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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 42. Der Seekrieg insbesondere.
vorausgesetzt nur, dass es sich nicht um ein Scheingeschäft handelt.
Wenn also das Schiff infolge eines Verkaufs in anderes Eigentum
übergeht und damit das Recht gewinnt, die Flagge eines neutralen
Staates zu führen, so darf es nicht weggenommen werden. Doch
hat hier die Rechtsprechung der Prisen-Gerichte in den verschie-
denen Ländern vielfach eine strengere Auffassung vertreten.

b) Die Ladung ist eine feindliche, wenn sie im Eigentum eines
Staatsangehörigen des Gegners steht, mag dieser Absender oder Em-
pfänger der Ware sein.

Auch hier lässt die englisch-amerikanische Auffassung den
Wohnsitz und nicht die Staatsangehörigkeit entscheiden; sie geht
auch im übrigen über den aufgestellten und von den Kontinental-
mächten festgehaltenen Grundsatz hinaus (feindlich ist die Ware,
die ein Erzeugnis des feindlichen Bodens ist).

3. Von der Wegnahme sind gewohnheitsrechtlich gewisse Schiffe
befreit; doch ist die Gewohnheit eine schwankende.

Meist rechnet man hierher: die zur Küstenfischerei bestimmten
Boote und Gerätschaften; Schiffe, die zu wissenschaftlichen For-
schungen und für Missionszwecke ausgerüstet sind; Lotsenboote und
Kartellboote (die zur Überbringung von Parlamentären oder von aus-
zuwechselnden Gefangenen bestimmt sind). Sanitätsschiffe und
Rettungsboote dagegen nur nach der nichtratifizierten Genfer Kon-
vention von 1868.

4. Das Kriegsschiff (beziehungsweise der Kaper) hat nur das
Recht der Beschlagnahme.

Nachdem das verdächtige Schiff durch einen blinden Schuss
(coup de semonce) zur Anhaltung und zur Weisung seiner Flagge
angehalten worden ist, wird es durch eine Abordnung des Kriegs-
schiffes besucht, damit die Staatsangehörigkeit des Schiffes und der
Ladung festgestellt werden kann. Stellt eine Durchsuchung der
Schiffspapiere fest, dass die Voraussetzungen der Wegnahme ge-
geben sind, so wird das Schiff mit Beschlag belegt und entweder
durch seine eigene Mannschaft oder durch die Mannschaft des Kriegs-
schiffes in den nächsten Hafen des Wegnehmenden gesteuert. Leistet
das Schiff Widerstand, so kann es in den Grund gebohrt werden;

§ 42. Der Seekrieg insbesondere.
vorausgesetzt nur, daſs es sich nicht um ein Scheingeschäft handelt.
Wenn also das Schiff infolge eines Verkaufs in anderes Eigentum
übergeht und damit das Recht gewinnt, die Flagge eines neutralen
Staates zu führen, so darf es nicht weggenommen werden. Doch
hat hier die Rechtsprechung der Prisen-Gerichte in den verschie-
denen Ländern vielfach eine strengere Auffassung vertreten.

b) Die Ladung ist eine feindliche, wenn sie im Eigentum eines
Staatsangehörigen des Gegners steht, mag dieser Absender oder Em-
pfänger der Ware sein.

Auch hier läſst die englisch-amerikanische Auffassung den
Wohnsitz und nicht die Staatsangehörigkeit entscheiden; sie geht
auch im übrigen über den aufgestellten und von den Kontinental-
mächten festgehaltenen Grundsatz hinaus (feindlich ist die Ware,
die ein Erzeugnis des feindlichen Bodens ist).

3. Von der Wegnahme sind gewohnheitsrechtlich gewisse Schiffe
befreit; doch ist die Gewohnheit eine schwankende.

Meist rechnet man hierher: die zur Küstenfischerei bestimmten
Boote und Gerätschaften; Schiffe, die zu wissenschaftlichen For-
schungen und für Missionszwecke ausgerüstet sind; Lotsenboote und
Kartellboote (die zur Überbringung von Parlamentären oder von aus-
zuwechselnden Gefangenen bestimmt sind). Sanitätsschiffe und
Rettungsboote dagegen nur nach der nichtratifizierten Genfer Kon-
vention von 1868.

4. Das Kriegsschiff (beziehungsweise der Kaper) hat nur das
Recht der Beschlagnahme.

Nachdem das verdächtige Schiff durch einen blinden Schuſs
(coup de semonce) zur Anhaltung und zur Weisung seiner Flagge
angehalten worden ist, wird es durch eine Abordnung des Kriegs-
schiffes besucht, damit die Staatsangehörigkeit des Schiffes und der
Ladung festgestellt werden kann. Stellt eine Durchsuchung der
Schiffspapiere fest, daſs die Voraussetzungen der Wegnahme ge-
geben sind, so wird das Schiff mit Beschlag belegt und entweder
durch seine eigene Mannschaft oder durch die Mannschaft des Kriegs-
schiffes in den nächsten Hafen des Wegnehmenden gesteuert. Leistet
das Schiff Widerstand, so kann es in den Grund gebohrt werden;

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[237/0259] § 42. Der Seekrieg insbesondere. vorausgesetzt nur, daſs es sich nicht um ein Scheingeschäft handelt. Wenn also das Schiff infolge eines Verkaufs in anderes Eigentum übergeht und damit das Recht gewinnt, die Flagge eines neutralen Staates zu führen, so darf es nicht weggenommen werden. Doch hat hier die Rechtsprechung der Prisen-Gerichte in den verschie- denen Ländern vielfach eine strengere Auffassung vertreten. b) Die Ladung ist eine feindliche, wenn sie im Eigentum eines Staatsangehörigen des Gegners steht, mag dieser Absender oder Em- pfänger der Ware sein. Auch hier läſst die englisch-amerikanische Auffassung den Wohnsitz und nicht die Staatsangehörigkeit entscheiden; sie geht auch im übrigen über den aufgestellten und von den Kontinental- mächten festgehaltenen Grundsatz hinaus (feindlich ist die Ware, die ein Erzeugnis des feindlichen Bodens ist). 3. Von der Wegnahme sind gewohnheitsrechtlich gewisse Schiffe befreit; doch ist die Gewohnheit eine schwankende. Meist rechnet man hierher: die zur Küstenfischerei bestimmten Boote und Gerätschaften; Schiffe, die zu wissenschaftlichen For- schungen und für Missionszwecke ausgerüstet sind; Lotsenboote und Kartellboote (die zur Überbringung von Parlamentären oder von aus- zuwechselnden Gefangenen bestimmt sind). Sanitätsschiffe und Rettungsboote dagegen nur nach der nichtratifizierten Genfer Kon- vention von 1868. 4. Das Kriegsschiff (beziehungsweise der Kaper) hat nur das Recht der Beschlagnahme. Nachdem das verdächtige Schiff durch einen blinden Schuſs (coup de semonce) zur Anhaltung und zur Weisung seiner Flagge angehalten worden ist, wird es durch eine Abordnung des Kriegs- schiffes besucht, damit die Staatsangehörigkeit des Schiffes und der Ladung festgestellt werden kann. Stellt eine Durchsuchung der Schiffspapiere fest, daſs die Voraussetzungen der Wegnahme ge- geben sind, so wird das Schiff mit Beschlag belegt und entweder durch seine eigene Mannschaft oder durch die Mannschaft des Kriegs- schiffes in den nächsten Hafen des Wegnehmenden gesteuert. Leistet das Schiff Widerstand, so kann es in den Grund gebohrt werden;

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/259>, abgerufen am 25.04.2024.