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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 14. Die Gesandten insbesondere.
sprüche in der Wissenschaft und trotz gelegentlicher Verletzung in
der Übung der Staaten stets zu den unantastbaren Grundlagen des
Staatenverkehrs gerechnet worden ist, ergiebt sich unmittelbar aus
der Souveränität der Staatsgewalt, die der Gesandte bei dem
Empfangsstaat persönlich vertritt (oben § 7 II 4). Sie allein sichert
ihm auch die Erfüllung der mit Zustimmung des Empfangsstaates
von ihm übernommenen Aufgaben. Es kann zugegeben werden, dass
der Ausdruck "Exterritorialität" nicht glücklich gewählt ist und zu
Missverständnissen Anlass geben kann. In der That aber ist der
Gesandte trotz des Aufenthalts im fremden Staat den Gesetzen
seines Heimatlandes unterworfen, als hätte er dieses niemals ver-
lassen. Er behält seinen Wohnsitz in der Hauptstadt des Heimat-
landes und hat in diesem seinen Gerichtsstand. Die herrschende
Ansicht von der Exterritorialität muss mithin, auch gegenüber den
in neuester Zeit gegen sie (so von Lawrence, Esperson, Fiore,
Zorn, Beling
und andern) gerichteten Angriffen, aufrecht er-
halten werden.

Aus dieser Auffassung ergiebt sich auch, dass der Gesandte
weder für sich, noch auch für die übrigen Personen, auf welche
sich die Befreiung erstreckt, auf diese völlig Verzicht leisten
kann. Der Absendestaat kann es zweifellos thun; aber diese Frage
ist ohne jede praktische Bedeutung. Auf die Möglichkeit eines
teilweisen Verzichts wird bei der Besprechung des Inhalts der
Exterritorialität einzugehen sein.

Die Exterritorialität umfasst im einzelnen:

1. Die persönliche Unantastbarkeit, die nur im Notstand
(unten § 24 III) verletzt werden darf.

Dagegen ohne Begründung Zorn, Staatsrecht II 435.

2. Die Exemtion von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates.

Damit ist auch die Befreiung von der Herrschaft des mate-
riellen Privat- und Strafrechts gegeben (abweichend insbesondere
Beling). Nur bei dinglichen Klagen in Beziehung auf unbeweg-
liche, im Gebiet des Empfangsstaates gelegene Güter, hat der be-
klagte Gesandte vor den Gerichten des Empfangsstaates Recht zu

§ 14. Die Gesandten insbesondere.
sprüche in der Wissenschaft und trotz gelegentlicher Verletzung in
der Übung der Staaten stets zu den unantastbaren Grundlagen des
Staatenverkehrs gerechnet worden ist, ergiebt sich unmittelbar aus
der Souveränität der Staatsgewalt, die der Gesandte bei dem
Empfangsstaat persönlich vertritt (oben § 7 II 4). Sie allein sichert
ihm auch die Erfüllung der mit Zustimmung des Empfangsstaates
von ihm übernommenen Aufgaben. Es kann zugegeben werden, daſs
der Ausdruck „Exterritorialität“ nicht glücklich gewählt ist und zu
Miſsverständnissen Anlaſs geben kann. In der That aber ist der
Gesandte trotz des Aufenthalts im fremden Staat den Gesetzen
seines Heimatlandes unterworfen, als hätte er dieses niemals ver-
lassen. Er behält seinen Wohnsitz in der Hauptstadt des Heimat-
landes und hat in diesem seinen Gerichtsstand. Die herrschende
Ansicht von der Exterritorialität muſs mithin, auch gegenüber den
in neuester Zeit gegen sie (so von Lawrence, Esperson, Fiore,
Zorn, Beling
und andern) gerichteten Angriffen, aufrecht er-
halten werden.

Aus dieser Auffassung ergiebt sich auch, daſs der Gesandte
weder für sich, noch auch für die übrigen Personen, auf welche
sich die Befreiung erstreckt, auf diese völlig Verzicht leisten
kann. Der Absendestaat kann es zweifellos thun; aber diese Frage
ist ohne jede praktische Bedeutung. Auf die Möglichkeit eines
teilweisen Verzichts wird bei der Besprechung des Inhalts der
Exterritorialität einzugehen sein.

Die Exterritorialität umfaſst im einzelnen:

1. Die persönliche Unantastbarkeit, die nur im Notstand
(unten § 24 III) verletzt werden darf.

Dagegen ohne Begründung Zorn, Staatsrecht II 435.

2. Die Exemtion von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates.

Damit ist auch die Befreiung von der Herrschaft des mate-
riellen Privat- und Strafrechts gegeben (abweichend insbesondere
Beling). Nur bei dinglichen Klagen in Beziehung auf unbeweg-
liche, im Gebiet des Empfangsstaates gelegene Güter, hat der be-
klagte Gesandte vor den Gerichten des Empfangsstaates Recht zu

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[77/0099] § 14. Die Gesandten insbesondere. sprüche in der Wissenschaft und trotz gelegentlicher Verletzung in der Übung der Staaten stets zu den unantastbaren Grundlagen des Staatenverkehrs gerechnet worden ist, ergiebt sich unmittelbar aus der Souveränität der Staatsgewalt, die der Gesandte bei dem Empfangsstaat persönlich vertritt (oben § 7 II 4). Sie allein sichert ihm auch die Erfüllung der mit Zustimmung des Empfangsstaates von ihm übernommenen Aufgaben. Es kann zugegeben werden, daſs der Ausdruck „Exterritorialität“ nicht glücklich gewählt ist und zu Miſsverständnissen Anlaſs geben kann. In der That aber ist der Gesandte trotz des Aufenthalts im fremden Staat den Gesetzen seines Heimatlandes unterworfen, als hätte er dieses niemals ver- lassen. Er behält seinen Wohnsitz in der Hauptstadt des Heimat- landes und hat in diesem seinen Gerichtsstand. Die herrschende Ansicht von der Exterritorialität muſs mithin, auch gegenüber den in neuester Zeit gegen sie (so von Lawrence, Esperson, Fiore, Zorn, Beling und andern) gerichteten Angriffen, aufrecht er- halten werden. Aus dieser Auffassung ergiebt sich auch, daſs der Gesandte weder für sich, noch auch für die übrigen Personen, auf welche sich die Befreiung erstreckt, auf diese völlig Verzicht leisten kann. Der Absendestaat kann es zweifellos thun; aber diese Frage ist ohne jede praktische Bedeutung. Auf die Möglichkeit eines teilweisen Verzichts wird bei der Besprechung des Inhalts der Exterritorialität einzugehen sein. Die Exterritorialität umfaſst im einzelnen: 1. Die persönliche Unantastbarkeit, die nur im Notstand (unten § 24 III) verletzt werden darf. Dagegen ohne Begründung Zorn, Staatsrecht II 435. 2. Die Exemtion von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Damit ist auch die Befreiung von der Herrschaft des mate- riellen Privat- und Strafrechts gegeben (abweichend insbesondere Beling). Nur bei dinglichen Klagen in Beziehung auf unbeweg- liche, im Gebiet des Empfangsstaates gelegene Güter, hat der be- klagte Gesandte vor den Gerichten des Empfangsstaates Recht zu

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/99>, abgerufen am 24.04.2024.