Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Säculäre Störungen.
zu bestätigen. Dieß war also gleichsam der erste Fall, wo die
Theorie mit der Beobachtung nicht übereinstimmte, und das
Newton'sche Gesetz der allgemeinen Schwere nicht hinreichend ge-
funden wurde, um daraus alle Erscheinungen des Himmels zu
erklären. Auch ließ sich Clairaut, seines seltenen Scharfsinns
ungeachtet, durch diese Nichtübereinstimmung verführen, ein an-
deres, complicirteres Gesetz der Natur anstatt jenes einfachen, das
Newton aufgestellt hatte, auf die Bahn zu bringen. Er fand
zwar dabei Widerspruch von einem Manne, dessen Ansehen in dem
Felde der Naturgeschichte zu jener Zeit für eine sehr große Auto-
rität galt. Buffon wollte das von Clairaut vorgeschlagene Gesetz
durchaus nicht annehmen, aber bloß aus dem Grunde, weil das
von Newton aufgestellte das einfachere wäre, und weil, nach seiner
Ansicht, die Natur zur Erreichung ihrer Zwecke immer die ein-
fachsten Mittel wählen müsse. Allein dieser gleichsam teleologische
oder metaphysische Grund wollte Clairaut nicht einleuchten, der
ihm dafür die Resultate seiner Analysis entgegensetzte, die jener
nicht widerlegen konnte, weil er sie nicht verstand. Doch hatte
dießmal der Metaphysiker, dem Geometer gegenüber, Recht. Clai-
raut bemerkte nämlich später, daß er die Annäherung seiner Be-
rechnung nicht weit genug getrieben hatte, und als er dieselbe mit
mehr Umsicht wiederholte, fand er, daß die Theorie auch hier mit
den Beobachtungen in vollkommenem Einklang sey. Nach ihm
wurde diese wesentliche Verbesserung auch von Euler und D'Alem-
bert als richtig erkannt, und die neuesten Bestimmungen der
Bewegung der Absiden der Mondsbahn, die Laplace in seiner
Mecanique celeste gegeben hat, weichen nur mehr um ihren
1/440 sten Theil von den Beobachtungen ab. So wurde daher
dieselbe Erscheinung, die man früher als eine Ausnahme von dem
allgemeinen Gesetze der Schwere betrachtete, -- jetzt einer der
schönsten Beweise für das Daseyn dieses Gesetzes. Denn dieß
war das Loos jener glänzenden Entdeckung, daß jedes neue Hin-
derniß, das sich gegen dieselbe zu erheben schien, der Gegenstand
eines neuen Triumphes für sie wurde.

§. 88. (Acceleration der mittleren Bewegung des Mondes.)
Einen ähnlichen Fall, der den Astronomen noch mehr Mühe ko-
stete, bot die Beobachtung der mittleren Bewegung des Mondes

9 *

Säculäre Störungen.
zu beſtätigen. Dieß war alſo gleichſam der erſte Fall, wo die
Theorie mit der Beobachtung nicht übereinſtimmte, und das
Newton’ſche Geſetz der allgemeinen Schwere nicht hinreichend ge-
funden wurde, um daraus alle Erſcheinungen des Himmels zu
erklären. Auch ließ ſich Clairaut, ſeines ſeltenen Scharfſinns
ungeachtet, durch dieſe Nichtübereinſtimmung verführen, ein an-
deres, complicirteres Geſetz der Natur anſtatt jenes einfachen, das
Newton aufgeſtellt hatte, auf die Bahn zu bringen. Er fand
zwar dabei Widerſpruch von einem Manne, deſſen Anſehen in dem
Felde der Naturgeſchichte zu jener Zeit für eine ſehr große Auto-
rität galt. Buffon wollte das von Clairaut vorgeſchlagene Geſetz
durchaus nicht annehmen, aber bloß aus dem Grunde, weil das
von Newton aufgeſtellte das einfachere wäre, und weil, nach ſeiner
Anſicht, die Natur zur Erreichung ihrer Zwecke immer die ein-
fachſten Mittel wählen müſſe. Allein dieſer gleichſam teleologiſche
oder metaphyſiſche Grund wollte Clairaut nicht einleuchten, der
ihm dafür die Reſultate ſeiner Analyſis entgegenſetzte, die jener
nicht widerlegen konnte, weil er ſie nicht verſtand. Doch hatte
dießmal der Metaphyſiker, dem Geometer gegenüber, Recht. Clai-
raut bemerkte nämlich ſpäter, daß er die Annäherung ſeiner Be-
rechnung nicht weit genug getrieben hatte, und als er dieſelbe mit
mehr Umſicht wiederholte, fand er, daß die Theorie auch hier mit
den Beobachtungen in vollkommenem Einklang ſey. Nach ihm
wurde dieſe weſentliche Verbeſſerung auch von Euler und D’Alem-
bert als richtig erkannt, und die neueſten Beſtimmungen der
Bewegung der Abſiden der Mondsbahn, die Laplace in ſeiner
Mécanique céleste gegeben hat, weichen nur mehr um ihren
1/440 ſten Theil von den Beobachtungen ab. So wurde daher
dieſelbe Erſcheinung, die man früher als eine Ausnahme von dem
allgemeinen Geſetze der Schwere betrachtete, — jetzt einer der
ſchönſten Beweiſe für das Daſeyn dieſes Geſetzes. Denn dieß
war das Loos jener glänzenden Entdeckung, daß jedes neue Hin-
derniß, das ſich gegen dieſelbe zu erheben ſchien, der Gegenſtand
eines neuen Triumphes für ſie wurde.

