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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Jährliche Bewegung der Sonne.

§. 41. (Vorläufige Bestimmung der Sonnenbahn). Allein,
wie groß ist dieser Winkel, oder mit andern Worten: welches ist
die wahre Lage der Sonnenbahn am Himmel, und welches sind
die Sterne, durch welche sie sich hinzieht?

Wenn wir auch die Sterne, in deren Nähe die Sonne sich
aufhält, wegen des zu starken Lichtes der letztern nicht sehen kön-
nen, wie dieß, nach dem oben Gesagten, bei dem Monde geschieht,
so können wir dafür (und dieß wird uns zu demselben Ziele füh-
ren) diejenigen Sterne des Himmels desto besser sehen, die der
Sonne gerade gegenüberstehen. Denn so wie wir die Zeit des
Tages Mittag (Einl. §. 26) nennen, wenn die Sonne (S. Fig. 1)
in Süden ihre größte Höhe über dem Horizonte erreicht, oder
durch den obern Theil des Meridians (§. 14) geht, so nennen wir
auch Mitternacht die Zeit, wann die Sonne S''' im Norden
am tiefsten unter dem Horizonte steht, oder in ihrer, uns unsicht-
baren, untern Culmination (§. 26) ist. Da man nun bereits wußte,
daß die Sonne ihren Kreislauf um die Erde in der Zeit eines
Jahres von 3651/4 Tagen zurücklege, so konnte man daraus
schließen, daß sie sich jedesmal nach einem halben Jahre wieder
in dem Punkte des Himmels befinden werde, der jenem gerade
entgegengesetzt ist, in welchem sie sich heute befindet. Hatte man
also einmal z. B. an dem kürzesten Tage des Jahres die mit-
tägige Höhe der Sonne gemessen, wozu man sich einer senkrecht
in dem Boden errichteten Stange oder einer Mauer bedienen
konnte, so mußte ein halbes Jahr nachher in der Mitte der kür-
zesten Nacht, derjenige Punkt der Sonnenbahn, in welchem sie
sich vor einem halben Jahre befand, wieder über der Stange oder
über der Mauer stehen, wenn nämlich das Auge des Beobachters
auch wieder dieselbe Stelle einnahm. Diesen Punkt der Sonnen-
bahn konnte man sich aber leicht merken, weil man an dieser
Stelle Sterne sah. Auf diese Weise konnte man an mehreren
Tagepaaren, die immer um ein halbes Jahr von einander ent-
fernt sind, verfahren, und so alle die Sterne des Himmels, durch
welche die Sonne ihren Weg nimmt, und zugleich die Zeit be-
stimmen, wann sie zu diesen Sternen kömmt.

Diese Beobachtungsart mag vielleicht die erste gewesen seyn,
die man angestellt hat, um die Bahn der Sonne am Himmel zu

Jährliche Bewegung der Sonne.

§. 41. (Vorläufige Beſtimmung der Sonnenbahn). Allein,
wie groß iſt dieſer Winkel, oder mit andern Worten: welches iſt
die wahre Lage der Sonnenbahn am Himmel, und welches ſind
die Sterne, durch welche ſie ſich hinzieht?

