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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
f) Unter der Gesamtoberherrlichkeit von Deutschland, England und
den Vereinigten Staaten:

die Samoa-Inseln (durch Vertrag der drei Mächte vom
14. Juni 1889).

g) Die von Italien über Abessinien auf Grund des Vertrages zu
Utschialli vom 25. Mai 1889 in Anspruch genommene Ober-
herrschaft musste im Frieden zu Adis Abeba vom 26. Oktober
1896 wieder aufgegeben werden.

Despagnet, R. G. IV 1.

2. Verschieden von der Oberherrlichkeit ist der vertragsmässig
einem andern Staat gewährte Schutz, das eigentliche, heute nurmehr
ausnahmsweise vorkommende Protektorat.
Durch das Schutzver-
sprechen wird die Souveränität des geschützten Staates in keiner
Weise berührt. Ein Beispiel bietet San Marino im Verhältnisse zu
Italien (Vertrag von 1862).

3. Als staatsrechtliches oder koloniales "Protektorat" oder als
"Schutzgewalt" über "Schutzgebiete" pflegt man wohl auch irre-
führend einerseits die Landeshoheit über überseeische Kolonieen, andrer-
seits die völkerrechtlichen Befugnisse in der Interessensphäre oder dem
Hinterlande zu bezeichnen
(unten § 9 II).

§ 7. Die Souveränität als äussere Selbständigkeit.
(Die völkerrechtlichen Grundrechte.)
I.

Aus dem Begriff des Völkerrechts ergiebt sich unmittelbar die
Pflicht eines jeden Staates, alle übrigen Staaten als gleichberechtigte
Glieder der völkerrechtlichen Gemeinschaft, als souveräne Rechtsge-
nossen anzuerkennen und sich jedes Eingriffs in ihre Selbständigkeit
zu enthalten. Jeder solche Eingriff begründet ein völkerrechtliches
Delikt
(unten § 24).

1. Die aus diesem Satz sich ergebenden Rechte kommen ohne
weiteres jedem Staat als Mitglied der völkerrechtlichen Gemein-
schaft (aber auch nur diesen, und nicht den ausserhalb der Ge-
meinschaft stehenden Staaten) zu; sie werden daher auch wohl als
völkerrechtliche "Grundrechte" bezeichnet. Sie bedürfen, wie die
ihnen entsprechenden Pflichten, keiner besondern, vertragsmässigen

I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
f) Unter der Gesamtoberherrlichkeit von Deutschland, England und
den Vereinigten Staaten:

die Samoa-Inseln (durch Vertrag der drei Mächte vom
14. Juni 1889).

g) Die von Italien über Abessinien auf Grund des Vertrages zu
Utschialli vom 25. Mai 1889 in Anspruch genommene Ober-
herrschaft muſste im Frieden zu Adis Abeba vom 26. Oktober
1896 wieder aufgegeben werden.

Despagnet, R. G. IV 1.

2. Verschieden von der Oberherrlichkeit ist der vertragsmäſsig
einem andern Staat gewährte Schutz, das eigentliche, heute nurmehr
ausnahmsweise vorkommende Protektorat.
Durch das Schutzver-
sprechen wird die Souveränität des geschützten Staates in keiner
Weise berührt. Ein Beispiel bietet San Marino im Verhältnisse zu
Italien (Vertrag von 1862).

3. Als staatsrechtliches oder koloniales „Protektorat“ oder als
„Schutzgewalt“ über „Schutzgebiete“ pflegt man wohl auch irre-
führend einerseits die Landeshoheit über überseeische Kolonieen, andrer-
seits die völkerrechtlichen Befugnisse in der Interessensphäre oder dem
Hinterlande zu bezeichnen
(unten § 9 II).

§ 7. Die Souveränität als äuſsere Selbständigkeit.
(Die völkerrechtlichen Grundrechte.)
I.

Aus dem Begriff des Völkerrechts ergiebt sich unmittelbar die
Pflicht eines jeden Staates, alle übrigen Staaten als gleichberechtigte
Glieder der völkerrechtlichen Gemeinschaft, als souveräne Rechtsge-
nossen anzuerkennen und sich jedes Eingriffs in ihre Selbständigkeit
zu enthalten. Jeder solche Eingriff begründet ein völkerrechtliches
Delikt
(unten § 24).

1. Die aus diesem Satz sich ergebenden Rechte kommen ohne
weiteres jedem Staat als Mitglied der völkerrechtlichen Gemein-
schaft (aber auch nur diesen, und nicht den auſserhalb der Ge-
meinschaft stehenden Staaten) zu; sie werden daher auch wohl als
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[34/0056] I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung. f) Unter der Gesamtoberherrlichkeit von Deutschland, England und den Vereinigten Staaten: die Samoa-Inseln (durch Vertrag der drei Mächte vom 14. Juni 1889). g) Die von Italien über Abessinien auf Grund des Vertrages zu Utschialli vom 25. Mai 1889 in Anspruch genommene Ober- herrschaft muſste im Frieden zu Adis Abeba vom 26. Oktober 1896 wieder aufgegeben werden. Despagnet, R. G. IV 1. 2. Verschieden von der Oberherrlichkeit ist der vertragsmäſsig einem andern Staat gewährte Schutz, das eigentliche, heute nurmehr ausnahmsweise vorkommende Protektorat. Durch das Schutzver- sprechen wird die Souveränität des geschützten Staates in keiner Weise berührt. Ein Beispiel bietet San Marino im Verhältnisse zu Italien (Vertrag von 1862). 3. Als staatsrechtliches oder koloniales „Protektorat“ oder als „Schutzgewalt“ über „Schutzgebiete“ pflegt man wohl auch irre- führend einerseits die Landeshoheit über überseeische Kolonieen, andrer- seits die völkerrechtlichen Befugnisse in der Interessensphäre oder dem Hinterlande zu bezeichnen (unten § 9 II). § 7. Die Souveränität als äuſsere Selbständigkeit. (Die völkerrechtlichen Grundrechte.) I. Aus dem Begriff des Völkerrechts ergiebt sich unmittelbar die Pflicht eines jeden Staates, alle übrigen Staaten als gleichberechtigte Glieder der völkerrechtlichen Gemeinschaft, als souveräne Rechtsge- nossen anzuerkennen und sich jedes Eingriffs in ihre Selbständigkeit zu enthalten. Jeder solche Eingriff begründet ein völkerrechtliches Delikt (unten § 24). 1. Die aus diesem Satz sich ergebenden Rechte kommen ohne weiteres jedem Staat als Mitglied der völkerrechtlichen Gemein- schaft (aber auch nur diesen, und nicht den auſserhalb der Ge- meinschaft stehenden Staaten) zu; sie werden daher auch wohl als völkerrechtliche „Grundrechte“ bezeichnet. Sie bedürfen, wie die ihnen entsprechenden Pflichten, keiner besondern, vertragsmäſsigen

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/56>, abgerufen am 29.03.2024.