Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Mond.
sich ohne Zweifel in ihre Höhlen und Klüfte flüchten und unsere
Erde über sich entrüstet oder uns für bezaubert halten, und was
dergleichen Thorheiten mehr seyn mögen, in welchen wir ihnen
mit unserm Beispiele vorausgegangen sind. Denn welches Recht
sollten sie haben, gescheuter zu seyn, als wir? Ist der Mond nicht
der Satellit, der Diener und Fackelträger der Erde? Und da diese
große Erde in allen ihren Theilen der Thorheiten so voll ist,
warum sollte der kleine Mond eine Ausnahme von dieser, wie es
scheint, allgemeinen Regel machen? Sie sollten uns in Furcht
setzen können und wir sie nicht? Es hat große Völkerschaften bei
uns gegeben und es gibt ihrer wohl noch, die den kleinen Mond
als eine Gottheit angebetet haben, warum sollten dasselbe nicht
auch die Völker im Monde mit der viel größern Erde thun kön-
nen, und warum sollten überhaupt wir allein im ganzen großen
Weltalle die einzigen Thoren seyn dürfen?

Aber so sehr sie uns auch in diesem Stücke gleichen mögen,
in vielen anderen sind sie gewiß wieder eben so sehr von uns ver-
schieden, und wir würden uns gewiß nicht wenig über ihre Gestalt
und über ihr ganzes Wesen verwundern, wenn wir einmal Gele-
genheit haben sollten, zu ihnen heraufzukommen, nicht weniger
ohne Zweifel, als sie selbst sich über uns verwundern würden,
wenn sie uns einmal näher zu Gesichte bekommen sollten. Gewiß
können sie sich eben so wenig vorstellen, wie es hier unten zugeht,
als wir selbst uns einen Begriff von ihrem Treiben dort oben ma-
chen können. Wie sollte es ihnen nur einfallen, daß es auf der
großen, lichten Scheibe, die über ihnen am Himmel schwebt, eine
so seltsame Gattung von Geschöpfen gebe, die man das menschliche

giftigen Nebel, die bei dieser und überhaupt bei jeder Finsterniß
auf die Erde fallen, daher man die Brunnen sorgsam zudecken
und das Vieh in ihre Ställe treiben soll, und was dergleichen
Dinge mehr seyn mochten, die man in Kindermann's Reisen in
die eröffneten Himmelskugeln 1779 nachsehen kann, welches Werk
damals in Jedermanns Händen war und mit einer Art von Heiß-
hunger gelesen wurde, obschon es auch gescheutere Leute gab, die
ihre Mitbürger eines Bessern belehren wollten, die aber nicht
gehört, wohl gar als Freigeister verschrieen wurden.

Der Mond.
ſich ohne Zweifel in ihre Höhlen und Klüfte flüchten und unſere
Erde über ſich entrüſtet oder uns für bezaubert halten, und was
dergleichen Thorheiten mehr ſeyn mögen, in welchen wir ihnen
mit unſerm Beiſpiele vorausgegangen ſind. Denn welches Recht
ſollten ſie haben, geſcheuter zu ſeyn, als wir? Iſt der Mond nicht
der Satellit, der Diener und Fackelträger der Erde? Und da dieſe
große Erde in allen ihren Theilen der Thorheiten ſo voll iſt,
warum ſollte der kleine Mond eine Ausnahme von dieſer, wie es
ſcheint, allgemeinen Regel machen? Sie ſollten uns in Furcht
ſetzen können und wir ſie nicht? Es hat große Völkerſchaften bei
uns gegeben und es gibt ihrer wohl noch, die den kleinen Mond
als eine Gottheit angebetet haben, warum ſollten daſſelbe nicht
auch die Völker im Monde mit der viel größern Erde thun kön-
nen, und warum ſollten überhaupt wir allein im ganzen großen
Weltalle die einzigen Thoren ſeyn dürfen?

