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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Parallaxen u. Entfernungen d. Gestirne von d. Erde.
würde nämlich, in Folge der jährlichen Bewegung der Erde, eine
kleine Ellipse am Himmel zu beschreiben scheinen, die der Durch-
schnitt der Himmelsfläche mit einem schiefen elliptischen Kegel ist,
der seine Scheitel in dem Sterne und seine Basis in dem Umkreise
der Erdbahn hat. Diese Ellipse wird für den entfernteren der
beiden Sterne viel kleiner, als für den anderen seyn. Mißt man
daher mit einem sogenannten Positions-Mikrometer, zu verschie-
denen Zeiten des Jahres, die Distanz der beiden Sterne sowohl,
als auch die Lage, welche die sie verbindende gerade Linie mit der
Ebene des Horizonts oder des Aequators bildet, und bemerkt man
in diesen beiden Größen periodische Aenderungen, so wird man
leicht sehen, ob diese Aenderungen mit der Theorie der Parallaxe
übereinstimmen.

Diese Methode ist ganz unabhängig von all' den Fehlern,
denen jede Beobachtung der Zenithdistanz oder der Rectascension
unterworfen ist, und sie empfiehlt sich vorzüglich dadurch, daß die
Refraction, dieses große Hinderniß aller genauen Beobachtungen,
auf sie keinen weiteren Einfluß mehr hat. Aber sie setzt voraus,
daß die Duplicität dieser Sterne nur scheinbar ist, oder daß beide
Sterne in sehr verschiedener Entfernung von uns auf der gemein-
schaftlichen Gesichtslinie derselben stehen, und daß sie überdieß kei-
nen anderen Bewegungen unterworfen sind. Allein beide Voraus-
setzungen scheinen nur sehr selten oder vielleicht nie Statt zu fin-
den. Wir werden später sehen, daß die meisten dieser doppelten
und vielfachen Sterne nicht bloß scheinbar, sondern in der That
sehr nahe bei einander stehen, daß sie gleichsam isolirte Stern-
systeme am Himmel bilden, und daß bei weitem die meisten der-
selben nicht nur einer relativen Bewegung um einander, sondern
auch einer gemeinschaftlichen, fortschreitenden Bewegung im Raume
unterworfen sind. Dieß ist ohne Zweifel die Ursache, warum
diese sinnreiche Methode, von der man sich Anfangs einen so glück-
lichen Erfolg versprach, noch keine Resultate geliefert hat, und
warum wir überhaupt über die Parallaxe der Fixsterne noch so
ganz im Dunkeln sind.



Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde.
würde nämlich, in Folge der jährlichen Bewegung der Erde, eine
kleine Ellipſe am Himmel zu beſchreiben ſcheinen, die der Durch-
ſchnitt der Himmelsfläche mit einem ſchiefen elliptiſchen Kegel iſt,
der ſeine Scheitel in dem Sterne und ſeine Baſis in dem Umkreiſe
der Erdbahn hat. Dieſe Ellipſe wird für den entfernteren der
beiden Sterne viel kleiner, als für den anderen ſeyn. Mißt man
daher mit einem ſogenannten Poſitions-Mikrometer, zu verſchie-
denen Zeiten des Jahres, die Diſtanz der beiden Sterne ſowohl,
als auch die Lage, welche die ſie verbindende gerade Linie mit der
Ebene des Horizonts oder des Aequators bildet, und bemerkt man
in dieſen beiden Größen periodiſche Aenderungen, ſo wird man
leicht ſehen, ob dieſe Aenderungen mit der Theorie der Parallaxe
übereinſtimmen.

