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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 12. Das Staatsoberhaupt.
Monarchen eine Regentschaft eingesetzt, so vertritt diese den Staat
nach aussen.

2. Dagegen kommen staatsrechtliche Beschränkungen, die das
Staatsoberhaupt in der freien Bethätigung seiner Vertretungsbefugnis
hemmen, völkerrechtlich nicht in Betracht.

Auch in der konstitutionellen Monarchie berechtigt und ver-
pflichtet der Monarch durch seine Handlungen den von ihm be-
herrschten Staat. Wenn mithin der Deutsche Kaiser gegen Artikel 11
Absatz 2 der Reichsverfassung ohne die Zustimmung des Bundesrates
einen Angriffskrieg erklären sollte, würde damit der Kriegszustand
gegeben sein.

3. Das uneingeschränkte Vertretungsrecht steht dem thatsäch-
lichen Staatsoberhaupt zu.

Die Frage seiner Legitimität ist nicht zu prüfen. Die Revo-
lution ist ein Vorgang des inneren Staatslebens, der die völker-
rechtlichen Beziehungen des Staates unberührt lässt. Die An-
erkennung des siegreichen Usurpators hat wie die Anerkennung
eines neu entstehenden Staates (oben § 5 III 26) nur deklaratorische
Bedeutung.

4. Nur das Oberhaupt eines Staates, der selbst völkerrechtliches
Subjekt ist, kommt hier in Betracht.

Was von halbsouveränen Staaten und von Staatenverbindungen
(oben §§ 6 IV) und 5 II gesagt ist, ist daher auch hier anzuwenden.
Da die halbcivilisierten Staaten nicht Glieder der völkerrechtlichen
Gemeinschaft sind, beruht auch die Stellung ihrer Staatsoberhäupter
im Ausland nicht auf völkerrechtlichen Regeln.

5. Die Vertretung des Staates kann durch das Staatsoberhaupt
(soweit die Staatsverfassung dies gestattet) für bestimmte Teile des
Staatsgebietes ganz oder teilweise an andere Personen (so an Vize-
könige, Statthalter, Kolonialgesellschaften) delegiert werden. Diese
Personen, die nicht kraft eigenen Rechts für den Staat handelnd
auftreten, haben aber keinen Anspruch auf die dem Staatsoberhaupte
völkerrechtlich zukommende Rechtsstellung.

Vgl. Schanzer, Il diritto di guerra e dei trattati negli Stati a governo
representativo. 1891.


5*

§ 12. Das Staatsoberhaupt.
Monarchen eine Regentschaft eingesetzt, so vertritt diese den Staat
nach auſsen.

2. Dagegen kommen staatsrechtliche Beschränkungen, die das
Staatsoberhaupt in der freien Bethätigung seiner Vertretungsbefugnis
hemmen, völkerrechtlich nicht in Betracht.

Auch in der konstitutionellen Monarchie berechtigt und ver-
pflichtet der Monarch durch seine Handlungen den von ihm be-
herrschten Staat. Wenn mithin der Deutsche Kaiser gegen Artikel 11
Absatz 2 der Reichsverfassung ohne die Zustimmung des Bundesrates
einen Angriffskrieg erklären sollte, würde damit der Kriegszustand
gegeben sein.

3. Das uneingeschränkte Vertretungsrecht steht dem thatsäch-
lichen Staatsoberhaupt zu.

Die Frage seiner Legitimität ist nicht zu prüfen. Die Revo-
lution ist ein Vorgang des inneren Staatslebens, der die völker-
rechtlichen Beziehungen des Staates unberührt läſst. Die An-
erkennung des siegreichen Usurpators hat wie die Anerkennung
eines neu entstehenden Staates (oben § 5 III 26) nur deklaratorische
Bedeutung.

4. Nur das Oberhaupt eines Staates, der selbst völkerrechtliches
Subjekt ist, kommt hier in Betracht.

Was von halbsouveränen Staaten und von Staatenverbindungen
(oben §§ 6 IV) und 5 II gesagt ist, ist daher auch hier anzuwenden.
Da die halbcivilisierten Staaten nicht Glieder der völkerrechtlichen
Gemeinschaft sind, beruht auch die Stellung ihrer Staatsoberhäupter
im Ausland nicht auf völkerrechtlichen Regeln.

5. Die Vertretung des Staates kann durch das Staatsoberhaupt
(soweit die Staatsverfassung dies gestattet) für bestimmte Teile des
Staatsgebietes ganz oder teilweise an andere Personen (so an Vize-
könige, Statthalter, Kolonialgesellschaften) delegiert werden. Diese
Personen, die nicht kraft eigenen Rechts für den Staat handelnd
auftreten, haben aber keinen Anspruch auf die dem Staatsoberhaupte
völkerrechtlich zukommende Rechtsstellung.

Vgl. Schanzer, Il diritto di guerra e dei trattati negli Stati a governo
representativo. 1891.


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[67/0089] § 12. Das Staatsoberhaupt. Monarchen eine Regentschaft eingesetzt, so vertritt diese den Staat nach auſsen. 2. Dagegen kommen staatsrechtliche Beschränkungen, die das Staatsoberhaupt in der freien Bethätigung seiner Vertretungsbefugnis hemmen, völkerrechtlich nicht in Betracht. Auch in der konstitutionellen Monarchie berechtigt und ver- pflichtet der Monarch durch seine Handlungen den von ihm be- herrschten Staat. Wenn mithin der Deutsche Kaiser gegen Artikel 11 Absatz 2 der Reichsverfassung ohne die Zustimmung des Bundesrates einen Angriffskrieg erklären sollte, würde damit der Kriegszustand gegeben sein. 3. Das uneingeschränkte Vertretungsrecht steht dem thatsäch- lichen Staatsoberhaupt zu. Die Frage seiner Legitimität ist nicht zu prüfen. Die Revo- lution ist ein Vorgang des inneren Staatslebens, der die völker- rechtlichen Beziehungen des Staates unberührt läſst. Die An- erkennung des siegreichen Usurpators hat wie die Anerkennung eines neu entstehenden Staates (oben § 5 III 26) nur deklaratorische Bedeutung. 4. Nur das Oberhaupt eines Staates, der selbst völkerrechtliches Subjekt ist, kommt hier in Betracht. Was von halbsouveränen Staaten und von Staatenverbindungen (oben §§ 6 IV) und 5 II gesagt ist, ist daher auch hier anzuwenden. Da die halbcivilisierten Staaten nicht Glieder der völkerrechtlichen Gemeinschaft sind, beruht auch die Stellung ihrer Staatsoberhäupter im Ausland nicht auf völkerrechtlichen Regeln. 5. Die Vertretung des Staates kann durch das Staatsoberhaupt (soweit die Staatsverfassung dies gestattet) für bestimmte Teile des Staatsgebietes ganz oder teilweise an andere Personen (so an Vize- könige, Statthalter, Kolonialgesellschaften) delegiert werden. Diese Personen, die nicht kraft eigenen Rechts für den Staat handelnd auftreten, haben aber keinen Anspruch auf die dem Staatsoberhaupte völkerrechtlich zukommende Rechtsstellung. Vgl. Schanzer, Il diritto di guerra e dei trattati negli Stati a governo representativo. 1891. 5*

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/89>, abgerufen am 25.04.2024.