Aber ſo ſehr ſie uns auch in dieſem Stücke gleichen mögen,
in vielen anderen ſind ſie gewiß wieder eben ſo ſehr von uns ver-
ſchieden, und wir würden uns gewiß nicht wenig über ihre Geſtalt
und über ihr ganzes Weſen verwundern, wenn wir einmal Gele-
genheit haben ſollten, zu ihnen heraufzukommen, nicht weniger
ohne Zweifel, als ſie ſelbſt ſich über uns verwundern würden,
wenn ſie uns einmal näher zu Geſichte bekommen ſollten. Gewiß
können ſie ſich eben ſo wenig vorſtellen, wie es hier unten zugeht,
als wir ſelbſt uns einen Begriff von ihrem Treiben dort oben ma-
chen können. Wie ſollte es ihnen nur einfallen, daß es auf der
großen, lichten Scheibe, die über ihnen am Himmel ſchwebt, eine
ſo ſeltſame Gattung von Geſchöpfen gebe, die man das menſchliche

giftigen Nebel, die bei dieſer und überhaupt bei jeder Finſterniß
auf die Erde fallen, daher man die Brunnen ſorgſam zudecken
und das Vieh in ihre Ställe treiben ſoll, und was dergleichen
Dinge mehr ſeyn mochten, die man in Kindermann’s Reiſen in
die eröffneten Himmelskugeln 1779 nachſehen kann, welches Werk
damals in Jedermanns Händen war und mit einer Art von Heiß-
hunger geleſen wurde, obſchon es auch geſcheutere Leute gab, die
ihre Mitbürger eines Beſſern belehren wollten, die aber nicht
gehört, wohl gar als Freigeiſter verſchrieen wurden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0212" n="202"/><fw place="top" type="header">Der Mond.</fw><lb/>
&#x017F;ich ohne Zweifel in ihre Höhlen und Klüfte flüchten und un&#x017F;ere<lb/>
Erde über &#x017F;ich entrü&#x017F;tet oder uns für bezaubert halten, und was<lb/>
dergleichen Thorheiten mehr &#x017F;eyn mögen, in welchen wir ihnen<lb/>
mit un&#x017F;erm Bei&#x017F;piele vorausgegangen &#x017F;ind. Denn welches Recht<lb/>
&#x017F;ollten &#x017F;ie haben, ge&#x017F;cheuter zu &#x017F;eyn, als wir? I&#x017F;t der Mond nicht<lb/>
der Satellit, der Diener und Fackelträger der Erde? Und da die&#x017F;e<lb/>
große Erde in allen ihren Theilen der Thorheiten &#x017F;o voll i&#x017F;t,<lb/>
warum &#x017F;ollte der kleine Mond eine Ausnahme von die&#x017F;er, wie es<lb/>
&#x017F;cheint, allgemeinen Regel machen? Sie &#x017F;ollten uns in Furcht<lb/>
&#x017F;etzen können und wir &#x017F;ie nicht? Es hat große Völker&#x017F;chaften bei<lb/>
uns gegeben und es gibt ihrer wohl noch, die den kleinen Mond<lb/>
als eine Gottheit angebetet haben, warum &#x017F;ollten da&#x017F;&#x017F;elbe nicht<lb/>
auch die Völker im Monde mit der viel größern Erde thun kön-<lb/>
nen, und warum &#x017F;ollten überhaupt wir allein im ganzen großen<lb/>
Weltalle die einzigen Thoren &#x017F;eyn dürfen?</p><lb/>
            <p>Aber &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie uns auch in die&#x017F;em Stücke gleichen mögen,<lb/>
in vielen anderen &#x017F;ind &#x017F;ie gewiß wieder eben &#x017F;o &#x017F;ehr von uns ver-<lb/>
&#x017F;chieden, und wir würden uns gewiß nicht wenig über ihre Ge&#x017F;talt<lb/>
und über ihr ganzes We&#x017F;en verwundern, wenn wir einmal Gele-<lb/>
genheit haben &#x017F;ollten, zu ihnen heraufzukommen, nicht weniger<lb/>
ohne Zweifel, als &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich über uns verwundern würden,<lb/>
wenn &#x017F;ie uns einmal näher zu Ge&#x017F;ichte bekommen &#x017F;ollten. Gewiß<lb/>
können &#x017F;ie &#x017F;ich eben &#x017F;o wenig vor&#x017F;tellen, wie es hier unten zugeht,<lb/>
als wir &#x017F;elb&#x017F;t uns einen Begriff von ihrem Treiben dort oben ma-<lb/>
