Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Jahreszeiten.
auf unseren Erdgloben, eben so zweckwidrig als unnütz, durch die
Ecliptik bezeichnet wird, und die Folge davon würde seyn, daß
alle die Orte der Erde, welche unter diesem Kreise liegen, die
Sonne einmal im Jahre in ihrem Zenithe sehen und zwar sehr
lange sehen würden, indem die Strahlen derselben für jeden Be-
wohner jener Orte beinahe zwei volle Monate durch -- immer
nahe senkrecht auf seinen Scheitel fallen würden. Welche lange,
drückende Mittagsstunden, deren Schwüle nur wieder mit der
starren Kälte der eben so langen Stunden der Mitternacht in
Vergleich gebracht werden können! Auch die übrigen Menschen,
die zu beiden Seiten dieses unheilvollen Kreises wohnen, würden
keine Ursache haben, sich aus diesem Grunde glücklicher zu preisen,
da auch sie in der zu lange anhaltenden Hitze verschmachten oder
in dem halbjährigen Froste erstarren müßten. Die kalte und ein
großer Theil der gemäßigten Zone endlich würde für Menschen
und Thiere ganz unbewohnbar seyn.

§. 84. (Wenn die Ecliptik mit dem Aequator zusammenfiele.)
Allen diesen Uebeln ist durch die einfache Einrichtung, daß die
Erde in der kurzen Zeit eines Tages sich um ihre Axe dreht, we-
nigstens größtentheils abgeholfen. Ich sage, größtentheils, denn
wenn zu dieser Umdrehung nicht noch eine Bedingung hinzu
kömmt, so würde es um den schönen Wechsel unserer Jahreszeiten,
den wir nun einmal weder entbehren wollen noch können, immer
noch sehr mißlich stehen. Denn man lasse nur die Erde sich täg-
lich drehen, aber in derselben Ebene drehen, in welcher sie zu-
gleich jährlich um die Sonne geht, oder mit anderen Worten,
man lasse die Ecliptik mit dem Aequator zusammen fallen. Die
unmittelbare Folge dieser neuen Einrichtung würde seyn, daß
überall auf der ganzen Erde und durch das ganze Jahr der Tag
gleich lang mit jeder Nacht seyn, daß ein immerwährender Früh-
ling auf der Erde herrschen, und daß von einem Wechsel der Tem-
peratur und der Jahreszeiten keine Rede mehr seyn würde. Ob wir
aber bei diesem ewigen Frühling, den unsere Dichter wahrschein-
lich nur deßhalb so oft preisen, weil sie ihn nicht kennen, uns
besser oder auch nur überhaupt noch erträglich befinden würden,
möchte sehr zu bezweifeln seyn. Die Gegenden unter dem Aequa-
tor würden wahrscheinlich unter der sengenden Hitze ihres Klima's

Jahreszeiten.
auf unſeren Erdgloben, eben ſo zweckwidrig als unnütz, durch die
Ecliptik bezeichnet wird, und die Folge davon würde ſeyn, daß
alle die Orte der Erde, welche unter dieſem Kreiſe liegen, die
Sonne einmal im Jahre in ihrem Zenithe ſehen und zwar ſehr
lange ſehen würden, indem die Strahlen derſelben für jeden Be-
wohner jener Orte beinahe zwei volle Monate durch — immer
nahe ſenkrecht auf ſeinen Scheitel fallen würden. Welche lange,
drückende Mittagsſtunden, deren Schwüle nur wieder mit der
ſtarren Kälte der eben ſo langen Stunden der Mitternacht in
Vergleich gebracht werden können! Auch die übrigen Menſchen,
die zu beiden Seiten dieſes unheilvollen Kreiſes wohnen, würden
keine Urſache haben, ſich aus dieſem Grunde glücklicher zu preiſen,
da auch ſie in der zu lange anhaltenden Hitze verſchmachten oder
in dem halbjährigen Froſte erſtarren müßten. Die kalte und ein
großer Theil der gemäßigten Zone endlich würde für Menſchen
und Thiere ganz unbewohnbar ſeyn.

