Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Kepler's Gesetze.
und dem Monde, sondern überhaupt bei allen Planeten angestellt
worden, und sie haben alle, ohne Ausnahme, gezeigt, daß dieses
Gesetz zwischen den Geschwindigkeiten und den Entfernungen der
Planeten von der Sonne für alle diese Himmelskörper, und in
allen Punkten ihrer Bahnen statt habe, und daß man daher, der
Analogie und der größten Wahrscheinlichkeit gemäß, dasselbe für
das wahre Gesetz der Natur ansehen könne. Wir werden sogleich
sehen, daß dieses Gesetz, dessen Kenntniß wir Kepler'n verdanken,
und das daher auch unter der Benennung des ersten Kepler'schen
Gesetzes bekannt ist, für die ganze Theorie der Bewegung der
Planeten von der größten Wichtigkeit ist. Es ist, wie weiter un-
ten gezeigt werden wird, ein ganz allgemeines Gesetz, das nicht
bloß den Planeten, sondern überhaupt allen Körpern zu Grunde
liegt, die sich um einen festen Punkt, als Centralpunkt ihrer Bah-
nen, bewegen.

§. 133. (Untersuchung der wahren krummen Linie der Plane-
tenbahnen.) Indem also Kepler die Beobachtungen Tycho's mit
der Hypothese des Copernicus verglich, nach welcher alle Planeten
in Kreisen um die Sonne gehen, und indem er fand, daß sich
diese Beobachtungen durch jene Hypothese nicht mit der erforder-
lichen Genauigkeit darstellen ließen, war er gleichsam gezwungen,
irgend eine schickliche Aenderung jenes Systemes vorzunehmen,
um dadurch jene so wünschenswerthe Uebereinstimmung zu erhal-
ten. Sein Verdacht fiel gleich anfangs auf jene Kreise, welche
die Alten bloß aus dem Grunde eingeführt hatten, weil der Kreis,
nach ihrer Ansicht, unter allen krummen Linien die vollkommenste,
also auch die der Natur angemessenste, ja die ihr allein würdige
seyn sollte. So wenig entscheidend solche bloß metaphysiche Ur-
sachen für die Kenntniß der Natur, die sich nur durch unmittel-
bare Beobachtungen erhalten läßt, auch immer seyn mögen, so
wußte sich doch diese Idee bald allgemeinen Eingang zu verschaf-
fen, und sie blieb, bis zu dem Anfang des siebenzehnten Jahr-
hunderts die herrschende Meinung nicht bloß der Menge, sondern
auch der eigentlichen Astronomen. Copernicus, der sich doch so
wenig von Vorurtheilen leiten ließ, daß er vielmehr sein ganzes
Leben darauf verwendete, eines der ältesten und hartnäckigsten,
das sich des menschlichen Geistes bemeistert hatte, zu besiegen,

Kepler’s Geſetze.
und dem Monde, ſondern überhaupt bei allen Planeten angeſtellt
worden, und ſie haben alle, ohne Ausnahme, gezeigt, daß dieſes
Geſetz zwiſchen den Geſchwindigkeiten und den Entfernungen der
Planeten von der Sonne für alle dieſe Himmelskörper, und in
allen Punkten ihrer Bahnen ſtatt habe, und daß man daher, der
Analogie und der größten Wahrſcheinlichkeit gemäß, daſſelbe für
das wahre Geſetz der Natur anſehen könne. Wir werden ſogleich
ſehen, daß dieſes Geſetz, deſſen Kenntniß wir Kepler’n verdanken,
und das daher auch unter der Benennung des erſten Kepler’ſchen
Geſetzes bekannt iſt, für die ganze Theorie der Bewegung der
Planeten von der größten Wichtigkeit iſt. Es iſt, wie weiter un-
ten gezeigt werden wird, ein ganz allgemeines Geſetz, das nicht
bloß den Planeten, ſondern überhaupt allen Körpern zu Grunde
liegt, die ſich um einen feſten Punkt, als Centralpunkt ihrer Bah-
nen, bewegen.

