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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte.
sie insbesondere auch Artikel 2 des deutsch-österreichischen Bünd-
nisvertrages vom 7. Oktober 1879 vereinbart (oben § 37 III), steht
im Widerspruch mit dem Begriff der Neutralität und berechtigt
den Gegner dazu, den Freund seines Feindes als Feind zu be-
handeln. Dagegen ist es durchaus nicht ausgeschlossen, dass die
neutralen Mächte ihre Neutralität durch Aufgebot ihrer Truppen-
macht zu verteidigen sich rüsten (bewaffnete Neutralität), so
lange sie nicht angriffsweise gegen einen der Kriegführenden vor-
gehen.

II.

Der neutrale Staat darf keinen der Kriegführenden in der
Führung des Krieges unterstützen. Er darf für keinen von ihnen that-
sächlich Partei ergreifen, wenn er auch seine Neigung und Abneigung
auszusprechen durchaus berechtigt ist. Was er dem einen gewährt,
darf er dem andern nicht versagen. Diese Pflicht trifft den Staat als
solchen, nicht seine Unterthanen. Doch haftet der Staat unter ge-
wissen Voraussetzungen für die von diesen vorgenommenen Handlungen.

Die Abgrenzung kann Schwierigkeiten machen. Es empfiehlt
sich daher für jeden Staat, seine Auffassung von den Pflichten,
welche durch die Neutralität seinen Staatsangehörigen auferlegt
werden, durch die nationale Gesetzgebung zum klaren Ausdruck zu
bringen. Das hat z. B. England durch seine Foreign Enlistment
Act von 1870 gethan. Demselben Zwecke dienen (teilweise) die
von den nichtbeteiligten Mächten erlassenen Neutralitätserklärungen.

1. Jede direkte Unterstützung des einen oder des andern Krieg-
führenden durch die Regierung des neutralen Staates ist eine Ver-
letzung des Völkerrechts; ebenso die Gewährung von Hilfstruppen oder
von Geldmitteln, die Gestattung des Durchzugs von Truppen durch
das neutrale Staatsgebiet, die Lieferung von Waffen oder anderem
Kriegsbedarf, der Verkauf von Kriegsschiffen u. s. w.

Das gilt auch von dem Fall, dass sich der neutrale Staat
durch Verträge, die er vor dem Krieg mit einem der Kriegführenden
geschlossen hat, zu solchen Leistungen verpflichtet haben sollte.
Durch die Erfüllung dieser Vertragspflichten nimmt er am Kriege
teil und verwirkt die Rechtsstellung des Neutralen. Von allen
Seiten ist es als eine schwere Verletzung des Völkerrechts bezeichnet

v. Liszt, Völkerrecht. 16

§ 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte.
sie insbesondere auch Artikel 2 des deutsch-österreichischen Bünd-
nisvertrages vom 7. Oktober 1879 vereinbart (oben § 37 III), steht
im Widerspruch mit dem Begriff der Neutralität und berechtigt
den Gegner dazu, den Freund seines Feindes als Feind zu be-
handeln. Dagegen ist es durchaus nicht ausgeschlossen, daſs die
neutralen Mächte ihre Neutralität durch Aufgebot ihrer Truppen-
macht zu verteidigen sich rüsten (bewaffnete Neutralität), so
lange sie nicht angriffsweise gegen einen der Kriegführenden vor-
gehen.

II.

Der neutrale Staat darf keinen der Kriegführenden in der
Führung des Krieges unterstützen. Er darf für keinen von ihnen that-
sächlich Partei ergreifen, wenn er auch seine Neigung und Abneigung
auszusprechen durchaus berechtigt ist. Was er dem einen gewährt,
darf er dem andern nicht versagen. Diese Pflicht trifft den Staat als
solchen, nicht seine Unterthanen. Doch haftet der Staat unter ge-
wissen Voraussetzungen für die von diesen vorgenommenen Handlungen.

