Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Jährliche Bewegung der Sonne.
Abnahme der Schiefe von fünf zu fünf Jahren deutlich bemerken
kann. Endlich hat man auch durch Hilfe der mathematischen
Analysis in der höhern Mechanik die wahre Ursache dieser Er-
scheinung gefunden. Durch die Wirkung der Planeten unseres
Sonnensystems auf die Bahn der Sonne wird nämlich diese Bahn
dem Aequator immer näher gebracht, und diese Annäherung be-
trägt nach den neuesten Untersuchungen in einem Jahrhundert
48,368 Secunden. Geht man daher von dem Jahre 1750 aus,
in welchem die Schiefe der Ekliptik 23° 28' 18" betrug, so wird
man die Schiefe für jede andere Zeit, die T Jahre von 1750
entfernt ist, erhalten, wenn man das Produkt der Größe 0",48368
mit T von 23° 28' 18" subtrahirt. Liegt das gesuchte Jahr vor
jener Epoche von 1750, so muß dieses Produkt addirt werden.
Um dieses auf das vorhergehende Beispiel anzuwenden, so hat
man für den Zwischenraum von Tschu-kong bis Bradley 1750
+ 1100 = 2850 Jahre, die mit 0",48368 multiplicirt, 0° 22' 58"
geben. Addirt man diese Größe zu 23° 28' 18", so erhält man
für die durch jene Theorie bestimmte Schiefe Tschu-kong's 23°
51' 16", also nur 44 Secunden kleiner, als sie durch den Gno-
mon gefunden wurde. Eine so geringe Differenz bei einer so alten
Beobachtung, die überdieß ihrer Natur nach keiner sehr großen
Schärfe fähig ist, zeugt von der Richtigkeit der Theorie, so wie
sie auch zugleich die Authenticität jener Beobachtung selbst be-
stätigt.

I. Wenn aber diese Abnahme der Schiefe immer mit der
Zeit proportional fortgeht, so wird die Folge davon seyn, daß
einmal diese Schiefe ganz verschwindet, oder daß die Ekliptik mit
dem Aequator zusammenfällt. Eine leichte Rechnung zeigt, daß
dieß in [Formel 1] oder in 177547 Jahren nach dem Jahre 1750
unserer Epoche, also in dem Jahre 179297 unserer Zeitrechnung
der Fall seyn wird, und da dann die Sonne immer in dem
Aequator einhergehen muß, so würde von dieser Zeit an Tag und
Nacht das ganze Jahr durch einander gleich seyn, oder die Erde
würde einen ewigen Frühling feiern und die beiden Extreme der

Littrows Himmel u. s. Wunder I. 8

Jährliche Bewegung der Sonne.
Abnahme der Schiefe von fünf zu fünf Jahren deutlich bemerken
kann. Endlich hat man auch durch Hilfe der mathematiſchen
Analyſis in der höhern Mechanik die wahre Urſache dieſer Er-
ſcheinung gefunden. Durch die Wirkung der Planeten unſeres
Sonnenſyſtems auf die Bahn der Sonne wird nämlich dieſe Bahn
dem Aequator immer näher gebracht, und dieſe Annäherung be-
trägt nach den neueſten Unterſuchungen in einem Jahrhundert
48,368 Secunden. Geht man daher von dem Jahre 1750 aus,
in welchem die Schiefe der Ekliptik 23° 28′ 18″ betrug, ſo wird
man die Schiefe für jede andere Zeit, die T Jahre von 1750
entfernt iſt, erhalten, wenn man das Produkt der Größe 0″,48368
mit T von 23° 28′ 18″ ſubtrahirt. Liegt das geſuchte Jahr vor
jener Epoche von 1750, ſo muß dieſes Produkt addirt werden.
Um dieſes auf das vorhergehende Beiſpiel anzuwenden, ſo hat
man für den Zwiſchenraum von Tschu-kong bis Bradley 1750
+ 1100 = 2850 Jahre, die mit 0″,48368 multiplicirt, 0° 22′ 58″
geben. Addirt man dieſe Größe zu 23° 28′ 18″, ſo erhält man
für die durch jene Theorie beſtimmte Schiefe Tschu-kong’s 23°
51′ 16″, alſo nur 44 Secunden kleiner, als ſie durch den Gno-
mon gefunden wurde. Eine ſo geringe Differenz bei einer ſo alten
Beobachtung, die überdieß ihrer Natur nach keiner ſehr großen
Schärfe fähig iſt, zeugt von der Richtigkeit der Theorie, ſo wie
ſie auch zugleich die Authenticität jener Beobachtung ſelbſt be-
ſtätigt.

