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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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I. Buch.
Die Rechtssubjekte und ihre allgemeine
Rechtsstellung.


§ 5. Die Staaten als Rechtssubjekte des Völkerrechts.
I.

Nur die Staaten (nicht die Fürsten, noch die Völker) sind
Subjekte des Völkerrechts: Träger von völkerrechtlichen Rechten und
Pflichten.

Staat im Sinne des Völkerrechts ist die auf einem bestimmten Ge-
biete angesiedelte, durch eine selbständige und unabhängige Herrscher-
gewalt zusammengefasste, menschliche Gemeinschaft. Zum Begriff des
Staates gehören mithin drei Merkmale: 1. die selbständige und unab-
hängige (souveräne) Staatsgewalt; 2. das Staatsgebiet; 3. das Staatsvolk.

Subjekte des Völkerrechts sind daher nicht:

1. Nomadisierende Stämme, soweit sie nicht etwa ein abge-
grenztes Gebiet ausschliesslich beherrschen. Die mit ihnen ge-
schlossenen Verträge können aber als "fiktiver Besitzerwerb" (unten
§ 9 II) in Betracht kommen.

2. Die von Einzelnen oder von privaten Gesellschaften aus-
gehenden kolonisatorischen Unternehmungen.

Jedoch ist zu bemerken:

a) Diese Unternehmungen werden zu selbständigen Staaten in
dem Augenblick, in dem sich in ihnen die drei Merkmale
des Staatsbegriffes vereinigen. Die seither, nicht aber die
bis dahin von ihnen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte stehen
unter den Normen des Völkerrechts.

I. Buch.
Die Rechtssubjekte und ihre allgemeine
Rechtsstellung.


§ 5. Die Staaten als Rechtssubjekte des Völkerrechts.
I.

Nur die Staaten (nicht die Fürsten, noch die Völker) sind
Subjekte des Völkerrechts: Träger von völkerrechtlichen Rechten und
Pflichten.

Staat im Sinne des Völkerrechts ist die auf einem bestimmten Ge-
biete angesiedelte, durch eine selbständige und unabhängige Herrscher-
gewalt zusammengefaſste, menschliche Gemeinschaft. Zum Begriff des
Staates gehören mithin drei Merkmale: 1. die selbständige und unab-
hängige (souveräne) Staatsgewalt; 2. das Staatsgebiet; 3. das Staatsvolk.

Subjekte des Völkerrechts sind daher nicht:

1. Nomadisierende Stämme, soweit sie nicht etwa ein abge-
grenztes Gebiet ausschlieſslich beherrschen. Die mit ihnen ge-
schlossenen Verträge können aber als „fiktiver Besitzerwerb“ (unten
§ 9 II) in Betracht kommen.

2. Die von Einzelnen oder von privaten Gesellschaften aus-
gehenden kolonisatorischen Unternehmungen.

Jedoch ist zu bemerken:

a) Diese Unternehmungen werden zu selbständigen Staaten in
dem Augenblick, in dem sich in ihnen die drei Merkmale
des Staatsbegriffes vereinigen. Die seither, nicht aber die
bis dahin von ihnen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte stehen
unter den Normen des Völkerrechts.

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[[21]/0043] I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgemeine Rechtsstellung. § 5. Die Staaten als Rechtssubjekte des Völkerrechts. I. Nur die Staaten (nicht die Fürsten, noch die Völker) sind Subjekte des Völkerrechts: Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten. Staat im Sinne des Völkerrechts ist die auf einem bestimmten Ge- biete angesiedelte, durch eine selbständige und unabhängige Herrscher- gewalt zusammengefaſste, menschliche Gemeinschaft. Zum Begriff des Staates gehören mithin drei Merkmale: 1. die selbständige und unab- hängige (souveräne) Staatsgewalt; 2. das Staatsgebiet; 3. das Staatsvolk. Subjekte des Völkerrechts sind daher nicht: 1. Nomadisierende Stämme, soweit sie nicht etwa ein abge- grenztes Gebiet ausschlieſslich beherrschen. Die mit ihnen ge- schlossenen Verträge können aber als „fiktiver Besitzerwerb“ (unten § 9 II) in Betracht kommen. 2. Die von Einzelnen oder von privaten Gesellschaften aus- gehenden kolonisatorischen Unternehmungen. Jedoch ist zu bemerken: a) Diese Unternehmungen werden zu selbständigen Staaten in dem Augenblick, in dem sich in ihnen die drei Merkmale des Staatsbegriffes vereinigen. Die seither, nicht aber die bis dahin von ihnen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte stehen unter den Normen des Völkerrechts.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. [21]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/43>, abgerufen am 29.03.2024.