Dieſe Methode iſt ganz unabhängig von all’ den Fehlern,
denen jede Beobachtung der Zenithdiſtanz oder der Rectaſcenſion
unterworfen iſt, und ſie empfiehlt ſich vorzüglich dadurch, daß die
Refraction, dieſes große Hinderniß aller genauen Beobachtungen,
auf ſie keinen weiteren Einfluß mehr hat. Aber ſie ſetzt voraus,
daß die Duplicität dieſer Sterne nur ſcheinbar iſt, oder daß beide
Sterne in ſehr verſchiedener Entfernung von uns auf der gemein-
ſchaftlichen Geſichtslinie derſelben ſtehen, und daß ſie überdieß kei-
nen anderen Bewegungen unterworfen ſind. Allein beide Voraus-
ſetzungen ſcheinen nur ſehr ſelten oder vielleicht nie Statt zu fin-
den. Wir werden ſpäter ſehen, daß die meiſten dieſer doppelten
und vielfachen Sterne nicht bloß ſcheinbar, ſondern in der That
ſehr nahe bei einander ſtehen, daß ſie gleichſam iſolirte Stern-
ſyſteme am Himmel bilden, und daß bei weitem die meiſten der-
ſelben nicht nur einer relativen Bewegung um einander, ſondern
auch einer gemeinſchaftlichen, fortſchreitenden Bewegung im Raume
unterworfen ſind. Dieß iſt ohne Zweifel die Urſache, warum
dieſe ſinnreiche Methode, von der man ſich Anfangs einen ſo glück-
lichen Erfolg verſprach, noch keine Reſultate geliefert hat, und
warum wir überhaupt über die Parallaxe der Fixſterne noch ſo
ganz im Dunkeln ſind.



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[171/0183] Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde. würde nämlich, in Folge der jährlichen Bewegung der Erde, eine kleine Ellipſe am Himmel zu beſchreiben ſcheinen, die der Durch- ſchnitt der Himmelsfläche mit einem ſchiefen elliptiſchen Kegel iſt, der ſeine Scheitel in dem Sterne und ſeine Baſis in dem Umkreiſe der Erdbahn hat. Dieſe Ellipſe wird für den entfernteren der beiden Sterne viel kleiner, als für den anderen ſeyn. Mißt man daher mit einem ſogenannten Poſitions-Mikrometer, zu verſchie- denen Zeiten des Jahres, die Diſtanz der beiden Sterne ſowohl, als auch die Lage, welche die ſie verbindende gerade Linie mit der Ebene des Horizonts oder des Aequators bildet, und bemerkt man in dieſen beiden Größen periodiſche Aenderungen, ſo wird man leicht ſehen, ob dieſe Aenderungen mit der Theorie der Parallaxe übereinſtimmen. Dieſe Methode iſt ganz unabhängig von all’ den Fehlern, denen jede Beobachtung der Zenithdiſtanz oder der Rectaſcenſion unterworfen iſt, und ſie empfiehlt ſich vorzüglich dadurch, daß die Refraction, dieſes große Hinderniß aller genauen Beobachtungen, auf ſie keinen weiteren Einfluß mehr hat. Aber ſie ſetzt voraus, daß die Duplicität dieſer Sterne nur ſcheinbar iſt, oder daß beide Sterne in ſehr verſchiedener Entfernung von uns auf der gemein- ſchaftlichen Geſichtslinie derſelben ſtehen, und daß ſie überdieß kei- nen anderen Bewegungen unterworfen ſind. Allein beide Voraus- ſetzungen ſcheinen nur ſehr ſelten oder vielleicht nie Statt zu fin- den. Wir werden ſpäter ſehen, daß die meiſten dieſer doppelten und vielfachen Sterne nicht bloß ſcheinbar, ſondern in der That ſehr nahe bei einander ſtehen, daß ſie gleichſam iſolirte Stern- ſyſteme am Himmel bilden, und daß bei weitem die meiſten der- ſelben nicht nur einer relativen Bewegung um einander, ſondern auch einer gemeinſchaftlichen, fortſchreitenden Bewegung im Raume unterworfen ſind. Dieß iſt ohne Zweifel die Urſache, warum dieſe ſinnreiche Methode, von der man ſich Anfangs einen ſo glück- lichen Erfolg verſprach, noch keine Reſultate geliefert hat, und warum wir überhaupt über die Parallaxe der Fixſterne noch ſo ganz im Dunkeln ſind.

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/183>, abgerufen am 19.04.2024.