Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Gestalt der Erde.
von ihnen entfernenden Schiffe zuerst die untersten Theile dessel-
ben aus dem Gesichte verlieren, und zuletzt, ehe das Ganze ver-
schwindet, nur noch die höchsten Spitzen der Maste erblicken. Da
diese Erscheinung auf allen Orten der Erde Statt hat, so muß
diese selbst eine runde Gestalt haben, und kann keine Ebene seyn,
weil in dem letztern Falle jenes Schiff, gleich einem Vogel oder
einem Luftballone, je weiter er sich von uns entfernt, nicht, wie
zuvor bloß an seiner unteren Seite unsichtbar, sondern in allen
seinen Theilen zugleich kleiner werden, und endlich als ein für
unser Auge unsichtbarer Punkt gänzlich verschwinden müßte.

§. 8. (II. Aus Reisen in der Richtung des Meridians).
Jedermann kennt das schöne Sternbild am nördlichen Himmel,
welches man den großen Bären oder auch den Wagen nennt.
Es besteht vorzüglich aus sieben großen Sternen, deren vier wie
die Räder eines Wagens sehr nahe ein regelmäßiges Viereck
bilden, während die drei anderen die etwas gekrümmte Deichsel
vorstellen. Wenn man durch die beiden Hinterräder desselben eine
gerade Linie zieht, und die Verlängerung desselben gegen Norden,
fünfmal so groß nimmt, als die Distanz dieser zwei Räder, so
trifft das Ende dieser Linie einen anderen schönen Stern, den
man den Polarstern nennt. Dieser wichtige Stern, von wel-
chem wir später noch oft sprechen werden, steht beinahe in völliger
Ruhe am Himmel, während alle anderen täglich kleinere oder
größere Kreise um ihn zu beschreiben scheinen. Wenn man auf
der Erde in der Richtung von Süd nach Nord gleichsam auf den
Polarstern zureist, so erhebt sich jener Stern immer mehr über
unseren Horizont, und zwar in demselben Verhältnisse, in
welchen man gegen Norden vorrückt. Eine solche Reise in der
Richtung von Süd gegen Nord würde z. B. die von Rom über
Venedig, Regensburg und Leipzig nach Rostock seyn. In Rom
aber sieht man den Polarstern in der Höhe von 42 Graden über
dem Horizonte, während er in Rostock 12 Grade höher oder in
der Höhe von 54 Graden über dem Horizont dieser letzten Stadt
erscheint. Allein die Distanz dieser beiden Orte auf der Erde
beträgt 180 d. Meilen. Da aber, nach dem Vorhergebenden, 15
d. Meilen auf einen Grad des Umfangs der Erde gehen, so be-
tragen diese 180 Meilen ebenfalls 12 Grade auf der Oberfläche

Geſtalt der Erde.
von ihnen entfernenden Schiffe zuerſt die unterſten Theile deſſel-
ben aus dem Geſichte verlieren, und zuletzt, ehe das Ganze ver-
ſchwindet, nur noch die höchſten Spitzen der Maſte erblicken. Da
dieſe Erſcheinung auf allen Orten der Erde Statt hat, ſo muß
dieſe ſelbſt eine runde Geſtalt haben, und kann keine Ebene ſeyn,
weil in dem letztern Falle jenes Schiff, gleich einem Vogel oder
einem Luftballone, je weiter er ſich von uns entfernt, nicht, wie
zuvor bloß an ſeiner unteren Seite unſichtbar, ſondern in allen
ſeinen Theilen zugleich kleiner werden, und endlich als ein für
unſer Auge unſichtbarer Punkt gänzlich verſchwinden müßte.

§. 8. (II. Aus Reiſen in der Richtung des Meridians).
Jedermann kennt das ſchöne Sternbild am nördlichen Himmel,
welches man den großen Bären oder auch den Wagen nennt.