§. 84. (Wenn die Ecliptik mit dem Aequator zuſammenfiele.)
Allen dieſen Uebeln iſt durch die einfache Einrichtung, daß die
Erde in der kurzen Zeit eines Tages ſich um ihre Axe dreht, we-
nigſtens größtentheils abgeholfen. Ich ſage, größtentheils, denn
wenn zu dieſer Umdrehung nicht noch eine Bedingung hinzu
kömmt, ſo würde es um den ſchönen Wechſel unſerer Jahreszeiten,
den wir nun einmal weder entbehren wollen noch können, immer
noch ſehr mißlich ſtehen. Denn man laſſe nur die Erde ſich täg-
lich drehen, aber in derſelben Ebene drehen, in welcher ſie zu-
gleich jährlich um die Sonne geht, oder mit anderen Worten,
man laſſe die Ecliptik mit dem Aequator zuſammen fallen. Die
unmittelbare Folge dieſer neuen Einrichtung würde ſeyn, daß
überall auf der ganzen Erde und durch das ganze Jahr der Tag
gleich lang mit jeder Nacht ſeyn, daß ein immerwährender Früh-
ling auf der Erde herrſchen, und daß von einem Wechſel der Tem-
peratur und der Jahreszeiten keine Rede mehr ſeyn würde. Ob wir
aber bei dieſem ewigen Frühling, den unſere Dichter wahrſchein-
lich nur deßhalb ſo oft preiſen, weil ſie ihn nicht kennen, uns
beſſer oder auch nur überhaupt noch erträglich befinden würden,
möchte ſehr zu bezweifeln ſeyn. Die Gegenden unter dem Aequa-
tor würden wahrſcheinlich unter der ſengenden Hitze ihres Klima’s