§. 88. (Acceleration der mittleren Bewegung des Mondes.)
Einen ähnlichen Fall, der den Aſtronomen noch mehr Mühe ko-
ſtete, bot die Beobachtung der mittleren Bewegung des Mondes

9 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0143" n="131"/><fw place="top" type="header">Säculäre Störungen.</fw><lb/>
zu be&#x017F;tätigen. Dieß war al&#x017F;o gleich&#x017F;am der er&#x017F;te Fall, wo die<lb/>
Theorie mit der Beobachtung <hi rendition="#g">nicht</hi> überein&#x017F;timmte, und das<lb/>
Newton&#x2019;&#x017F;che Ge&#x017F;etz der allgemeinen Schwere nicht hinreichend ge-<lb/>
funden wurde, um daraus alle Er&#x017F;cheinungen des Himmels zu<lb/>
erklären. Auch ließ &#x017F;ich Clairaut, &#x017F;eines &#x017F;eltenen Scharf&#x017F;inns<lb/>
ungeachtet, durch die&#x017F;e Nichtüberein&#x017F;timmung verführen, ein an-<lb/>
deres, complicirteres Ge&#x017F;etz der Natur an&#x017F;tatt jenes einfachen, das<lb/>
Newton aufge&#x017F;tellt hatte, auf die Bahn zu bringen. Er fand<lb/>
zwar dabei Wider&#x017F;pruch von einem Manne, de&#x017F;&#x017F;en An&#x017F;ehen in dem<lb/>
Felde der Naturge&#x017F;chichte zu jener Zeit für eine &#x017F;ehr große Auto-<lb/>
rität galt. Buffon wollte das von Clairaut vorge&#x017F;chlagene Ge&#x017F;etz<lb/>
durchaus nicht annehmen, aber bloß aus dem Grunde, weil das<lb/>
von Newton aufge&#x017F;tellte das einfachere wäre, und weil, nach &#x017F;einer<lb/>
An&#x017F;icht, die Natur zur Erreichung ihrer Zwecke immer die ein-<lb/>
fach&#x017F;ten Mittel wählen mü&#x017F;&#x017F;e. Allein die&#x017F;er gleich&#x017F;am teleologi&#x017F;che<lb/>
oder metaphy&#x017F;i&#x017F;che Grund wollte Clairaut nicht einleuchten, der<lb/>
ihm dafür die Re&#x017F;ultate &#x017F;einer Analy&#x017F;is entgegen&#x017F;etzte, die jener<lb/>
nicht widerlegen konnte, weil er &#x017F;ie nicht ver&#x017F;tand. Doch hatte<lb/>
dießmal der Metaphy&#x017F;iker, dem Geometer gegenüber, Recht. Clai-<lb/>
raut bemerkte nämlich &#x017F;päter, daß er die Annäherung &#x017F;einer Be-<lb/>
rechnung nicht weit genug getrieben hatte, und als er die&#x017F;elbe mit<lb/>
mehr Um&#x017F;icht wiederholte, fand er, daß die Theorie auch hier mit<lb/>
den Beobachtungen in vollkommenem Einklang &#x017F;ey. Nach ihm<lb/>
wurde die&#x017F;e we&#x017F;entliche Verbe&#x017F;&#x017F;erung auch von Euler und D&#x2019;Alem-<lb/>
bert als richtig erkannt, und die neue&#x017F;ten Be&#x017F;timmungen der<lb/>
Bewegung der Ab&#x017F;iden der Mondsbahn, die Laplace in &#x017F;einer<lb/><hi rendition="#aq">Mécanique céleste</hi> gegeben hat, weichen nur mehr um ihren<lb/>
1/440 &#x017F;ten Theil von den Beobachtungen ab. So wurde daher<lb/>
die&#x017F;elbe Er&#x017F;cheinung, die man früher als eine Ausnahme von dem<lb/>
allgemeinen Ge&#x017F;etze der Schwere betrachtete, &#x2014; jetzt einer der<lb/>
&#x017F;chön&#x017F;ten Bewei&#x017F;e für das Da&#x017F;eyn die&#x017F;es Ge&#x017F;etzes. Denn dieß<lb/>
war das Loos jener glänzenden Entdeckung, daß jedes neue Hin-<lb/>