I. Wenn aber dieſe Abnahme der Schiefe immer mit der
Zeit proportional fortgeht, ſo wird die Folge davon ſeyn, daß
einmal dieſe Schiefe ganz verſchwindet, oder daß die Ekliptik mit
dem Aequator zuſammenfällt. Eine leichte Rechnung zeigt, daß
dieß in [Formel 1] oder in 177547 Jahren nach dem Jahre 1750
unſerer Epoche, alſo in dem Jahre 179297 unſerer Zeitrechnung
der Fall ſeyn wird, und da dann die Sonne immer in dem
Aequator einhergehen muß, ſo würde von dieſer Zeit an Tag und
Nacht das ganze Jahr durch einander gleich ſeyn, oder die Erde
würde einen ewigen Frühling feiern und die beiden Extreme der

Littrows Himmel u. ſ. Wunder I. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0125" n="113"/><fw place="top" type="header">Jährliche Bewegung der Sonne.</fw><lb/>
Abnahme der Schiefe von fünf zu fünf Jahren deutlich bemerken<lb/>
kann. Endlich hat man auch durch Hilfe der mathemati&#x017F;chen<lb/>
Analy&#x017F;is in der höhern Mechanik die wahre Ur&#x017F;ache die&#x017F;er Er-<lb/>
&#x017F;cheinung gefunden. Durch die Wirkung der Planeten un&#x017F;eres<lb/>
Sonnen&#x017F;y&#x017F;tems auf die Bahn der Sonne wird nämlich die&#x017F;e Bahn<lb/>
dem Aequator immer näher gebracht, und die&#x017F;e Annäherung be-<lb/>
trägt nach den neue&#x017F;ten Unter&#x017F;uchungen in einem Jahrhundert<lb/>
48,<hi rendition="#sub">368</hi> Secunden. Geht man daher von dem Jahre 1750 aus,<lb/>
in welchem die Schiefe der Ekliptik 23° 28&#x2032; 18&#x2033; betrug, &#x017F;o wird<lb/>
man die Schiefe für jede andere Zeit, die <hi rendition="#aq">T</hi> Jahre von 1750<lb/>
entfernt i&#x017F;t, erhalten, wenn man das Produkt der Größe 0&#x2033;,<hi rendition="#sub">48368</hi><lb/>
mit <hi rendition="#aq">T</hi> von 23° 28&#x2032; 18&#x2033; &#x017F;ubtrahirt. Liegt das ge&#x017F;uchte Jahr <hi rendition="#g">vor</hi><lb/>
jener Epoche von 1750, &#x017F;o muß die&#x017F;es Produkt addirt werden.<lb/>
Um die&#x017F;es auf das vorhergehende Bei&#x017F;piel anzuwenden, &#x017F;o hat<lb/>
man für den Zwi&#x017F;chenraum von <hi rendition="#aq">Tschu-kong</hi> bis <hi rendition="#aq">Bradley</hi> 1750<lb/>
+ 1100 = 2850 Jahre, die mit 0&#x2033;,<hi rendition="#sub">48368</hi> multiplicirt, 0° 22&#x2032; 58&#x2033;<lb/>
geben. Addirt man die&#x017F;e Größe zu 23° 28&#x2032; 18&#x2033;, &#x017F;o erhält man<lb/>
für die durch jene Theorie be&#x017F;timmte Schiefe <hi rendition="#aq">Tschu-kong&#x2019;</hi>s 23°<lb/>
51&#x2032; 16&#x2033;, al&#x017F;o nur 44 Secunden kleiner, als &#x017F;ie durch den Gno-<lb/>
mon gefunden wurde. Eine &#x017F;o geringe Differenz bei einer &#x017F;o alten<lb/>
Beobachtung, die überdieß ihrer Natur nach keiner &#x017F;ehr großen<lb/>
Schärfe fähig i&#x017F;t, zeugt von der Richtigkeit der Theorie, &#x017F;o wie<lb/>
&#x017F;ie auch zugleich die Authenticität jener Beobachtung &#x017F;elb&#x017F;t be-<lb/>
&#x017F;tätigt.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">I.</hi> Wenn aber die&#x017F;e Abnahme der Schiefe immer mit der<lb/>
Zeit proportional fortgeht, &#x017F;o wird die Folge davon &#x017F;eyn, daß<lb/>
