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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

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Der Mond.
dünne Luft, durch den Druck der oberen Schichten verdichtet, für
ihre Lungen noch athembar ist, und wo sie, wie bei uns die
Bewohner des Innern der Erde, das Licht der Sonne scheuend,
wie unsere Maulwürfe und Regenwürmer wohnen, oder gleich
den Austern in ganzen Bänken gelagert, ihre Tage in unthätiger
Trägheit verleben. Wer weiß, ob nicht die Mondbewohner, der
drückenden, volle vierzehn unserer Tage dauernden Sonnenhitze
zu entgehen, sich in jene Höhlen flüchten, aus welchen sie nur
für die Zeit ihrer eben so langen Nächte sich herauswagen?
Oder haben sie sich vielleicht eben in diesen Tiefen, wie unsere al-
ten Ritter auf den Bergspitzen, ihre Burgen und Städte erbaut?
Ist doch, wie man sagt, unser eigenes unterirdisches Rom größer,
als das über der Erde erbaute. Man dürfte diese überirdische
Stadt nur wegnehmen und den Boden unter ihr aufbrechen, wie
man es mit Pompeji und Herculanum gemacht hat, um sofort
auch auf unserer Erde eine solche Mondstadt zu erhalten. Warum
sollten wir nicht annehmen dürfen, daß die Leute im Monde,
wenn sie schon einmal da seyn sollen, auch zugleich so klein und
eben so thätig und betriebsam wie unsere Ameisen sind, und daß
ihrer daher auf dem Boden einer solchen Höhle nicht weniger in
sehr bequemen und geräumigen Häusern beisammen wohnen, als
bei uns in Paris oder London zu finden seyn mögen. Sind nicht
vielleicht die straßenartigen Gänge und Streifen, von welchen wir
oben gesprochen haben, und welche jene ausgebrannten Krater, jene
unterirdischen Städte mit einander verbinden, wahre Straßen oder
wahre Kanäle, durch welche alle diese Städte in gegenseitige Com-
munication gesetzt werden? Weil wir nur auf der Oberfläche un-
serer Erde leben, sollen darum die Bewohner anderer Weltkörper
zu derselben Lebensweise gezwungen seyn? Bei der Liebe zur Ab-
wechslung und selbst zu den auffallendsten Verschiedenheiten, die
wir in der Natur schon auf unserem eigenen Wohnorte bemerken,
sollte da der entgegengesetzte Schluß nicht auch zugleich der ange-
messenste, der wahrscheinlichste seyn?

Auch mag es mit der großen Trockenheit, die auf dem Monde
herrscht, vielleicht lange nicht so arg seyn, als man auf den ersten
Blick glauben sollte. Wegen des Mangels an Luft mag wohl die

Der Mond.
dünne Luft, durch den Druck der oberen Schichten verdichtet, für
ihre Lungen noch athembar iſt, und wo ſie, wie bei uns die
Bewohner des Innern der Erde, das Licht der Sonne ſcheuend,
wie unſere Maulwürfe und Regenwürmer wohnen, oder gleich
den Auſtern in ganzen Bänken gelagert, ihre Tage in unthätiger
Trägheit verleben. Wer weiß, ob nicht die Mondbewohner, der
drückenden, volle vierzehn unſerer Tage dauernden Sonnenhitze
zu entgehen, ſich in jene Höhlen flüchten, aus welchen ſie nur
für die Zeit ihrer eben ſo langen Nächte ſich herauswagen?
Oder haben ſie ſich vielleicht eben in dieſen Tiefen, wie unſere al-
ten Ritter auf den Bergſpitzen, ihre Burgen und Städte erbaut?
Iſt doch, wie man ſagt, unſer eigenes unterirdiſches Rom größer,
als das über der Erde erbaute. Man dürfte dieſe überirdiſche
Stadt nur wegnehmen und den Boden unter ihr aufbrechen, wie
man es mit Pompeji und Herculanum gemacht hat, um ſofort
auch auf unſerer Erde eine ſolche Mondſtadt zu erhalten. Warum
ſollten wir nicht annehmen dürfen, daß die Leute im Monde,
wenn ſie ſchon einmal da ſeyn ſollen, auch zugleich ſo klein und
eben ſo thätig und betriebſam wie unſere Ameiſen ſind, und daß
ihrer daher auf dem Boden einer ſolchen Höhle nicht weniger in
ſehr bequemen und geräumigen Häuſern beiſammen wohnen, als
bei uns in Paris oder London zu finden ſeyn mögen. Sind nicht
vielleicht die ſtraßenartigen Gänge und Streifen, von welchen wir
oben geſprochen haben, und welche jene ausgebrannten Krater, jene
unterirdiſchen Städte mit einander verbinden, wahre Straßen oder
wahre Kanäle, durch welche alle dieſe Städte in gegenſeitige Com-
munication geſetzt werden? Weil wir nur auf der Oberfläche un-
ſerer Erde leben, ſollen darum die Bewohner anderer Weltkörper
zu derſelben Lebensweiſe gezwungen ſeyn? Bei der Liebe zur Ab-
wechslung und ſelbſt zu den auffallendſten Verſchiedenheiten, die
wir in der Natur ſchon auf unſerem eigenen Wohnorte bemerken,
ſollte da der entgegengeſetzte Schluß nicht auch zugleich der ange-
meſſenſte, der wahrſcheinlichſte ſeyn?

