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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Tägliche Bewegung der Erde.
Abplattung der Erde an ihren Polen durch theoretische Gründe,
denn andere hatte man nicht, zu beweisen suchte.

§. 32. (Wirkung der Schwere auf den Gang der Uhren). So
stand diese Angelegenheit, als im Jahre 1672, im dreißigsten Le-
bensjahre Newton's der französische Astronom Richer von Paris
nach der Insel Cayenne reiste, die nur fünf Grade nördlich vom
Aequator entfernt ist. Als er hier seine Pendeluhr, die in Paris
genau nach mittlerer Zeit gestellt war, wieder aufstellte, fand er,
daß sie täglich nahe um 21/2 Minuten zu spät ging, so daß er das
Pendel nahe 5/4 einer Pariser Linie verkürzen mußte, um seine
Uhr auch in Cayenne mit der mittleren Zeit dieses Ortes über-
einstimmend zu machen. Er konnte dieses sonderbare Ereigniß
um so weniger einer Störung der Uhr während seiner Reise zu-
schreiben, da das so verkürzte Pendel, als er es wieder nach Paris
zurückbrachte, um dieselbe Größe verlängert werden mußte, indem
die Uhr bei seiner Ankunft in Paris täglich um 148 Secunden
gegen die mittlere Zeit zu schn[e]ll ging.

Newton, dessen Scharfsinn sogleich die Ursache dieser Erschei-
nung entdeckte, stand nicht an, sie für den so lange gesuchten
experimentalen Beweis der Rotation der Erde zu erklären. Seit-
dem sind die Beobachtungen dieser Art sehr vervollkommnet, und
beinahe in allen Orten der Erde wiederholt worden, und sie
haben nicht nur Newton's Ansicht von derselben vollkommen bestätigt,
oder einen vollständigen Beweis der Rotation der Erde geliefert,
sondern sie haben uns auch den wahren Werth ihrer Abplattung
an den Polen, und die Größe des Raumes, durch welche frei
fallende Körper in der ersten Secunde gehen, mit einer Genauig-
keit kennen gelehrt, die wir durch kein anderes Mittel hätten
erreichen können. Endlich haben diese Pendel, auf eine zweck-
mäßige Art an unsere Uhren angebracht, unserer ganzen practi-
schen Astronomie eine neuere, bessere Gestalt gegeben, daher wir
sie hier, so weit es unser Gegenstand erfordert, näher betrachten
wollen.

§. 33. (Secundenpendel). Ein Faden CA Fig. 6, der an
seinem oberen Ende C befestigt ist, und an seinem unteren A
einen schweren Körper z. B. eine kleine Kugel von Blei trägt,
wird, wenn man ihn sich selbst überläßt, wegen der Wirkung der

Tägliche Bewegung der Erde.
Abplattung der Erde an ihren Polen durch theoretiſche Gründe,
denn andere hatte man nicht, zu beweiſen ſuchte.

§. 32. (Wirkung der Schwere auf den Gang der Uhren). So
ſtand dieſe Angelegenheit, als im Jahre 1672, im dreißigſten Le-
bensjahre Newton’s der franzöſiſche Aſtronom Richer von Paris
nach der Inſel Cayenne reiste, die nur fünf Grade nördlich vom
Aequator entfernt iſt. Als er hier ſeine Pendeluhr, die in Paris
genau nach mittlerer Zeit geſtellt war, wieder aufſtellte, fand er,
daß ſie täglich nahe um 2½ Minuten zu ſpät ging, ſo daß er das
Pendel nahe 5/4 einer Pariſer Linie verkürzen mußte, um ſeine
Uhr auch in Cayenne mit der mittleren Zeit dieſes Ortes über-
einſtimmend zu machen. Er konnte dieſes ſonderbare Ereigniß
um ſo weniger einer Störung der Uhr während ſeiner Reiſe zu-
ſchreiben, da das ſo verkürzte Pendel, als er es wieder nach Paris
zurückbrachte, um dieſelbe Größe verlängert werden mußte, indem
die Uhr bei ſeiner Ankunft in Paris täglich um 148 Secunden
gegen die mittlere Zeit zu ſchn[e]ll ging.

