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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Jährliche Bewegung der Sonne.
Aequator parallel, oder bildet sie mit dem Aequator irgend einen
Winkel, und welchen?

§. 40. (Die Sonnenbahn ist gegen den Aequator geneigt).
Wenn diese Bahn der Aequator selbst oder doch ihm parallel
wäre, so müßte die Sonne für jeden bestimmten Ort der Erde,
z. B. für Wien, durch das ganze Jahr offenbar immer an dem-
selben Punkte des Horizonts, etwa immer bei derselben Bergspitze,
auf- und untergehen, wie wir dieß bei den Fixsternen in ihrer
täglichen Bewegung bemerken. Beschriebe sie z. B. den Parallel-
kreis des Aldebarans am Himmel, so müßte sie auch alle Tage
des Jahrs in demjenigen Orte des Horizonts auf- und untergehen,
in welchem wir diesen Fixstern, und eben so alle andern Punkte
seines Parallelkreises, auf- und untergehen sehen. Auch müßte
dann ihre Sichtbarkeit über unserm Horizont, d. h. die Länge des
Tages, während des ganzen Jahres immer gleich groß, nämlich
dieselbe mit der Sichtbarkeit des Aldebarans selbst seyn. Allein
dieß widerspricht allen unsern Erfahrungen. Die Längen unserer
Tage sind, wie wir Alle wissen, sehr ungleich, da sie z. B. für
Wien im Winter, wenn sie am kürzesten sind, nur 8 St. 10 M.,
und im Sommer, wenn sie am längsten sind, 16 St. 6 M.
dauern. Auch geht, wie nicht weniger allgemein bekannt ist, die
Sonne im Sommer sehr viel näher bei Norden auf und unter,
als im Winter, wie sie denn auch in jener Jahreszeit im Mittag
viel höher steht, als in dieser. Die beiden äußersten Punkte des
Horizonts, bei welchen die Sonne im Sommer und im Winter
auf- und untergeht, bilden in unsern Gegenden den sehr beträcht-
lichen Winkel von 73 Graden, und dieser Winkel ist für nördlicher
liegende Länder noch viel größer. Eine nur geringe Aufmerksam-
keit auf diese so auffallenden Unterschiede mußte daher auf die
Idee leiten, daß die Sonne in ihrer eigenen Bewegung von West
gegen Ost auch zugleich von einem Parallelkreise zum andern
übergeht, daß sie jeden Tag den Parallelkreis desjenigen Sterns
beschreibt, in dessen Nähe sie sich an diesem Tage eben aufhält,
und daß also auch die Bahn, welche sie während des ganzen
Jahres zurücklegt, gegen alle jene Parallelkreise unter einem ge-
wissen Winkel geneigt ist, so daß alle diese Parallelkreise von der
Sonnenbahn unter diesem Winkel geschnitten werden.


Jährliche Bewegung der Sonne.
Aequator parallel, oder bildet ſie mit dem Aequator irgend einen
Winkel, und welchen?

§. 40. (Die Sonnenbahn iſt gegen den Aequator geneigt).
Wenn dieſe Bahn der Aequator ſelbſt oder doch ihm parallel
wäre, ſo müßte die Sonne für jeden beſtimmten Ort der Erde,
z. B. für Wien, durch das ganze Jahr offenbar immer an dem-
ſelben Punkte des Horizonts, etwa immer bei derſelben Bergſpitze,
auf- und untergehen, wie wir dieß bei den Fixſternen in ihrer
täglichen Bewegung bemerken. Beſchriebe ſie z. B. den Parallel-
kreis des Aldebarans am Himmel, ſo müßte ſie auch alle Tage
des Jahrs in demjenigen Orte des Horizonts auf- und untergehen,
in welchem wir dieſen Fixſtern, und eben ſo alle andern Punkte
ſeines Parallelkreiſes, auf- und untergehen ſehen. Auch müßte
dann ihre Sichtbarkeit über unſerm Horizont, d. h. die Länge des
Tages, während des ganzen Jahres immer gleich groß, nämlich
dieſelbe mit der Sichtbarkeit des Aldebarans ſelbſt ſeyn. Allein
dieß widerſpricht allen unſern Erfahrungen. Die Längen unſerer
Tage ſind, wie wir Alle wiſſen, ſehr ungleich, da ſie z. B. für
Wien im Winter, wenn ſie am kürzeſten ſind, nur 8 St. 10 M.,
und im Sommer, wenn ſie am längſten ſind, 16 St. 6 M.
dauern. Auch geht, wie nicht weniger allgemein bekannt iſt, die
Sonne im Sommer ſehr viel näher bei Norden auf und unter,
als im Winter, wie ſie denn auch in jener Jahreszeit im Mittag
viel höher ſteht, als in dieſer. Die beiden äußerſten Punkte des
Horizonts, bei welchen die Sonne im Sommer und im Winter
auf- und untergeht, bilden in unſern Gegenden den ſehr beträcht-
lichen Winkel von 73 Graden, und dieſer Winkel iſt für nördlicher
liegende Länder noch viel größer. Eine nur geringe Aufmerkſam-
keit auf dieſe ſo auffallenden Unterſchiede mußte daher auf die
Idee leiten, daß die Sonne in ihrer eigenen Bewegung von Weſt
gegen Oſt auch zugleich von einem Parallelkreiſe zum andern
übergeht, daß ſie jeden Tag den Parallelkreis desjenigen Sterns
beſchreibt, in deſſen Nähe ſie ſich an dieſem Tage eben aufhält,
und daß alſo auch die Bahn, welche ſie während des ganzen
Jahres zurücklegt, gegen alle jene Parallelkreiſe unter einem ge-
wiſſen Winkel geneigt iſt, ſo daß alle dieſe Parallelkreiſe von der
Sonnenbahn unter dieſem Winkel geſchnitten werden.


