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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Jährliche Bewegung der Erde.
auffallende Aenderungen ihrer Geschwindigkeiten, sondern sie stehen
oft längere Zeit ganz unbeweglich bei einem Sterne und bewegen
sich bald gen Osten, bald auch, in verkehrter Richtung, gegen
Westen. Verfolgt man sie einige Monate, so findet man, daß ihr
Weg am Himmel, wie er von der Erde gesehen wird, eine äußerst
verwickelte krumme Linie ist, die aus mehreren Knoten und Schlin-
gen besteht und in keinem ihrer Theile auch nur die kleinste Spur
von Ordnung und Regelmäßigkeit zeigt. Noch verwickelter er-
scheinen die Bahnen der Kometen, wie man auf den älteren Ho-
mann'schen Himmelskarten sieht, wo mehrere derselben verzeich-
net sind.

Die Alten haben sich lange gequält, diese Sonderbarkeiten
zu erklären, und sie sind dabei auf eben so wunderliche, als auch
in der That sinnreiche Mittel verfallen, die aber nicht zu dem
gewünschten Zwecke führten, wie wir später sehen werden. Coper-
nicus war der erste, der lebhaft fühlte, daß diese so wunderlich
verschlungenen Linien nicht die wahren Bahnen der Planeten seyn
können und der, von diesem Gefühle gedrängt, den wahren und
einzig möglichen Weg einschlug, diesen empörenden und so lange
unerklärbaren Unregelmäßigkeiten dadurch ein Ende zu machen,
daß er suchte, wie die Bahnen der Planeten, die aus der Erde ge-
sehen, so ungemein verwickelt erscheinen, aus dem Mittelpunkte
der Sonne gesehen werden. Er fand, daß, von diesem Stand-
punkte aus, alle jene Unregelmäßigkeiten, wie ein gelöster Zauber,
verschwinden, und daß diese früher so complicirten Bewegungen
ganz eben so einfach und regelmäßig werden, wie die, welche wir
bei der Sonne und dem Monde bemerken. Jene sonderbaren Kno-
ten lößten sich sofort von selbst auf und die Stillstände, so wie
die rückgängigen Bewegungen erschienen nur als optische Täuschun-
gen, die bloß daher kommen, weil wir diese Planeten nicht aus der
Sonne, als aus dem fixen Mittelpunkte ihrer Bewegungen, son-
dern weil wir sie aus der Erde, aus der sich selbst um die Sonne
bewegenden Erde, also aus einem Standpunkte betrachten, der
seinen Ort im Weltraume selbst mit jedem Tage ändert. Die
einfache und so lange verborgene Idee, daß alle Planeten, also
auch die Erde, Kreise von bestimmten Halbmessern beschreiben, in
deren gemeinschaftlichem Mittelpunkte die Sonne ruht, diese Idee

Jährliche Bewegung der Erde.
auffallende Aenderungen ihrer Geſchwindigkeiten, ſondern ſie ſtehen
oft längere Zeit ganz unbeweglich bei einem Sterne und bewegen
ſich bald gen Oſten, bald auch, in verkehrter Richtung, gegen
Weſten. Verfolgt man ſie einige Monate, ſo findet man, daß ihr
Weg am Himmel, wie er von der Erde geſehen wird, eine äußerſt
verwickelte krumme Linie iſt, die aus mehreren Knoten und Schlin-
gen beſteht und in keinem ihrer Theile auch nur die kleinſte Spur
von Ordnung und Regelmäßigkeit zeigt. Noch verwickelter er-
ſcheinen die Bahnen der Kometen, wie man auf den älteren Ho-
mann’ſchen Himmelskarten ſieht, wo mehrere derſelben verzeich-
net ſind.