Es beſteht vorzüglich aus ſieben großen Sternen, deren vier wie
die Räder eines Wagens ſehr nahe ein regelmäßiges Viereck
bilden, während die drei anderen die etwas gekrümmte Deichſel
vorſtellen. Wenn man durch die beiden Hinterräder deſſelben eine
gerade Linie zieht, und die Verlängerung deſſelben gegen Norden,
fünfmal ſo groß nimmt, als die Diſtanz dieſer zwei Räder, ſo
trifft das Ende dieſer Linie einen anderen ſchönen Stern, den
man den Polarſtern nennt. Dieſer wichtige Stern, von wel-
chem wir ſpäter noch oft ſprechen werden, ſteht beinahe in völliger
Ruhe am Himmel, während alle anderen täglich kleinere oder
größere Kreiſe um ihn zu beſchreiben ſcheinen. Wenn man auf
der Erde in der Richtung von Süd nach Nord gleichſam auf den
Polarſtern zureist, ſo erhebt ſich jener Stern immer mehr über
unſeren Horizont, und zwar in demſelben Verhältniſſe, in
welchen man gegen Norden vorrückt. Eine ſolche Reiſe in der
Richtung von Süd gegen Nord würde z. B. die von Rom über
Venedig, Regensburg und Leipzig nach Roſtock ſeyn. In Rom
aber ſieht man den Polarſtern in der Höhe von 42 Graden über
dem Horizonte, während er in Roſtock 12 Grade höher oder in
der Höhe von 54 Graden über dem Horizont dieſer letzten Stadt
erſcheint. Allein die Diſtanz dieſer beiden Orte auf der Erde
beträgt 180 d. Meilen. Da aber, nach dem Vorhergebenden, 15
d. Meilen auf einen Grad des Umfangs der Erde gehen, ſo be-
tragen dieſe 180 Meilen ebenfalls 12 Grade auf der Oberfläche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0064" n="52"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ge&#x017F;talt der Erde</hi>.</fw><lb/>
von ihnen entfernenden Schiffe zuer&#x017F;t die unter&#x017F;ten Theile de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben aus dem Ge&#x017F;ichte verlieren, und zuletzt, ehe das Ganze ver-<lb/>
&#x017F;chwindet, nur noch die höch&#x017F;ten Spitzen der Ma&#x017F;te erblicken. Da<lb/>
die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung auf allen Orten der Erde Statt hat, &#x017F;o muß<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t eine runde Ge&#x017F;talt haben, und kann keine Ebene &#x017F;eyn,<lb/>
weil in dem letztern Falle jenes Schiff, gleich einem Vogel oder<lb/>
einem Luftballone, je weiter er &#x017F;ich von uns entfernt, nicht, wie<lb/>
zuvor bloß an &#x017F;einer unteren Seite un&#x017F;ichtbar, &#x017F;ondern in allen<lb/>
&#x017F;einen Theilen zugleich kleiner werden, und endlich als ein für<lb/>
un&#x017F;er Auge un&#x017F;ichtbarer Punkt gänzlich ver&#x017F;chwinden müßte.</p><lb/>
          <p>§. 8. (<hi rendition="#aq">II.</hi> Aus Rei&#x017F;en in der Richtung des Meridians).<lb/>
Jedermann kennt das &#x017F;chöne Sternbild am nördlichen Himmel,<lb/>
welches man den großen Bären oder auch den Wagen nennt.<lb/>
Es be&#x017F;teht vorzüglich aus &#x017F;ieben großen Sternen, deren vier wie<lb/>
die Räder eines Wagens &#x017F;ehr nahe ein regelmäßiges Viereck<lb/>
bilden, während die drei anderen die etwas gekrümmte Deich&#x017F;el<lb/>
vor&#x017F;tellen. Wenn man durch die beiden Hinterräder de&#x017F;&#x017F;elben eine<lb/>
gerade Linie zieht, und die Verlängerung de&#x017F;&#x017F;elben gegen Norden,<lb/>
fünfmal &#x017F;o groß nimmt, als die Di&#x017F;tanz die&#x017F;er zwei Räder, &#x017F;o<lb/>
trifft das Ende die&#x017F;er Linie einen anderen &#x017F;chönen Stern, den<lb/>
man den <hi rendition="#g">Polar&#x017F;tern</hi> nennt. Die&#x017F;er wichtige Stern, von wel-<lb/>
chem wir &#x017F;päter noch oft &#x017F;prechen werden, &#x017F;teht beinahe in völliger<lb/>
Ruhe am Himmel, während alle anderen täglich kleinere oder<lb/>