Wenn wir auch die Sterne, in deren Nähe die Sonne ſich
aufhält, wegen des zu ſtarken Lichtes der letztern nicht ſehen kön-
nen, wie dieß, nach dem oben Geſagten, bei dem Monde geſchieht,
ſo können wir dafür (und dieß wird uns zu demſelben Ziele füh-
ren) diejenigen Sterne des Himmels deſto beſſer ſehen, die der
Sonne gerade gegenüberſtehen. Denn ſo wie wir die Zeit des
Tages Mittag (Einl. §. 26) nennen, wenn die Sonne (S. Fig. 1)
in Süden ihre größte Höhe über dem Horizonte erreicht, oder
durch den obern Theil des Meridians (§. 14) geht, ſo nennen wir
auch Mitternacht die Zeit, wann die Sonne S''' im Norden
am tiefſten unter dem Horizonte ſteht, oder in ihrer, uns unſicht-
baren, untern Culmination (§. 26) iſt. Da man nun bereits wußte,
daß die Sonne ihren Kreislauf um die Erde in der Zeit eines
Jahres von 365¼ Tagen zurücklege, ſo konnte man daraus
ſchließen, daß ſie ſich jedesmal nach einem halben Jahre wieder
in dem Punkte des Himmels befinden werde, der jenem gerade
entgegengeſetzt iſt, in welchem ſie ſich heute befindet. Hatte man
alſo einmal z. B. an dem kürzeſten Tage des Jahres die mit-
tägige Höhe der Sonne gemeſſen, wozu man ſich einer ſenkrecht
in dem Boden errichteten Stange oder einer Mauer bedienen
konnte, ſo mußte ein halbes Jahr nachher in der Mitte der kür-
zeſten Nacht, derjenige Punkt der Sonnenbahn, in welchem ſie
ſich vor einem halben Jahre befand, wieder über der Stange oder
über der Mauer ſtehen, wenn nämlich das Auge des Beobachters
auch wieder dieſelbe Stelle einnahm. Dieſen Punkt der Sonnen-
bahn konnte man ſich aber leicht merken, weil man an dieſer
Stelle Sterne ſah. Auf dieſe Weiſe konnte man an mehreren
Tagepaaren, die immer um ein halbes Jahr von einander ent-
fernt ſind, verfahren, und ſo alle die Sterne des Himmels, durch
welche die Sonne ihren Weg nimmt, und zugleich die Zeit be-
ſtimmen, wann ſie zu dieſen Sternen kömmt.

Dieſe Beobachtungsart mag vielleicht die erſte geweſen ſeyn,
die man angeſtellt hat, um die Bahn der Sonne am Himmel zu

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[101/0113] Jährliche Bewegung der Sonne. §. 41. (Vorläufige Beſtimmung der Sonnenbahn). Allein, wie groß iſt dieſer Winkel, oder mit andern Worten: welches iſt die wahre Lage der Sonnenbahn am Himmel, und welches ſind die Sterne, durch welche ſie ſich hinzieht? Wenn wir auch die Sterne, in deren Nähe die Sonne ſich aufhält, wegen des zu ſtarken Lichtes der letztern nicht ſehen kön- nen, wie dieß, nach dem oben Geſagten, bei dem Monde geſchieht, ſo können wir dafür (und dieß wird uns zu demſelben Ziele füh- ren) diejenigen Sterne des Himmels deſto beſſer ſehen, die der Sonne gerade gegenüberſtehen. Denn ſo wie wir die Zeit des Tages Mittag (Einl. §. 26) nennen, wenn die Sonne (S. Fig. 1) in Süden ihre größte Höhe über dem Horizonte erreicht, oder durch den obern Theil des Meridians (§. 14) geht, ſo nennen wir auch Mitternacht die Zeit, wann die Sonne S''' im Norden am tiefſten unter dem Horizonte ſteht, oder in ihrer, uns unſicht- baren, untern Culmination (§. 26) iſt. Da man nun bereits wußte, daß die Sonne ihren Kreislauf um die Erde in der Zeit eines Jahres von 365¼ Tagen zurücklege, ſo konnte man daraus ſchließen, daß ſie ſich jedesmal nach einem halben Jahre wieder in dem Punkte des Himmels befinden werde, der jenem gerade entgegengeſetzt iſt, in welchem ſie ſich heute befindet. Hatte man alſo einmal z. B. an dem kürzeſten Tage des Jahres die mit- tägige Höhe der Sonne gemeſſen, wozu man ſich einer ſenkrecht in dem Boden errichteten Stange oder einer Mauer bedienen konnte, ſo mußte ein halbes Jahr nachher in der Mitte der kür- zeſten Nacht, derjenige Punkt der Sonnenbahn, in welchem ſie ſich vor einem halben Jahre befand, wieder über der Stange oder über der Mauer ſtehen, wenn nämlich das Auge des Beobachters auch wieder dieſelbe Stelle einnahm. Dieſen Punkt der Sonnen- bahn konnte man ſich aber leicht merken, weil man an dieſer Stelle Sterne ſah. Auf dieſe Weiſe konnte man an mehreren Tagepaaren, die immer um ein halbes Jahr von einander ent- fernt ſind, verfahren, und ſo alle die Sterne des Himmels, durch welche die Sonne ihren Weg nimmt, und zugleich die Zeit be- ſtimmen, wann ſie zu dieſen Sternen kömmt. Dieſe Beobachtungsart mag vielleicht die erſte geweſen ſeyn, die man angeſtellt hat, um die Bahn der Sonne am Himmel zu

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/113>, abgerufen am 19.04.2024.