Newton, deſſen Scharfſinn ſogleich die Urſache dieſer Erſchei-
nung entdeckte, ſtand nicht an, ſie für den ſo lange geſuchten
experimentalen Beweis der Rotation der Erde zu erklären. Seit-
dem ſind die Beobachtungen dieſer Art ſehr vervollkommnet, und
beinahe in allen Orten der Erde wiederholt worden, und ſie
haben nicht nur Newton’s Anſicht von derſelben vollkommen beſtätigt,
oder einen vollſtändigen Beweis der Rotation der Erde geliefert,
ſondern ſie haben uns auch den wahren Werth ihrer Abplattung
an den Polen, und die Größe des Raumes, durch welche frei
fallende Körper in der erſten Secunde gehen, mit einer Genauig-
keit kennen gelehrt, die wir durch kein anderes Mittel hätten
erreichen können. Endlich haben dieſe Pendel, auf eine zweck-
mäßige Art an unſere Uhren angebracht, unſerer ganzen practi-
ſchen Aſtronomie eine neuere, beſſere Geſtalt gegeben, daher wir
ſie hier, ſo weit es unſer Gegenſtand erfordert, näher betrachten
wollen.

§. 33. (Secundenpendel). Ein Faden CA Fig. 6, der an
ſeinem oberen Ende C befeſtigt iſt, und an ſeinem unteren A
einen ſchweren Körper z. B. eine kleine Kugel von Blei trägt,
wird, wenn man ihn ſich ſelbſt überläßt, wegen der Wirkung der

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[84/0096] Tägliche Bewegung der Erde. Abplattung der Erde an ihren Polen durch theoretiſche Gründe, denn andere hatte man nicht, zu beweiſen ſuchte. §. 32. (Wirkung der Schwere auf den Gang der Uhren). So ſtand dieſe Angelegenheit, als im Jahre 1672, im dreißigſten Le- bensjahre Newton’s der franzöſiſche Aſtronom Richer von Paris nach der Inſel Cayenne reiste, die nur fünf Grade nördlich vom Aequator entfernt iſt. Als er hier ſeine Pendeluhr, die in Paris genau nach mittlerer Zeit geſtellt war, wieder aufſtellte, fand er, daß ſie täglich nahe um 2½ Minuten zu ſpät ging, ſo daß er das Pendel nahe 5/4 einer Pariſer Linie verkürzen mußte, um ſeine Uhr auch in Cayenne mit der mittleren Zeit dieſes Ortes über- einſtimmend zu machen. Er konnte dieſes ſonderbare Ereigniß um ſo weniger einer Störung der Uhr während ſeiner Reiſe zu- ſchreiben, da das ſo verkürzte Pendel, als er es wieder nach Paris zurückbrachte, um dieſelbe Größe verlängert werden mußte, indem die Uhr bei ſeiner Ankunft in Paris täglich um 148 Secunden gegen die mittlere Zeit zu ſchnell ging. Newton, deſſen Scharfſinn ſogleich die Urſache dieſer Erſchei- nung entdeckte, ſtand nicht an, ſie für den ſo lange geſuchten experimentalen Beweis der Rotation der Erde zu erklären. Seit- dem ſind die Beobachtungen dieſer Art ſehr vervollkommnet, und beinahe in allen Orten der Erde wiederholt worden, und ſie haben nicht nur Newton’s Anſicht von derſelben vollkommen beſtätigt, oder einen vollſtändigen Beweis der Rotation der Erde geliefert, ſondern ſie haben uns auch den wahren Werth ihrer Abplattung an den Polen, und die Größe des Raumes, durch welche frei fallende Körper in der erſten Secunde gehen, mit einer Genauig- keit kennen gelehrt, die wir durch kein anderes Mittel hätten erreichen können. Endlich haben dieſe Pendel, auf eine zweck- mäßige Art an unſere Uhren angebracht, unſerer ganzen practi- ſchen Aſtronomie eine neuere, beſſere Geſtalt gegeben, daher wir ſie hier, ſo weit es unſer Gegenſtand erfordert, näher betrachten wollen. §. 33. (Secundenpendel). Ein Faden CA Fig. 6, der an ſeinem oberen Ende C befeſtigt iſt, und an ſeinem unteren A einen ſchweren Körper z. B. eine kleine Kugel von Blei trägt, wird, wenn man ihn ſich ſelbſt überläßt, wegen der Wirkung der

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/96>, abgerufen am 29.03.2024.