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[100/0112] Jährliche Bewegung der Sonne. Aequator parallel, oder bildet ſie mit dem Aequator irgend einen Winkel, und welchen? §. 40. (Die Sonnenbahn iſt gegen den Aequator geneigt). Wenn dieſe Bahn der Aequator ſelbſt oder doch ihm parallel wäre, ſo müßte die Sonne für jeden beſtimmten Ort der Erde, z. B. für Wien, durch das ganze Jahr offenbar immer an dem- ſelben Punkte des Horizonts, etwa immer bei derſelben Bergſpitze, auf- und untergehen, wie wir dieß bei den Fixſternen in ihrer täglichen Bewegung bemerken. Beſchriebe ſie z. B. den Parallel- kreis des Aldebarans am Himmel, ſo müßte ſie auch alle Tage des Jahrs in demjenigen Orte des Horizonts auf- und untergehen, in welchem wir dieſen Fixſtern, und eben ſo alle andern Punkte ſeines Parallelkreiſes, auf- und untergehen ſehen. Auch müßte dann ihre Sichtbarkeit über unſerm Horizont, d. h. die Länge des Tages, während des ganzen Jahres immer gleich groß, nämlich dieſelbe mit der Sichtbarkeit des Aldebarans ſelbſt ſeyn. Allein dieß widerſpricht allen unſern Erfahrungen. Die Längen unſerer Tage ſind, wie wir Alle wiſſen, ſehr ungleich, da ſie z. B. für Wien im Winter, wenn ſie am kürzeſten ſind, nur 8 St. 10 M., und im Sommer, wenn ſie am längſten ſind, 16 St. 6 M. dauern. Auch geht, wie nicht weniger allgemein bekannt iſt, die Sonne im Sommer ſehr viel näher bei Norden auf und unter, als im Winter, wie ſie denn auch in jener Jahreszeit im Mittag viel höher ſteht, als in dieſer. Die beiden äußerſten Punkte des Horizonts, bei welchen die Sonne im Sommer und im Winter auf- und untergeht, bilden in unſern Gegenden den ſehr beträcht- lichen Winkel von 73 Graden, und dieſer Winkel iſt für nördlicher liegende Länder noch viel größer. Eine nur geringe Aufmerkſam- keit auf dieſe ſo auffallenden Unterſchiede mußte daher auf die Idee leiten, daß die Sonne in ihrer eigenen Bewegung von Weſt gegen Oſt auch zugleich von einem Parallelkreiſe zum andern übergeht, daß ſie jeden Tag den Parallelkreis desjenigen Sterns beſchreibt, in deſſen Nähe ſie ſich an dieſem Tage eben aufhält, und daß alſo auch die Bahn, welche ſie während des ganzen Jahres zurücklegt, gegen alle jene Parallelkreiſe unter einem ge- wiſſen Winkel geneigt iſt, ſo daß alle dieſe Parallelkreiſe von der Sonnenbahn unter dieſem Winkel geſchnitten werden.

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/112>, abgerufen am 28.03.2024.