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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Jährliche Bewegung der Erde.
wenn der Körper nicht auf irgend eine Weise an seiner Stelle
festgehalten wird. Da aber die Erde, so viel wir wissen, durch
keine äußere Kraft an ihre Stelle im Weltraume festgehalten
wird, so ist schon die bloße Existenz ihrer Rotation zugleich ein
Beweis für die progressive Bewegung derselben.

Uebrigens ist diese jährliche Bewegung der Erde viel schneller,
als die tägliche. Vermöge der letztern beschreibt jeder Punkt der
Oberfläche des Aequators, während seiner Rotation um die Axe,
in einer Secunde nur 0,0626 einer d. Meile, oder 1.430 Par. Fuß,
während jeder Punkt der Erde, in ihrer jährlichen Bewegung um
die Sonne, während einer Secunde nahe 4 d. Meilen zurücklegt,
so daß also die letzte Geschwindigkeit gegen 64mal größer ist, als
die erste. Während wir also die wenigen Zeilen dieses letzten Absatzes
gelesen haben, sind wir schon über 20 Meilen im Raume fortge-
rückt. Könnten wir in irgend einem Fahrzeuge mit derselben
Geschwindigkeit, welche die Erde in ihrer Bahn hat, auf der
Oberfläche der Erde uns bewegen, so würden wir eine sogenannte
Reise um die Welt, oder den Umkreis der Erde von 5.400 Mei-
len, schon in 221/2 Minuten zurücklegen, wozu Capitän Cook 3
Jahre und 14 Tage brauchte. Ohne die Umwege und Abhaltun-
gen aller Art, denen eine solche Reise gewöhnlich ausgesetzt ist,
würde ein Schiff, das in jeder Secunde 10 Fuß zurücklegt, und
daher unabläßig fortsegelt, was vielleicht um die Hälfte zu viel
ist, jene Reise um die Welt doch erst in 142 Tagen 18 Stunden,
also in mehr als 41/2 Monaten, vollenden.

Obschon wir also, nach allem Vorhergehenden, die Voraus-
setzung der jährlichen Bewegung der Erde um die Sonne als
höchst wahrscheinlich, wenn nicht als unzweifelhaft, annehmen
dürfen, so müssen wir doch auch gestehen, daß die Gründe, welche
wir bisher für die Existenz dieser Bewegung vorgetragen haben,
so großen Gewichtes sie auch an sich seyn mögen, doch sämmtlich
nur äußere oder aus der Analogie mit andern Weltkörpern ent-
lehnte Gründe sind, und daß es daher noch immer wünschens-
werth bleibt, auch innere, von der Erde selbst genommene, Be-
weise für diese Bewegung derselben aufzufinden. So hatten wir
oben, für die tägliche Rotation der Erde, sehr deutliche Spuren
an ihr selbst gefunden, nämlich an ihrer Abplattung bei den Po-

Jährliche Bewegung der Erde.
wenn der Körper nicht auf irgend eine Weiſe an ſeiner Stelle
feſtgehalten wird. Da aber die Erde, ſo viel wir wiſſen, durch
keine äußere Kraft an ihre Stelle im Weltraume feſtgehalten
wird, ſo iſt ſchon die bloße Exiſtenz ihrer Rotation zugleich ein
Beweis für die progreſſive Bewegung derſelben.

Uebrigens iſt dieſe jährliche Bewegung der Erde viel ſchneller,
als die tägliche. Vermöge der letztern beſchreibt jeder Punkt der
Oberfläche des Aequators, während ſeiner Rotation um die Axe,
in einer Secunde nur 0,0626 einer d. Meile, oder 1.430 Par. Fuß,
während jeder Punkt der Erde, in ihrer jährlichen Bewegung um
die Sonne, während einer Secunde nahe 4 d. Meilen zurücklegt,
ſo daß alſo die letzte Geſchwindigkeit gegen 64mal größer iſt, als
die erſte. Während wir alſo die wenigen Zeilen dieſes letzten Abſatzes
geleſen haben, ſind wir ſchon über 20 Meilen im Raume fortge-
rückt. Könnten wir in irgend einem Fahrzeuge mit derſelben
Geſchwindigkeit, welche die Erde in ihrer Bahn hat, auf der
Oberfläche der Erde uns bewegen, ſo würden wir eine ſogenannte
Reiſe um die Welt, oder den Umkreis der Erde von 5.400 Mei-
len, ſchon in 22½ Minuten zurücklegen, wozu Capitän Cook 3
Jahre und 14 Tage brauchte. Ohne die Umwege und Abhaltun-
gen aller Art, denen eine ſolche Reiſe gewöhnlich ausgeſetzt iſt,
würde ein Schiff, das in jeder Secunde 10 Fuß zurücklegt, und
daher unabläßig fortſegelt, was vielleicht um die Hälfte zu viel
iſt, jene Reiſe um die Welt doch erſt in 142 Tagen 18 Stunden,
alſo in mehr als 4½ Monaten, vollenden.

