllung &#x017F;einer Wün&#x017F;che aufgehalten. Auch<lb/>
blieb, &#x017F;elb&#x017F;t nachdem er endlich die&#x017F;e Entdeckung gemacht hatte,<lb/>
immer noch die Frage übrig, ob da&#x017F;&#x017F;elbe, was er &#x017F;o eben für die<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0072] Allgemeine Schwere. weſen, das Werk vollkommen zu verſtehen. Er wählte in dieſem Buche den ſynthetiſchen Vortrag der alten griechiſchen Geometer, für welchen er ſein ganzes Leben durch eine beſondere Achtung gehegt hatte. Allein es ſcheint, daß er die von ihm gemachten Entdeckungen nicht auf dieſem, an ſich ſehr ſchwierigen, ſondern daß er ſie auf dem viel leichteren Wege der mathematiſchen Ana- lyſe gemacht, und dann nur wieder in die Sprache jener Syntheſe übertragen habe. Man muß es bedauern, daß er dieſen Weg gewählt, daß er bei der Auseinanderſetzung ſeiner Entdeckungen nicht die Mittel angegeben hat, welche ihn dazu führten, und daß er die Beweiſe mehrerer ſeiner Theoreme gänzlich unterdrückte, weil er, wie es ſcheint, das Vergnügen, ſich mühſam errathen zu laſſen, dem Zwecke, ſeine Leſer aufzuklären, vorgezogen hat. Die Kenntniß der Methode, die das Talent zu ſeinen Entdeckungen führt, iſt oft nicht weniger intereſſant und lehrreich zugleich, als dieſe Entdeckungen ſelbſt. §. 41. (Einfachere Ableitung dieſes allgemeinen Geſetzes.) Da dieſes Geſetz die Grundlage der ganzen neueren Aſtronomie, und ſonach von der größten Wichtigkeit iſt, ſo wird es nicht unange- meſſen ſcheinen, die Wahrheit deſſelben noch auf einem anderen Wege zu zeigen. Newton wollte ſeine Idee von dieſem Geſetze, oder vielmehr er wollte die Richtigkeit dieſer Idee durch irgend eine allgemeine Erſcheinung in der Natur, durch eine eigentliche Beobachtung nachweiſen, und er wählte dazu die Bewegung des Mondes, in- dem er durch Rechnung zeigte, daß dieſer Himmelskörper, wenn er bis zur Oberfläche unſerer Erde gebracht werden könnte, in der erſten Sekunde eben ſo tief fallen würde, als hier, den Beobach- tungen gemäß, jeder Stein während derſelben Zeit fällt, und daß daher die Kraft, welche den Stein fallen macht, dieſelbe ſeyn muß, welche den Mond in ſeiner Bahn um die Erde bewegt. Zu dieſem Zwecke mußte er nicht nur die Bewegung des Mondes, ſondern auch die Größe der Erde genau kennen, und da ihm die letzte Kenntniß fehlte, ſo wurde er, wie man geſehen hat, ſo lange in der Erfüllung ſeiner Wünſche aufgehalten. Auch blieb, ſelbſt nachdem er endlich dieſe Entdeckung gemacht hatte, immer noch die Frage übrig, ob daſſelbe, was er ſo eben für die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/72
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/72>, abgerufen am 29.03.2024.