Die Abgrenzung kann Schwierigkeiten machen. Es empfiehlt
sich daher für jeden Staat, seine Auffassung von den Pflichten,
welche durch die Neutralität seinen Staatsangehörigen auferlegt
werden, durch die nationale Gesetzgebung zum klaren Ausdruck zu
bringen. Das hat z. B. England durch seine Foreign Enlistment
Act von 1870 gethan. Demselben Zwecke dienen (teilweise) die
von den nichtbeteiligten Mächten erlassenen Neutralitätserklärungen.

1. Jede direkte Unterstützung des einen oder des andern Krieg-
führenden durch die Regierung des neutralen Staates ist eine Ver-
letzung des Völkerrechts; ebenso die Gewährung von Hilfstruppen oder
von Geldmitteln, die Gestattung des Durchzugs von Truppen durch
das neutrale Staatsgebiet, die Lieferung von Waffen oder anderem
Kriegsbedarf, der Verkauf von Kriegsschiffen u. s. w.

Das gilt auch von dem Fall, daſs sich der neutrale Staat
durch Verträge, die er vor dem Krieg mit einem der Kriegführenden
geschlossen hat, zu solchen Leistungen verpflichtet haben sollte.
Durch die Erfüllung dieser Vertragspflichten nimmt er am Kriege
teil und verwirkt die Rechtsstellung des Neutralen. Von allen
Seiten ist es als eine schwere Verletzung des Völkerrechts bezeichnet

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[241/0263] § 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte. sie insbesondere auch Artikel 2 des deutsch-österreichischen Bünd- nisvertrages vom 7. Oktober 1879 vereinbart (oben § 37 III), steht im Widerspruch mit dem Begriff der Neutralität und berechtigt den Gegner dazu, den Freund seines Feindes als Feind zu be- handeln. Dagegen ist es durchaus nicht ausgeschlossen, daſs die neutralen Mächte ihre Neutralität durch Aufgebot ihrer Truppen- macht zu verteidigen sich rüsten (bewaffnete Neutralität), so lange sie nicht angriffsweise gegen einen der Kriegführenden vor- gehen. II. Der neutrale Staat darf keinen der Kriegführenden in der Führung des Krieges unterstützen. Er darf für keinen von ihnen that- sächlich Partei ergreifen, wenn er auch seine Neigung und Abneigung auszusprechen durchaus berechtigt ist. Was er dem einen gewährt, darf er dem andern nicht versagen. Diese Pflicht trifft den Staat als solchen, nicht seine Unterthanen. Doch haftet der Staat unter ge- wissen Voraussetzungen für die von diesen vorgenommenen Handlungen. Die Abgrenzung kann Schwierigkeiten machen. Es empfiehlt sich daher für jeden Staat, seine Auffassung von den Pflichten, welche durch die Neutralität seinen Staatsangehörigen auferlegt werden, durch die nationale Gesetzgebung zum klaren Ausdruck zu bringen. Das hat z. B. England durch seine Foreign Enlistment Act von 1870 gethan. Demselben Zwecke dienen (teilweise) die von den nichtbeteiligten Mächten erlassenen Neutralitätserklärungen. 1. Jede direkte Unterstützung des einen oder des andern Krieg- führenden durch die Regierung des neutralen Staates ist eine Ver- letzung des Völkerrechts; ebenso die Gewährung von Hilfstruppen oder von Geldmitteln, die Gestattung des Durchzugs von Truppen durch das neutrale Staatsgebiet, die Lieferung von Waffen oder anderem Kriegsbedarf, der Verkauf von Kriegsschiffen u. s. w. Das gilt auch von dem Fall, daſs sich der neutrale Staat durch Verträge, die er vor dem Krieg mit einem der Kriegführenden geschlossen hat, zu solchen Leistungen verpflichtet haben sollte. Durch die Erfüllung dieser Vertragspflichten nimmt er am Kriege teil und verwirkt die Rechtsstellung des Neutralen. Von allen Seiten ist es als eine schwere Verletzung des Völkerrechts bezeichnet v. Liszt, Völkerrecht. 16

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/263>, abgerufen am 24.04.2024.