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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.

Da diese aber heute noch nicht nach einheitlichen Grundsätzen
vorzugehen pflegt, so ist die Möglichkeit einer positiven wie einer nega-
tiven Statutenkollision gegeben.

1. Es kann jemand die Staatsangehörigkeit seines Heimatstaates
beibehalten und die eines andern Staates erworben haben, mithin An-
gehöriger zweier Staaten sein (sujets mixtes).

2. Es kann jemand die Staatsangehörigkeit seines Heimatstaates
verloren und die eines andern Staates nicht erlangt haben, mithin im
völkerrechtlichen Sinne "heimatlos" sein.

An diese beiden Fälle schliessen sich weiter die bereits mit
der Geburt möglicherweise gegebene doppelte Staatsangehörigkeit
oder Heimatlosigkeit.

Vgl. von und zu Bodmann, L. A. XII 200, 317.

Zur Vermeidung der mit den Kollisionsfällen verbundenen
Übelstände haben verschiedene Verträge zwischen einzelnen Staaten
gleiche Grundsätze über Erwerb und Verlust der Staatsangehörig-
keit aufgestellt. Beachtenswert sind insbesondere die von Frank-
reich mit der Schweiz am 23. Juli 1879 und mit Belgien am
30. Juli 1891 geschlossenen Verträge. Aber auch das Deutsche
Reich und die deutschen Einzelstaaten haben solche Verträge ge-
schlossen; hierher gehören die vom Norddeutschen Bund (am
22. Februar 1868; R. G. Bl. S. 228), sowie von den süddeutschen
Staaten mit den Vereinigten Staaten Nordamerikas geschlossenen so-
genannten Bancroftverträge. Nach diesen werden Angehörige des
einen Vertragschliessenden, die naturalisierte Angehörige des andern
geworden sind und fünf Jahre lang ununterbrochen in dessen Gebiet
zugebracht haben, als Angehörige des Aufenthaltstaates betrachtet
und behandelt. Sie dürfen bei der Rückkehr in das Geburtsland
in diesem nur wegen der vor der Auswanderung, nicht wegen
der durch die Auswanderung begangenen strafbaren Handlungen
(es handelt sich insbesondere um die Verletzung der Wehrpflicht)
zur Verantwortung gezogen werden. Spätere Niederlassung in dem
Geburtsland ohne Absicht der Rückkehr in das Land, in dem die
Naturalisation erfolgt ist, gilt als Verzicht auf diese. Und der
Verzicht auf die Rückkehr kann als vorhanden angenommen werden,

I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.

Da diese aber heute noch nicht nach einheitlichen Grundsätzen
vorzugehen pflegt, so ist die Möglichkeit einer positiven wie einer nega-
tiven Statutenkollision gegeben.

1. Es kann jemand die Staatsangehörigkeit seines Heimatstaates
beibehalten und die eines andern Staates erworben haben, mithin An-
gehöriger zweier Staaten sein (sujets mixtes).

2. Es kann jemand die Staatsangehörigkeit seines Heimatstaates
verloren und die eines andern Staates nicht erlangt haben, mithin im
völkerrechtlichen Sinne „heimatlos“ sein.

An diese beiden Fälle schlieſsen sich weiter die bereits mit
der Geburt möglicherweise gegebene doppelte Staatsangehörigkeit
oder Heimatlosigkeit.

Vgl. von und zu Bodmann, L. A. XII 200, 317.

Zur Vermeidung der mit den Kollisionsfällen verbundenen
Übelstände haben verschiedene Verträge zwischen einzelnen Staaten
gleiche Grundsätze über Erwerb und Verlust der Staatsangehörig-
keit aufgestellt. Beachtenswert sind insbesondere die von Frank-
reich mit der Schweiz am 23. Juli 1879 und mit Belgien am
30. Juli 1891 geschlossenen Verträge. Aber auch das Deutsche
Reich und die deutschen Einzelstaaten haben solche Verträge ge-
schlossen; hierher gehören die vom Norddeutschen Bund (am
22. Februar 1868; R. G. Bl. S. 228), sowie von den süddeutschen
Staaten mit den Vereinigten Staaten Nordamerikas geschlossenen so-
genannten Bancroftverträge. Nach diesen werden Angehörige des
einen Vertragschlieſsenden, die naturalisierte Angehörige des andern
geworden sind und fünf Jahre lang ununterbrochen in dessen Gebiet
zugebracht haben, als Angehörige des Aufenthaltstaates betrachtet
und behandelt. Sie dürfen bei der Rückkehr in das Geburtsland
in diesem nur wegen der vor der Auswanderung, nicht wegen
der durch die Auswanderung begangenen strafbaren Handlungen
(es handelt sich insbesondere um die Verletzung der Wehrpflicht)
zur Verantwortung gezogen werden. Spätere Niederlassung in dem
Geburtsland ohne Absicht der Rückkehr in das Land, in dem die
Naturalisation erfolgt ist, gilt als Verzicht auf diese. Und der
Verzicht auf die Rückkehr kann als vorhanden angenommen werden,

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[62/0084] I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung. Da diese aber heute noch nicht nach einheitlichen Grundsätzen vorzugehen pflegt, so ist die Möglichkeit einer positiven wie einer nega- tiven Statutenkollision gegeben. 1. Es kann jemand die Staatsangehörigkeit seines Heimatstaates beibehalten und die eines andern Staates erworben haben, mithin An- gehöriger zweier Staaten sein (sujets mixtes). 2. Es kann jemand die Staatsangehörigkeit seines Heimatstaates verloren und die eines andern Staates nicht erlangt haben, mithin im völkerrechtlichen Sinne „heimatlos“ sein. An diese beiden Fälle schlieſsen sich weiter die bereits mit der Geburt möglicherweise gegebene doppelte Staatsangehörigkeit oder Heimatlosigkeit. Vgl. von und zu Bodmann, L. A. XII 200, 317. Zur Vermeidung der mit den Kollisionsfällen verbundenen Übelstände haben verschiedene Verträge zwischen einzelnen Staaten gleiche Grundsätze über Erwerb und Verlust der Staatsangehörig- keit aufgestellt. Beachtenswert sind insbesondere die von Frank- reich mit der Schweiz am 23. Juli 1879 und mit Belgien am 30. Juli 1891 geschlossenen Verträge. Aber auch das Deutsche Reich und die deutschen Einzelstaaten haben solche Verträge ge- schlossen; hierher gehören die vom Norddeutschen Bund (am 22. Februar 1868; R. G. Bl. S. 228), sowie von den süddeutschen Staaten mit den Vereinigten Staaten Nordamerikas geschlossenen so- genannten Bancroftverträge. Nach diesen werden Angehörige des einen Vertragschlieſsenden, die naturalisierte Angehörige des andern geworden sind und fünf Jahre lang ununterbrochen in dessen Gebiet zugebracht haben, als Angehörige des Aufenthaltstaates betrachtet und behandelt. Sie dürfen bei der Rückkehr in das Geburtsland in diesem nur wegen der vor der Auswanderung, nicht wegen der durch die Auswanderung begangenen strafbaren Handlungen (es handelt sich insbesondere um die Verletzung der Wehrpflicht) zur Verantwortung gezogen werden. Spätere Niederlassung in dem Geburtsland ohne Absicht der Rückkehr in das Land, in dem die Naturalisation erfolgt ist, gilt als Verzicht auf diese. Und der Verzicht auf die Rückkehr kann als vorhanden angenommen werden,

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/84>, abgerufen am 25.04.2024.