chen können. Wie &#x017F;ollte es ihnen nur einfallen, daß es auf der<lb/>
großen, lichten Scheibe, die über ihnen am Himmel &#x017F;chwebt, eine<lb/>
&#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;ame Gattung von Ge&#x017F;chöpfen gebe, die man das men&#x017F;chliche<lb/><note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="*)">giftigen Nebel, die bei die&#x017F;er und überhaupt bei jeder Fin&#x017F;terniß<lb/>
auf die Erde fallen, daher man die Brunnen &#x017F;org&#x017F;am zudecken<lb/>
und das Vieh in ihre Ställe treiben &#x017F;oll, und was dergleichen<lb/>
Dinge mehr &#x017F;eyn mochten, die man in Kindermann&#x2019;s Rei&#x017F;en in<lb/>
die eröffneten Himmelskugeln 1779 nach&#x017F;ehen kann, welches Werk<lb/>
damals in Jedermanns Händen war und mit einer Art von Heiß-<lb/>
hunger gele&#x017F;en wurde, ob&#x017F;chon es auch ge&#x017F;cheutere Leute gab, die<lb/>
ihre Mitbürger eines Be&#x017F;&#x017F;ern belehren wollten, die aber nicht<lb/>
gehört, wohl gar als Freigei&#x017F;ter ver&#x017F;chrieen wurden.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0212] Der Mond. ſich ohne Zweifel in ihre Höhlen und Klüfte flüchten und unſere Erde über ſich entrüſtet oder uns für bezaubert halten, und was dergleichen Thorheiten mehr ſeyn mögen, in welchen wir ihnen mit unſerm Beiſpiele vorausgegangen ſind. Denn welches Recht ſollten ſie haben, geſcheuter zu ſeyn, als wir? Iſt der Mond nicht der Satellit, der Diener und Fackelträger der Erde? Und da dieſe große Erde in allen ihren Theilen der Thorheiten ſo voll iſt, warum ſollte der kleine Mond eine Ausnahme von dieſer, wie es ſcheint, allgemeinen Regel machen? Sie ſollten uns in Furcht ſetzen können und wir ſie nicht? Es hat große Völkerſchaften bei uns gegeben und es gibt ihrer wohl noch, die den kleinen Mond als eine Gottheit angebetet haben, warum ſollten daſſelbe nicht auch die Völker im Monde mit der viel größern Erde thun kön- nen, und warum ſollten überhaupt wir allein im ganzen großen Weltalle die einzigen Thoren ſeyn dürfen? Aber ſo ſehr ſie uns auch in dieſem Stücke gleichen mögen, in vielen anderen ſind ſie gewiß wieder eben ſo ſehr von uns ver- ſchieden, und wir würden uns gewiß nicht wenig über ihre Geſtalt und über ihr ganzes Weſen verwundern, wenn wir einmal Gele- genheit haben ſollten, zu ihnen heraufzukommen, nicht weniger ohne Zweifel, als ſie ſelbſt ſich über uns verwundern würden, wenn ſie uns einmal näher zu Geſichte bekommen ſollten. Gewiß können ſie ſich eben ſo wenig vorſtellen, wie es hier unten zugeht, als wir ſelbſt uns einen Begriff von ihrem Treiben dort oben ma- chen können. Wie ſollte es ihnen nur einfallen, daß es auf der großen, lichten Scheibe, die über ihnen am Himmel ſchwebt, eine ſo ſeltſame Gattung von Geſchöpfen gebe, die man das menſchliche *) *) giftigen Nebel, die bei dieſer und überhaupt bei jeder Finſterniß auf die Erde fallen, daher man die Brunnen ſorgſam zudecken und das Vieh in ihre Ställe treiben ſoll, und was dergleichen Dinge mehr ſeyn mochten, die man in Kindermann’s Reiſen in die eröffneten Himmelskugeln 1779 nachſehen kann, welches Werk damals in Jedermanns Händen war und mit einer Art von Heiß- hunger geleſen wurde, obſchon es auch geſcheutere Leute gab, die ihre Mitbürger eines Beſſern belehren wollten, die aber nicht gehört, wohl gar als Freigeiſter verſchrieen wurden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/212
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/212>, abgerufen am 29.03.2024.