größere Krei&#x017F;e um ihn zu be&#x017F;chreiben &#x017F;cheinen. Wenn man auf<lb/>
der Erde in der Richtung von Süd nach Nord gleich&#x017F;am auf den<lb/>
Polar&#x017F;tern zureist, &#x017F;o erhebt &#x017F;ich jener Stern immer mehr über<lb/>
un&#x017F;eren Horizont, und zwar <hi rendition="#g">in dem&#x017F;elben Verhältni&#x017F;&#x017F;e</hi>, in<lb/>
welchen man gegen Norden vorrückt. Eine &#x017F;olche Rei&#x017F;e in der<lb/>
Richtung von Süd gegen Nord würde z. B. die von Rom über<lb/>
Venedig, Regensburg und Leipzig nach Ro&#x017F;tock &#x017F;eyn. In Rom<lb/>
aber &#x017F;ieht man den Polar&#x017F;tern in der Höhe von 42 Graden über<lb/>
dem Horizonte, während er in Ro&#x017F;tock 12 Grade höher oder in<lb/>
der Höhe von 54 Graden über dem Horizont die&#x017F;er letzten Stadt<lb/>
er&#x017F;cheint. Allein die Di&#x017F;tanz die&#x017F;er beiden Orte auf der Erde<lb/>
beträgt 180 d. Meilen. Da aber, nach dem Vorhergebenden, 15<lb/>
d. Meilen auf einen Grad des Umfangs der Erde gehen, &#x017F;o be-<lb/>
tragen die&#x017F;e 180 Meilen ebenfalls 12 Grade auf der Oberfläche<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0064] Geſtalt der Erde. von ihnen entfernenden Schiffe zuerſt die unterſten Theile deſſel- ben aus dem Geſichte verlieren, und zuletzt, ehe das Ganze ver- ſchwindet, nur noch die höchſten Spitzen der Maſte erblicken. Da dieſe Erſcheinung auf allen Orten der Erde Statt hat, ſo muß dieſe ſelbſt eine runde Geſtalt haben, und kann keine Ebene ſeyn, weil in dem letztern Falle jenes Schiff, gleich einem Vogel oder einem Luftballone, je weiter er ſich von uns entfernt, nicht, wie zuvor bloß an ſeiner unteren Seite unſichtbar, ſondern in allen ſeinen Theilen zugleich kleiner werden, und endlich als ein für unſer Auge unſichtbarer Punkt gänzlich verſchwinden müßte. §. 8. (II. Aus Reiſen in der Richtung des Meridians). Jedermann kennt das ſchöne Sternbild am nördlichen Himmel, welches man den großen Bären oder auch den Wagen nennt. Es beſteht vorzüglich aus ſieben großen Sternen, deren vier wie die Räder eines Wagens ſehr nahe ein regelmäßiges Viereck bilden, während die drei anderen die etwas gekrümmte Deichſel vorſtellen. Wenn man durch die beiden Hinterräder deſſelben eine gerade Linie zieht, und die Verlängerung deſſelben gegen Norden, fünfmal ſo groß nimmt, als die Diſtanz dieſer zwei Räder, ſo trifft das Ende dieſer Linie einen anderen ſchönen Stern, den man den Polarſtern nennt. Dieſer wichtige Stern, von wel- chem wir ſpäter noch oft ſprechen werden, ſteht beinahe in völliger Ruhe am Himmel, während alle anderen täglich kleinere oder größere Kreiſe um ihn zu beſchreiben ſcheinen. Wenn man auf der Erde in der Richtung von Süd nach Nord gleichſam auf den Polarſtern zureist, ſo erhebt ſich jener Stern immer mehr über unſeren Horizont, und zwar in demſelben Verhältniſſe, in welchen man gegen Norden vorrückt. Eine ſolche Reiſe in der Richtung von Süd gegen Nord würde z. B. die von Rom über Venedig, Regensburg und Leipzig nach Roſtock ſeyn. In Rom aber ſieht man den Polarſtern in der Höhe von 42 Graden über dem Horizonte, während er in Roſtock 12 Grade höher oder in der Höhe von 54 Graden über dem Horizont dieſer letzten Stadt erſcheint. Allein die Diſtanz dieſer beiden Orte auf der Erde beträgt 180 d. Meilen. Da aber, nach dem Vorhergebenden, 15 d. Meilen auf einen Grad des Umfangs der Erde gehen, ſo be- tragen dieſe 180 Meilen ebenfalls 12 Grade auf der Oberfläche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/64
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/64>, abgerufen am 19.04.2024.