Die Alten haben ſich lange gequält, dieſe Sonderbarkeiten
zu erklären, und ſie ſind dabei auf eben ſo wunderliche, als auch
in der That ſinnreiche Mittel verfallen, die aber nicht zu dem
gewünſchten Zwecke führten, wie wir ſpäter ſehen werden. Coper-
nicus war der erſte, der lebhaft fühlte, daß dieſe ſo wunderlich
verſchlungenen Linien nicht die wahren Bahnen der Planeten ſeyn
können und der, von dieſem Gefühle gedrängt, den wahren und
einzig möglichen Weg einſchlug, dieſen empörenden und ſo lange
unerklärbaren Unregelmäßigkeiten dadurch ein Ende zu machen,
daß er ſuchte, wie die Bahnen der Planeten, die aus der Erde ge-
ſehen, ſo ungemein verwickelt erſcheinen, aus dem Mittelpunkte
der Sonne geſehen werden. Er fand, daß, von dieſem Stand-
punkte aus, alle jene Unregelmäßigkeiten, wie ein gelöster Zauber,
verſchwinden, und daß dieſe früher ſo complicirten Bewegungen
ganz eben ſo einfach und regelmäßig werden, wie die, welche wir
bei der Sonne und dem Monde bemerken. Jene ſonderbaren Kno-
ten lößten ſich ſofort von ſelbſt auf und die Stillſtände, ſo wie
die rückgängigen Bewegungen erſchienen nur als optiſche Täuſchun-
gen, die bloß daher kommen, weil wir dieſe Planeten nicht aus der
Sonne, als aus dem fixen Mittelpunkte ihrer Bewegungen, ſon-
dern weil wir ſie aus der Erde, aus der ſich ſelbſt um die Sonne
bewegenden Erde, alſo aus einem Standpunkte betrachten, der
ſeinen Ort im Weltraume ſelbſt mit jedem Tage ändert. Die
einfache und ſo lange verborgene Idee, daß alle Planeten, alſo
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deren gemeinſchaftlichem Mittelpunkte die Sonne ruht, dieſe Idee

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[135/0147] Jährliche Bewegung der Erde. auffallende Aenderungen ihrer Geſchwindigkeiten, ſondern ſie ſtehen oft längere Zeit ganz unbeweglich bei einem Sterne und bewegen ſich bald gen Oſten, bald auch, in verkehrter Richtung, gegen Weſten. Verfolgt man ſie einige Monate, ſo findet man, daß ihr Weg am Himmel, wie er von der Erde geſehen wird, eine äußerſt verwickelte krumme Linie iſt, die aus mehreren Knoten und Schlin- gen beſteht und in keinem ihrer Theile auch nur die kleinſte Spur von Ordnung und Regelmäßigkeit zeigt. Noch verwickelter er- ſcheinen die Bahnen der Kometen, wie man auf den älteren Ho- mann’ſchen Himmelskarten ſieht, wo mehrere derſelben verzeich- net ſind. Die Alten haben ſich lange gequält, dieſe Sonderbarkeiten zu erklären, und ſie ſind dabei auf eben ſo wunderliche, als auch in der That ſinnreiche Mittel verfallen, die aber nicht zu dem gewünſchten Zwecke führten, wie wir ſpäter ſehen werden. Coper- nicus war der erſte, der lebhaft fühlte, daß dieſe ſo wunderlich verſchlungenen Linien nicht die wahren Bahnen der Planeten ſeyn können und der, von dieſem Gefühle gedrängt, den wahren und einzig möglichen Weg einſchlug, dieſen empörenden und ſo lange unerklärbaren Unregelmäßigkeiten dadurch ein Ende zu machen, daß er ſuchte, wie die Bahnen der Planeten, die aus der Erde ge- ſehen, ſo ungemein verwickelt erſcheinen, aus dem Mittelpunkte der Sonne geſehen werden. Er fand, daß, von dieſem Stand- punkte aus, alle jene Unregelmäßigkeiten, wie ein gelöster Zauber, verſchwinden, und daß dieſe früher ſo complicirten Bewegungen ganz eben ſo einfach und regelmäßig werden, wie die, welche wir bei der Sonne und dem Monde bemerken. Jene ſonderbaren Kno- ten lößten ſich ſofort von ſelbſt auf und die Stillſtände, ſo wie die rückgängigen Bewegungen erſchienen nur als optiſche Täuſchun- gen, die bloß daher kommen, weil wir dieſe Planeten nicht aus der Sonne, als aus dem fixen Mittelpunkte ihrer Bewegungen, ſon- dern weil wir ſie aus der Erde, aus der ſich ſelbſt um die Sonne bewegenden Erde, alſo aus einem Standpunkte betrachten, der ſeinen Ort im Weltraume ſelbſt mit jedem Tage ändert. Die einfache und ſo lange verborgene Idee, daß alle Planeten, alſo auch die Erde, Kreiſe von beſtimmten Halbmeſſern beſchreiben, in deren gemeinſchaftlichem Mittelpunkte die Sonne ruht, dieſe Idee

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/147>, abgerufen am 25.04.2024.