derniß, das &#x017F;ich gegen die&#x017F;elbe zu erheben &#x017F;chien, der Gegen&#x017F;tand<lb/>
eines neuen Triumphes für &#x017F;ie wurde.</p><lb/>
              <p>§. 88. (Acceleration der mittleren Bewegung des Mondes.)<lb/>
Einen ähnlichen Fall, der den A&#x017F;tronomen noch mehr Mühe ko-<lb/>
&#x017F;tete, bot die Beobachtung der <hi rendition="#g">mittleren Bewegung</hi> des Mondes<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9 *</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0143] Säculäre Störungen. zu beſtätigen. Dieß war alſo gleichſam der erſte Fall, wo die Theorie mit der Beobachtung nicht übereinſtimmte, und das Newton’ſche Geſetz der allgemeinen Schwere nicht hinreichend ge- funden wurde, um daraus alle Erſcheinungen des Himmels zu erklären. Auch ließ ſich Clairaut, ſeines ſeltenen Scharfſinns ungeachtet, durch dieſe Nichtübereinſtimmung verführen, ein an- deres, complicirteres Geſetz der Natur anſtatt jenes einfachen, das Newton aufgeſtellt hatte, auf die Bahn zu bringen. Er fand zwar dabei Widerſpruch von einem Manne, deſſen Anſehen in dem Felde der Naturgeſchichte zu jener Zeit für eine ſehr große Auto- rität galt. Buffon wollte das von Clairaut vorgeſchlagene Geſetz durchaus nicht annehmen, aber bloß aus dem Grunde, weil das von Newton aufgeſtellte das einfachere wäre, und weil, nach ſeiner Anſicht, die Natur zur Erreichung ihrer Zwecke immer die ein- fachſten Mittel wählen müſſe. Allein dieſer gleichſam teleologiſche oder metaphyſiſche Grund wollte Clairaut nicht einleuchten, der ihm dafür die Reſultate ſeiner Analyſis entgegenſetzte, die jener nicht widerlegen konnte, weil er ſie nicht verſtand. Doch hatte dießmal der Metaphyſiker, dem Geometer gegenüber, Recht. Clai- raut bemerkte nämlich ſpäter, daß er die Annäherung ſeiner Be- rechnung nicht weit genug getrieben hatte, und als er dieſelbe mit mehr Umſicht wiederholte, fand er, daß die Theorie auch hier mit den Beobachtungen in vollkommenem Einklang ſey. Nach ihm wurde dieſe weſentliche Verbeſſerung auch von Euler und D’Alem- bert als richtig erkannt, und die neueſten Beſtimmungen der Bewegung der Abſiden der Mondsbahn, die Laplace in ſeiner Mécanique céleste gegeben hat, weichen nur mehr um ihren 1/440 ſten Theil von den Beobachtungen ab. So wurde daher dieſelbe Erſcheinung, die man früher als eine Ausnahme von dem allgemeinen Geſetze der Schwere betrachtete, — jetzt einer der ſchönſten Beweiſe für das Daſeyn dieſes Geſetzes. Denn dieß war das Loos jener glänzenden Entdeckung, daß jedes neue Hin- derniß, das ſich gegen dieſelbe zu erheben ſchien, der Gegenſtand eines neuen Triumphes für ſie wurde. §. 88. (Acceleration der mittleren Bewegung des Mondes.) Einen ähnlichen Fall, der den Aſtronomen noch mehr Mühe ko- ſtete, bot die Beobachtung der mittleren Bewegung des Mondes 9 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/143
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/143>, abgerufen am 23.04.2024.