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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
Asyl gewährt, sondern auch ihrem Treiben ruhig zuzusehen pflegt,
den Anforderungen des Völkerrechts in allen Fällen entsprochen hat.

Vgl. R. G. I 157.

2. Kein Staat darf sich unbefugt in die innern oder äussern
Angelegenheiten eines andern Staates einmischen (Prinzip der Nicht-
intervention).

Intervention ist die autoritative Einmischung in die innern oder
äussern Angelegenheiten eines andern Staates. Sie erfordert das an
einen andern Staat gerichtete, wenn auch nicht notwendig durch An-
drohung oder Anwendung von Waffengewalt unterstützte Verlangen
zu einem bestimmten Thun oder Unterlassen.

Sie ist daher verschieden von der Intercession d. h. der Er-
teilung freundschaftlicher Ratschläge, sowie von der unten § 38 I zu
besprechenden Mediation oder Vermittlung. Die Grenzlinie mag
freilich im einzelnen Falle schwer zu ziehen sein. So wurde der
von Russland, Frankreich und Deutschland gegen den Frieden von
Simonoseki vom 17. April 1895, insbesondere gegen die Abtretung
der Halbinsel Liautung, erhobene Einspruch auf beiden Seiten als
"freundschaftlicher Ratschlag" bezeichnet, obwohl es klar war, dass
seine Beachtung im Notfalle erzwungen werden würde.

Die Intervention widerspricht dem heutigen Völkerrecht.
Aber dieser Satz hat sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts aus-
gebildet. Die Heilige Allianz hat die Aufrechthaltung des "legi-
timen" Zustandes in den kleineren europäischen Staaten von 1815
an wiederholt mit Waffengewalt durchzusetzen versucht. Erst seit
dem dritten Jahrzehnt tritt Grossbritannien für die Unabhängigkeit
der einzelnen Staaten ein. Einen besonderen Ausdruck hat dann
das Prinzip der Nichtintervention gefunden in der Botschaft von
James Monroe, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, vom
2. Dezember 1823.

Cespedes, La doctrina de Monroe. 1893.

Desjardin, R. G. III 137.

J. B. Moore, R. J. XXVIII 301.

Th. Barclay, R. J. XXVIII 502.

Declarue de Beaumarchais, La doctrine de Monroe. 1898.


I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
Asyl gewährt, sondern auch ihrem Treiben ruhig zuzusehen pflegt,
den Anforderungen des Völkerrechts in allen Fällen entsprochen hat.

Vgl. R. G. I 157.

2. Kein Staat darf sich unbefugt in die innern oder äuſsern
Angelegenheiten eines andern Staates einmischen (Prinzip der Nicht-
intervention).

Intervention ist die autoritative Einmischung in die innern oder
äuſsern Angelegenheiten eines andern Staates. Sie erfordert das an
einen andern Staat gerichtete, wenn auch nicht notwendig durch An-
drohung oder Anwendung von Waffengewalt unterstützte Verlangen
zu einem bestimmten Thun oder Unterlassen.

Sie ist daher verschieden von der Intercession d. h. der Er-
teilung freundschaftlicher Ratschläge, sowie von der unten § 38 I zu
besprechenden Mediation oder Vermittlung. Die Grenzlinie mag
freilich im einzelnen Falle schwer zu ziehen sein. So wurde der
von Ruſsland, Frankreich und Deutschland gegen den Frieden von
Simonoseki vom 17. April 1895, insbesondere gegen die Abtretung
der Halbinsel Liautung, erhobene Einspruch auf beiden Seiten als
„freundschaftlicher Ratschlag“ bezeichnet, obwohl es klar war, daſs
seine Beachtung im Notfalle erzwungen werden würde.

Die Intervention widerspricht dem heutigen Völkerrecht.
Aber dieser Satz hat sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts aus-
gebildet. Die Heilige Allianz hat die Aufrechthaltung des „legi-
timen“ Zustandes in den kleineren europäischen Staaten von 1815
an wiederholt mit Waffengewalt durchzusetzen versucht. Erst seit
dem dritten Jahrzehnt tritt Groſsbritannien für die Unabhängigkeit
der einzelnen Staaten ein. Einen besonderen Ausdruck hat dann
das Prinzip der Nichtintervention gefunden in der Botschaft von
James Monroe, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, vom
2. Dezember 1823.

Cespedes, La doctrina de Monroe. 1893.

Desjardin, R. G. III 137.

J. B. Moore, R. J. XXVIII 301.

Th. Barclay, R. J. XXVIII 502.

Declarue de Beaumarchais, La doctrine de Monroe. 1898.


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[36/0058] I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung. Asyl gewährt, sondern auch ihrem Treiben ruhig zuzusehen pflegt, den Anforderungen des Völkerrechts in allen Fällen entsprochen hat. Vgl. R. G. I 157. 2. Kein Staat darf sich unbefugt in die innern oder äuſsern Angelegenheiten eines andern Staates einmischen (Prinzip der Nicht- intervention). Intervention ist die autoritative Einmischung in die innern oder äuſsern Angelegenheiten eines andern Staates. Sie erfordert das an einen andern Staat gerichtete, wenn auch nicht notwendig durch An- drohung oder Anwendung von Waffengewalt unterstützte Verlangen zu einem bestimmten Thun oder Unterlassen. Sie ist daher verschieden von der Intercession d. h. der Er- teilung freundschaftlicher Ratschläge, sowie von der unten § 38 I zu besprechenden Mediation oder Vermittlung. Die Grenzlinie mag freilich im einzelnen Falle schwer zu ziehen sein. So wurde der von Ruſsland, Frankreich und Deutschland gegen den Frieden von Simonoseki vom 17. April 1895, insbesondere gegen die Abtretung der Halbinsel Liautung, erhobene Einspruch auf beiden Seiten als „freundschaftlicher Ratschlag“ bezeichnet, obwohl es klar war, daſs seine Beachtung im Notfalle erzwungen werden würde. Die Intervention widerspricht dem heutigen Völkerrecht. Aber dieser Satz hat sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts aus- gebildet. Die Heilige Allianz hat die Aufrechthaltung des „legi- timen“ Zustandes in den kleineren europäischen Staaten von 1815 an wiederholt mit Waffengewalt durchzusetzen versucht. Erst seit dem dritten Jahrzehnt tritt Groſsbritannien für die Unabhängigkeit der einzelnen Staaten ein. Einen besonderen Ausdruck hat dann das Prinzip der Nichtintervention gefunden in der Botschaft von James Monroe, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, vom 2. Dezember 1823. Cespedes, La doctrina de Monroe. 1893. Desjardin, R. G. III 137. J. B. Moore, R. J. XXVIII 301. Th. Barclay, R. J. XXVIII 502. Declarue de Beaumarchais, La doctrine de Monroe. 1898.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/58>, abgerufen am 25.04.2024.