Auch mag es mit der großen Trockenheit, die auf dem Monde
herrſcht, vielleicht lange nicht ſo arg ſeyn, als man auf den erſten
Blick glauben ſollte. Wegen des Mangels an Luft mag wohl die

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[199/0209] Der Mond. dünne Luft, durch den Druck der oberen Schichten verdichtet, für ihre Lungen noch athembar iſt, und wo ſie, wie bei uns die Bewohner des Innern der Erde, das Licht der Sonne ſcheuend, wie unſere Maulwürfe und Regenwürmer wohnen, oder gleich den Auſtern in ganzen Bänken gelagert, ihre Tage in unthätiger Trägheit verleben. Wer weiß, ob nicht die Mondbewohner, der drückenden, volle vierzehn unſerer Tage dauernden Sonnenhitze zu entgehen, ſich in jene Höhlen flüchten, aus welchen ſie nur für die Zeit ihrer eben ſo langen Nächte ſich herauswagen? Oder haben ſie ſich vielleicht eben in dieſen Tiefen, wie unſere al- ten Ritter auf den Bergſpitzen, ihre Burgen und Städte erbaut? Iſt doch, wie man ſagt, unſer eigenes unterirdiſches Rom größer, als das über der Erde erbaute. Man dürfte dieſe überirdiſche Stadt nur wegnehmen und den Boden unter ihr aufbrechen, wie man es mit Pompeji und Herculanum gemacht hat, um ſofort auch auf unſerer Erde eine ſolche Mondſtadt zu erhalten. Warum ſollten wir nicht annehmen dürfen, daß die Leute im Monde, wenn ſie ſchon einmal da ſeyn ſollen, auch zugleich ſo klein und eben ſo thätig und betriebſam wie unſere Ameiſen ſind, und daß ihrer daher auf dem Boden einer ſolchen Höhle nicht weniger in ſehr bequemen und geräumigen Häuſern beiſammen wohnen, als bei uns in Paris oder London zu finden ſeyn mögen. Sind nicht vielleicht die ſtraßenartigen Gänge und Streifen, von welchen wir oben geſprochen haben, und welche jene ausgebrannten Krater, jene unterirdiſchen Städte mit einander verbinden, wahre Straßen oder wahre Kanäle, durch welche alle dieſe Städte in gegenſeitige Com- munication geſetzt werden? Weil wir nur auf der Oberfläche un- ſerer Erde leben, ſollen darum die Bewohner anderer Weltkörper zu derſelben Lebensweiſe gezwungen ſeyn? Bei der Liebe zur Ab- wechslung und ſelbſt zu den auffallendſten Verſchiedenheiten, die wir in der Natur ſchon auf unſerem eigenen Wohnorte bemerken, ſollte da der entgegengeſetzte Schluß nicht auch zugleich der ange- meſſenſte, der wahrſcheinlichſte ſeyn? Auch mag es mit der großen Trockenheit, die auf dem Monde herrſcht, vielleicht lange nicht ſo arg ſeyn, als man auf den erſten Blick glauben ſollte. Wegen des Mangels an Luft mag wohl die

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/209>, abgerufen am 25.04.2024.