§. 133. (Unterſuchung der wahren krummen Linie der Plane-
tenbahnen.) Indem alſo Kepler die Beobachtungen Tycho’s mit
der Hypotheſe des Copernicus verglich, nach welcher alle Planeten
in Kreiſen um die Sonne gehen, und indem er fand, daß ſich
dieſe Beobachtungen durch jene Hypotheſe nicht mit der erforder-
lichen Genauigkeit darſtellen ließen, war er gleichſam gezwungen,
irgend eine ſchickliche Aenderung jenes Syſtemes vorzunehmen,
um dadurch jene ſo wünſchenswerthe Uebereinſtimmung zu erhal-
ten. Sein Verdacht fiel gleich anfangs auf jene Kreiſe, welche
die Alten bloß aus dem Grunde eingeführt hatten, weil der Kreis,
nach ihrer Anſicht, unter allen krummen Linien die vollkommenſte,
alſo auch die der Natur angemeſſenſte, ja die ihr allein würdige
ſeyn ſollte. So wenig entſcheidend ſolche bloß metaphyſiche Ur-
ſachen für die Kenntniß der Natur, die ſich nur durch unmittel-
bare Beobachtungen erhalten läßt, auch immer ſeyn mögen, ſo
wußte ſich doch dieſe Idee bald allgemeinen Eingang zu verſchaf-
fen, und ſie blieb, bis zu dem Anfang des ſiebenzehnten Jahr-
hunderts die herrſchende Meinung nicht bloß der Menge, ſondern
auch der eigentlichen Aſtronomen. Copernicus, der ſich doch ſo
wenig von Vorurtheilen leiten ließ, daß er vielmehr ſein ganzes
Leben darauf verwendete, eines der älteſten und hartnäckigſten,
das ſich des menſchlichen Geiſtes bemeiſtert hatte, zu beſiegen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0278" n="266"/><fw place="top" type="header">Kepler&#x2019;s Ge&#x017F;etze.</fw><lb/>
und dem Monde, &#x017F;ondern überhaupt bei allen Planeten ange&#x017F;tellt<lb/>
worden, und &#x017F;ie haben alle, ohne Ausnahme, gezeigt, daß die&#x017F;es<lb/>
Ge&#x017F;etz zwi&#x017F;chen den Ge&#x017F;chwindigkeiten und den Entfernungen der<lb/>
Planeten von der Sonne für alle die&#x017F;e Himmelskörper, und in<lb/>
allen Punkten ihrer Bahnen &#x017F;tatt habe, und daß man daher, der<lb/>
Analogie und der größten Wahr&#x017F;cheinlichkeit gemäß, da&#x017F;&#x017F;elbe für<lb/>
das wahre Ge&#x017F;etz der Natur an&#x017F;ehen könne. Wir werden &#x017F;ogleich<lb/>
&#x017F;ehen, daß die&#x017F;es Ge&#x017F;etz, de&#x017F;&#x017F;en Kenntniß wir Kepler&#x2019;n verdanken,<lb/>
und das daher auch unter der Benennung des er&#x017F;ten Kepler&#x2019;&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;etzes bekannt i&#x017F;t, für die ganze Theorie der Bewegung der<lb/>
Planeten von der größten Wichtigkeit i&#x017F;t. Es i&#x017F;t, wie weiter un-<lb/>
ten gezeigt werden wird, ein ganz allgemeines Ge&#x017F;etz, das nicht<lb/>
bloß den Planeten, &#x017F;ondern überhaupt allen Körpern zu Grunde<lb/>
liegt, die &#x017F;ich um einen fe&#x017F;ten Punkt, als Centralpunkt ihrer Bah-<lb/>
nen, bewegen.</p><lb/>
          <p>§. 133. (Unter&#x017F;uchung der wahren krummen Linie der Plane-<lb/>
tenbahnen.) Indem al&#x017F;o Kepler die Beobachtungen Tycho&#x2019;s mit<lb/>
der Hypothe&#x017F;e des Copernicus verglich, nach welcher alle Planeten<lb/>
in Krei&#x017F;en um die Sonne gehen, und indem er fand, daß &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;e Beobachtungen durch jene Hypothe&#x017F;e nicht mit der erforder-<lb/>
lichen Genauigkeit dar&#x017F;tellen ließen, war er gleich&#x017F;am gezwungen,<lb/>
irgend eine &#x017F;chickliche Aenderung jenes Sy&#x017F;temes vorzunehmen,<lb/>
um dadurch jene &#x017F;o wün&#x017F;chenswerthe Ueberein&#x017F;timmung zu erhal-<lb/>
ten. Sein Verdacht fiel gleich anfangs auf jene Krei&#x017F;e, welche<lb/>
die Alten bloß aus dem Grunde eingeführt hatten, weil der Kreis,<lb/>