Obſchon wir alſo, nach allem Vorhergehenden, die Voraus-
ſetzung der jährlichen Bewegung der Erde um die Sonne als
höchſt wahrſcheinlich, wenn nicht als unzweifelhaft, annehmen
dürfen, ſo müſſen wir doch auch geſtehen, daß die Gründe, welche
wir bisher für die Exiſtenz dieſer Bewegung vorgetragen haben,
ſo großen Gewichtes ſie auch an ſich ſeyn mögen, doch ſämmtlich
nur äußere oder aus der Analogie mit andern Weltkörpern ent-
lehnte Gründe ſind, und daß es daher noch immer wünſchens-
werth bleibt, auch innere, von der Erde ſelbſt genommene, Be-
weiſe für dieſe Bewegung derſelben aufzufinden. So hatten wir
oben, für die tägliche Rotation der Erde, ſehr deutliche Spuren
an ihr ſelbſt gefunden, nämlich an ihrer Abplattung bei den Po-

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[139/0151] Jährliche Bewegung der Erde. wenn der Körper nicht auf irgend eine Weiſe an ſeiner Stelle feſtgehalten wird. Da aber die Erde, ſo viel wir wiſſen, durch keine äußere Kraft an ihre Stelle im Weltraume feſtgehalten wird, ſo iſt ſchon die bloße Exiſtenz ihrer Rotation zugleich ein Beweis für die progreſſive Bewegung derſelben. Uebrigens iſt dieſe jährliche Bewegung der Erde viel ſchneller, als die tägliche. Vermöge der letztern beſchreibt jeder Punkt der Oberfläche des Aequators, während ſeiner Rotation um die Axe, in einer Secunde nur 0,0626 einer d. Meile, oder 1.430 Par. Fuß, während jeder Punkt der Erde, in ihrer jährlichen Bewegung um die Sonne, während einer Secunde nahe 4 d. Meilen zurücklegt, ſo daß alſo die letzte Geſchwindigkeit gegen 64mal größer iſt, als die erſte. Während wir alſo die wenigen Zeilen dieſes letzten Abſatzes geleſen haben, ſind wir ſchon über 20 Meilen im Raume fortge- rückt. Könnten wir in irgend einem Fahrzeuge mit derſelben Geſchwindigkeit, welche die Erde in ihrer Bahn hat, auf der Oberfläche der Erde uns bewegen, ſo würden wir eine ſogenannte Reiſe um die Welt, oder den Umkreis der Erde von 5.400 Mei- len, ſchon in 22½ Minuten zurücklegen, wozu Capitän Cook 3 Jahre und 14 Tage brauchte. Ohne die Umwege und Abhaltun- gen aller Art, denen eine ſolche Reiſe gewöhnlich ausgeſetzt iſt, würde ein Schiff, das in jeder Secunde 10 Fuß zurücklegt, und daher unabläßig fortſegelt, was vielleicht um die Hälfte zu viel iſt, jene Reiſe um die Welt doch erſt in 142 Tagen 18 Stunden, alſo in mehr als 4½ Monaten, vollenden. Obſchon wir alſo, nach allem Vorhergehenden, die Voraus- ſetzung der jährlichen Bewegung der Erde um die Sonne als höchſt wahrſcheinlich, wenn nicht als unzweifelhaft, annehmen dürfen, ſo müſſen wir doch auch geſtehen, daß die Gründe, welche wir bisher für die Exiſtenz dieſer Bewegung vorgetragen haben, ſo großen Gewichtes ſie auch an ſich ſeyn mögen, doch ſämmtlich nur äußere oder aus der Analogie mit andern Weltkörpern ent- lehnte Gründe ſind, und daß es daher noch immer wünſchens- werth bleibt, auch innere, von der Erde ſelbſt genommene, Be- weiſe für dieſe Bewegung derſelben aufzufinden. So hatten wir oben, für die tägliche Rotation der Erde, ſehr deutliche Spuren an ihr ſelbſt gefunden, nämlich an ihrer Abplattung bei den Po-

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/151>, abgerufen am 23.04.2024.