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0208" n="196"/><fw place="top" type="header">Jahreszeiten.</fw><lb/>
auf un&#x017F;eren Erdgloben, eben &#x017F;o zweckwidrig als unnütz, durch die<lb/>
Ecliptik bezeichnet wird, und die Folge davon würde &#x017F;eyn, daß<lb/>
alle die Orte der Erde, welche unter die&#x017F;em Krei&#x017F;e liegen, die<lb/>
Sonne einmal im Jahre in ihrem Zenithe &#x017F;ehen und zwar &#x017F;ehr<lb/>
lange &#x017F;ehen würden, indem die Strahlen der&#x017F;elben für jeden Be-<lb/>
wohner jener Orte beinahe zwei volle Monate durch &#x2014; immer<lb/>
nahe &#x017F;enkrecht auf &#x017F;einen Scheitel fallen würden. Welche lange,<lb/>
drückende Mittags&#x017F;tunden, deren Schwüle nur wieder mit der<lb/>
&#x017F;tarren Kälte der eben &#x017F;o langen Stunden der Mitternacht in<lb/>
Vergleich gebracht werden können! Auch die übrigen Men&#x017F;chen,<lb/>
die zu beiden Seiten die&#x017F;es unheilvollen Krei&#x017F;es wohnen, würden<lb/>
keine Ur&#x017F;ache haben, &#x017F;ich aus die&#x017F;em Grunde glücklicher zu prei&#x017F;en,<lb/>
da auch &#x017F;ie in der zu lange anhaltenden Hitze ver&#x017F;chmachten oder<lb/>
in dem halbjährigen Fro&#x017F;te er&#x017F;tarren müßten. Die kalte und ein<lb/>
großer Theil der gemäßigten Zone endlich würde für Men&#x017F;chen<lb/>
und Thiere ganz unbewohnbar &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>§. 84. (Wenn die Ecliptik mit dem Aequator zu&#x017F;ammenfiele.)<lb/>
Allen die&#x017F;en Uebeln i&#x017F;t durch die einfache Einrichtung, daß die<lb/>
Erde in der kurzen Zeit eines Tages &#x017F;ich um ihre Axe dreht, we-<lb/>
nig&#x017F;tens größtentheils abgeholfen. Ich &#x017F;age, größtentheils, denn<lb/>
wenn zu die&#x017F;er Umdrehung nicht noch eine Bedingung hinzu<lb/>
kömmt, &#x017F;o würde es um den &#x017F;chönen Wech&#x017F;el un&#x017F;erer Jahreszeiten,<lb/>
den wir nun einmal weder entbehren wollen noch können, immer<lb/>
noch &#x017F;ehr mißlich &#x017F;tehen. Denn man la&#x017F;&#x017F;e nur die Erde &#x017F;ich täg-<lb/>
lich drehen, aber in <hi rendition="#g">der&#x017F;elben</hi> Ebene drehen, in welcher &#x017F;ie zu-<lb/>
gleich jährlich um die Sonne geht, oder mit anderen Worten,<lb/>
man la&#x017F;&#x017F;e die Ecliptik mit dem Aequator zu&#x017F;ammen fallen. Die<lb/>
unmittelbare Folge die&#x017F;er neuen Einrichtung würde &#x017F;eyn, daß<lb/>
überall auf der ganzen Erde und durch das ganze Jahr der Tag<lb/>
gleich lang mit jeder Nacht &#x017F;eyn, daß ein immerwährender Früh-<lb/>
ling auf der Erde herr&#x017F;chen, und daß von einem Wech&#x017F;el der Tem-<lb/>
peratur und der Jahreszeiten keine Rede mehr &#x017F;eyn würde. Ob wir<lb/>
aber bei die&#x017F;em ewigen Frühling, den un&#x017F;ere Dichter wahr&#x017F;chein-<lb/>
lich nur deßhalb &#x017F;o oft prei&#x017F;en, weil &#x017F;ie ihn nicht kennen, uns<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er oder auch nur überhaupt noch erträglich befinden würden,<lb/>
möchte &#x017F;ehr zu bezweifeln &#x017F;eyn. Die Gegenden unter dem Aequa-<lb/>
tor würden wahr&#x017F;cheinlich unter der &#x017F;engenden Hitze ihres Klima&#x2019;s<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0208] Jahreszeiten. auf unſeren Erdgloben, eben ſo zweckwidrig als unnütz, durch die Ecliptik bezeichnet wird, und die Folge davon würde ſeyn, daß alle die Orte der Erde, welche unter dieſem Kreiſe liegen, die Sonne einmal im Jahre in ihrem Zenithe ſehen und zwar ſehr lange ſehen würden, indem die Strahlen derſelben für jeden Be- wohner jener Orte beinahe zwei volle Monate durch — immer nahe ſenkrecht auf ſeinen Scheitel fallen würden. Welche lange, drückende Mittagsſtunden, deren Schwüle nur wieder mit der ſtarren Kälte der eben ſo langen Stunden der Mitternacht in Vergleich gebracht werden können! Auch die übrigen Menſchen, die zu beiden Seiten dieſes unheilvollen Kreiſes wohnen, würden keine Urſache haben, ſich aus dieſem Grunde glücklicher zu preiſen, da auch ſie in der zu lange anhaltenden Hitze verſchmachten oder in dem halbjährigen Froſte erſtarren müßten. Die kalte und ein großer Theil der gemäßigten Zone endlich würde für Menſchen und Thiere ganz unbewohnbar ſeyn. §. 84. (Wenn die Ecliptik mit dem Aequator zuſammenfiele.) Allen dieſen Uebeln iſt durch die einfache Einrichtung, daß die Erde in der kurzen Zeit eines Tages ſich um ihre Axe dreht, we- nigſtens größtentheils abgeholfen. Ich ſage, größtentheils, denn wenn zu dieſer Umdrehung nicht noch eine Bedingung hinzu kömmt, ſo würde es um den ſchönen Wechſel unſerer Jahreszeiten, den wir nun einmal weder entbehren wollen noch können, immer noch ſehr mißlich ſtehen. Denn man laſſe nur die Erde ſich täg- lich drehen, aber in derſelben Ebene drehen, in welcher ſie zu- gleich jährlich um die Sonne geht, oder mit anderen Worten, man laſſe die Ecliptik mit dem Aequator zuſammen fallen. Die unmittelbare Folge dieſer neuen Einrichtung würde ſeyn, daß überall auf der ganzen Erde und durch das ganze Jahr der Tag gleich lang mit jeder Nacht ſeyn, daß ein immerwährender Früh- ling auf der Erde herrſchen, und daß von einem Wechſel der Tem- peratur und der Jahreszeiten keine Rede mehr ſeyn würde. Ob wir aber bei dieſem ewigen Frühling, den unſere Dichter wahrſchein- lich nur deßhalb ſo oft preiſen, weil ſie ihn nicht kennen, uns beſſer oder auch nur überhaupt noch erträglich befinden würden, möchte ſehr zu bezweifeln ſeyn. Die Gegenden unter dem Aequa- tor würden wahrſcheinlich unter der ſengenden Hitze ihres Klima’s

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/208
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/208>, abgerufen am 25.04.2024.