nach ihrer An&#x017F;icht, unter allen krummen Linien die vollkommen&#x017F;te,<lb/>
al&#x017F;o auch die der Natur angeme&#x017F;&#x017F;en&#x017F;te, ja die ihr allein würdige<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;ollte. So wenig ent&#x017F;cheidend &#x017F;olche bloß metaphy&#x017F;iche Ur-<lb/>
&#x017F;achen für die Kenntniß der Natur, die &#x017F;ich nur durch unmittel-<lb/>
bare Beobachtungen erhalten läßt, auch immer &#x017F;eyn mögen, &#x017F;o<lb/>
wußte &#x017F;ich doch die&#x017F;e Idee bald allgemeinen Eingang zu ver&#x017F;chaf-<lb/>
fen, und &#x017F;ie blieb, bis zu dem Anfang des &#x017F;iebenzehnten Jahr-<lb/>
hunderts die herr&#x017F;chende Meinung nicht bloß der Menge, &#x017F;ondern<lb/>
auch der eigentlichen A&#x017F;tronomen. Copernicus, der &#x017F;ich doch &#x017F;o<lb/>
wenig von Vorurtheilen leiten ließ, daß er vielmehr &#x017F;ein ganzes<lb/>
Leben darauf verwendete, eines der älte&#x017F;ten und hartnäckig&#x017F;ten,<lb/>
das &#x017F;ich des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes bemei&#x017F;tert hatte, zu be&#x017F;iegen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0278] Kepler’s Geſetze. und dem Monde, ſondern überhaupt bei allen Planeten angeſtellt worden, und ſie haben alle, ohne Ausnahme, gezeigt, daß dieſes Geſetz zwiſchen den Geſchwindigkeiten und den Entfernungen der Planeten von der Sonne für alle dieſe Himmelskörper, und in allen Punkten ihrer Bahnen ſtatt habe, und daß man daher, der Analogie und der größten Wahrſcheinlichkeit gemäß, daſſelbe für das wahre Geſetz der Natur anſehen könne. Wir werden ſogleich ſehen, daß dieſes Geſetz, deſſen Kenntniß wir Kepler’n verdanken, und das daher auch unter der Benennung des erſten Kepler’ſchen Geſetzes bekannt iſt, für die ganze Theorie der Bewegung der Planeten von der größten Wichtigkeit iſt. Es iſt, wie weiter un- ten gezeigt werden wird, ein ganz allgemeines Geſetz, das nicht bloß den Planeten, ſondern überhaupt allen Körpern zu Grunde liegt, die ſich um einen feſten Punkt, als Centralpunkt ihrer Bah- nen, bewegen. §. 133. (Unterſuchung der wahren krummen Linie der Plane- tenbahnen.) Indem alſo Kepler die Beobachtungen Tycho’s mit der Hypotheſe des Copernicus verglich, nach welcher alle Planeten in Kreiſen um die Sonne gehen, und indem er fand, daß ſich dieſe Beobachtungen durch jene Hypotheſe nicht mit der erforder- lichen Genauigkeit darſtellen ließen, war er gleichſam gezwungen, irgend eine ſchickliche Aenderung jenes Syſtemes vorzunehmen, um dadurch jene ſo wünſchenswerthe Uebereinſtimmung zu erhal- ten. Sein Verdacht fiel gleich anfangs auf jene Kreiſe, welche die Alten bloß aus dem Grunde eingeführt hatten, weil der Kreis, nach ihrer Anſicht, unter allen krummen Linien die vollkommenſte, alſo auch die der Natur angemeſſenſte, ja die ihr allein würdige ſeyn ſollte. So wenig entſcheidend ſolche bloß metaphyſiche Ur- ſachen für die Kenntniß der Natur, die ſich nur durch unmittel- bare Beobachtungen erhalten läßt, auch immer ſeyn mögen, ſo wußte ſich doch dieſe Idee bald allgemeinen Eingang zu verſchaf- fen, und ſie blieb, bis zu dem Anfang des ſiebenzehnten Jahr- hunderts die herrſchende Meinung nicht bloß der Menge, ſondern auch der eigentlichen Aſtronomen. Copernicus, der ſich doch ſo wenig von Vorurtheilen leiten ließ, daß er vielmehr ſein ganzes Leben darauf verwendete, eines der älteſten und hartnäckigſten, das ſich des menſchlichen Geiſtes bemeiſtert hatte, zu beſiegen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/278
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/278>, abgerufen am 19.04.2024.