einmal die&#x017F;e Schiefe ganz ver&#x017F;chwindet, oder daß die Ekliptik mit<lb/>
dem Aequator zu&#x017F;ammenfällt. Eine leichte Rechnung zeigt, daß<lb/>
dieß in <formula/> oder in 177547 Jahren nach dem Jahre 1750<lb/>
un&#x017F;erer Epoche, al&#x017F;o in dem Jahre 179297 un&#x017F;erer Zeitrechnung<lb/>
der Fall &#x017F;eyn wird, und da dann die Sonne immer in dem<lb/>
Aequator einhergehen muß, &#x017F;o würde von die&#x017F;er Zeit an Tag und<lb/>
Nacht das ganze Jahr durch einander gleich &#x017F;eyn, oder die Erde<lb/>
würde einen ewigen Frühling feiern und die beiden Extreme der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Littrows</hi> Himmel u. &#x017F;. Wunder <hi rendition="#aq">I.</hi> 8</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0125] Jährliche Bewegung der Sonne. Abnahme der Schiefe von fünf zu fünf Jahren deutlich bemerken kann. Endlich hat man auch durch Hilfe der mathematiſchen Analyſis in der höhern Mechanik die wahre Urſache dieſer Er- ſcheinung gefunden. Durch die Wirkung der Planeten unſeres Sonnenſyſtems auf die Bahn der Sonne wird nämlich dieſe Bahn dem Aequator immer näher gebracht, und dieſe Annäherung be- trägt nach den neueſten Unterſuchungen in einem Jahrhundert 48,368 Secunden. Geht man daher von dem Jahre 1750 aus, in welchem die Schiefe der Ekliptik 23° 28′ 18″ betrug, ſo wird man die Schiefe für jede andere Zeit, die T Jahre von 1750 entfernt iſt, erhalten, wenn man das Produkt der Größe 0″,48368 mit T von 23° 28′ 18″ ſubtrahirt. Liegt das geſuchte Jahr vor jener Epoche von 1750, ſo muß dieſes Produkt addirt werden. Um dieſes auf das vorhergehende Beiſpiel anzuwenden, ſo hat man für den Zwiſchenraum von Tschu-kong bis Bradley 1750 + 1100 = 2850 Jahre, die mit 0″,48368 multiplicirt, 0° 22′ 58″ geben. Addirt man dieſe Größe zu 23° 28′ 18″, ſo erhält man für die durch jene Theorie beſtimmte Schiefe Tschu-kong’s 23° 51′ 16″, alſo nur 44 Secunden kleiner, als ſie durch den Gno- mon gefunden wurde. Eine ſo geringe Differenz bei einer ſo alten Beobachtung, die überdieß ihrer Natur nach keiner ſehr großen Schärfe fähig iſt, zeugt von der Richtigkeit der Theorie, ſo wie ſie auch zugleich die Authenticität jener Beobachtung ſelbſt be- ſtätigt. I. Wenn aber dieſe Abnahme der Schiefe immer mit der Zeit proportional fortgeht, ſo wird die Folge davon ſeyn, daß einmal dieſe Schiefe ganz verſchwindet, oder daß die Ekliptik mit dem Aequator zuſammenfällt. Eine leichte Rechnung zeigt, daß dieß in [FORMEL] oder in 177547 Jahren nach dem Jahre 1750 unſerer Epoche, alſo in dem Jahre 179297 unſerer Zeitrechnung der Fall ſeyn wird, und da dann die Sonne immer in dem Aequator einhergehen muß, ſo würde von dieſer Zeit an Tag und Nacht das ganze Jahr durch einander gleich ſeyn, oder die Erde würde einen ewigen Frühling feiern und die beiden Extreme der Littrows Himmel u. ſ. Wunder I. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/125
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/125>, abgerufen am 20.04.2024.