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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
Voraussetzung der Gegenseitigkeit ausgeschlossen werden. (Italie-
nisches Handelsgesetzbuch vom 21. Juni 1865 Artikel 211.)

Regelmässig wird den feindlichen Schiffen eine bestimmte
Frist gewährt, um sich in Sicherheit zu bringen (Indult; oben
§ 39 IV S. 213). Schiffe, die vor Ablauf dieser Frist den feindlichen
Hafen verlassen oder vor Beginn der Frist ihre Reise angetreten
haben, bleiben in diesem Falle unbehelligt.

2. Die Wegnahme darf nur erfolgen, wenn sowohl Schiff als
Ladung feindlich sind.

a) Das Schiff ist feindlich, wenn es unter feindlicher Flagge
fährt, oder wenn es zu Unrecht die Flagge eines neutralen Staates
führt, während es die feindliche Flagge zu führen rechtlich ver-
pflichtet ist.

Denn nach dem allgemeinen Grundsatz des internationalen
Seerechts (oben § 26 IV) bestimmt sich die Staatszugehörigkeit eines
Schiffes durch die Flagge, und über Recht und Pflicht der Flaggen-
führung entscheidet lediglich die nationale Gesetzgebung des Staates,
dessen Flagge das Schiff führt. Eine Ausnahme muss nur insoweit
gemacht werden, als die Schiffe derjenigen Mächte, die selbst keine
Seeflagge haben, sich der Flagge eines andern Staates mit dessen
Zustimmung bedienen. So fahren schweizerische Schiffe gegebenen
Falles unter deutscher Flagge. In diesem Falle gewinnen die Schiffe
mit der Flagge nicht auch zugleich die Staatsangehörigkeit.

Aber die Durchführung jener Sätze im Seekrieg bietet Schwierig-
keiten und Bedenken. Die Gefahr liegt nahe, dass ein feind-
liches Schiff, um sich vor der Wegnahme zu schützen, neutrale
Flagge führt. Daher lässt die französische Rechtsprechung die
Staatsangehörigkeit des Schiffseigners, die englisch-amerikanische
dessen Wohnsitz entscheiden. Nach der ersten Ansicht ist das
Schiff ein feindliches, wenn es einem Angehörigen des gegnerischen
Staates gehört; nach der zweiten, wenn sein Eigentümer in dem
gegnerischen Staat seinen Wohnsitz hat.

Es ist ferner daran festzuhalten, dass auch die nach Aus-
bruch des Krieges stattgehabte Veränderung in der Staatszugehörig-
keit des Schiffes von den Kriegführenden anerkannt werden muss,

IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
Voraussetzung der Gegenseitigkeit ausgeschlossen werden. (Italie-
nisches Handelsgesetzbuch vom 21. Juni 1865 Artikel 211.)

Regelmäſsig wird den feindlichen Schiffen eine bestimmte
Frist gewährt, um sich in Sicherheit zu bringen (Indult; oben
§ 39 IV S. 213). Schiffe, die vor Ablauf dieser Frist den feindlichen
Hafen verlassen oder vor Beginn der Frist ihre Reise angetreten
haben, bleiben in diesem Falle unbehelligt.

2. Die Wegnahme darf nur erfolgen, wenn sowohl Schiff als
Ladung feindlich sind.

a) Das Schiff ist feindlich, wenn es unter feindlicher Flagge
fährt, oder wenn es zu Unrecht die Flagge eines neutralen Staates
führt, während es die feindliche Flagge zu führen rechtlich ver-
pflichtet ist.

Denn nach dem allgemeinen Grundsatz des internationalen
Seerechts (oben § 26 IV) bestimmt sich die Staatszugehörigkeit eines
Schiffes durch die Flagge, und über Recht und Pflicht der Flaggen-
führung entscheidet lediglich die nationale Gesetzgebung des Staates,
dessen Flagge das Schiff führt. Eine Ausnahme muſs nur insoweit
gemacht werden, als die Schiffe derjenigen Mächte, die selbst keine
Seeflagge haben, sich der Flagge eines andern Staates mit dessen
Zustimmung bedienen. So fahren schweizerische Schiffe gegebenen
Falles unter deutscher Flagge. In diesem Falle gewinnen die Schiffe
mit der Flagge nicht auch zugleich die Staatsangehörigkeit.

Aber die Durchführung jener Sätze im Seekrieg bietet Schwierig-
keiten und Bedenken. Die Gefahr liegt nahe, daſs ein feind-
liches Schiff, um sich vor der Wegnahme zu schützen, neutrale
Flagge führt. Daher läſst die französische Rechtsprechung die
Staatsangehörigkeit des Schiffseigners, die englisch-amerikanische
dessen Wohnsitz entscheiden. Nach der ersten Ansicht ist das
Schiff ein feindliches, wenn es einem Angehörigen des gegnerischen
Staates gehört; nach der zweiten, wenn sein Eigentümer in dem
gegnerischen Staat seinen Wohnsitz hat.

Es ist ferner daran festzuhalten, daſs auch die nach Aus-
bruch des Krieges stattgehabte Veränderung in der Staatszugehörig-
keit des Schiffes von den Kriegführenden anerkannt werden muſs,

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[236/0258] IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung. Voraussetzung der Gegenseitigkeit ausgeschlossen werden. (Italie- nisches Handelsgesetzbuch vom 21. Juni 1865 Artikel 211.) Regelmäſsig wird den feindlichen Schiffen eine bestimmte Frist gewährt, um sich in Sicherheit zu bringen (Indult; oben § 39 IV S. 213). Schiffe, die vor Ablauf dieser Frist den feindlichen Hafen verlassen oder vor Beginn der Frist ihre Reise angetreten haben, bleiben in diesem Falle unbehelligt. 2. Die Wegnahme darf nur erfolgen, wenn sowohl Schiff als Ladung feindlich sind. a) Das Schiff ist feindlich, wenn es unter feindlicher Flagge fährt, oder wenn es zu Unrecht die Flagge eines neutralen Staates führt, während es die feindliche Flagge zu führen rechtlich ver- pflichtet ist. Denn nach dem allgemeinen Grundsatz des internationalen Seerechts (oben § 26 IV) bestimmt sich die Staatszugehörigkeit eines Schiffes durch die Flagge, und über Recht und Pflicht der Flaggen- führung entscheidet lediglich die nationale Gesetzgebung des Staates, dessen Flagge das Schiff führt. Eine Ausnahme muſs nur insoweit gemacht werden, als die Schiffe derjenigen Mächte, die selbst keine Seeflagge haben, sich der Flagge eines andern Staates mit dessen Zustimmung bedienen. So fahren schweizerische Schiffe gegebenen Falles unter deutscher Flagge. In diesem Falle gewinnen die Schiffe mit der Flagge nicht auch zugleich die Staatsangehörigkeit. Aber die Durchführung jener Sätze im Seekrieg bietet Schwierig- keiten und Bedenken. Die Gefahr liegt nahe, daſs ein feind- liches Schiff, um sich vor der Wegnahme zu schützen, neutrale Flagge führt. Daher läſst die französische Rechtsprechung die Staatsangehörigkeit des Schiffseigners, die englisch-amerikanische dessen Wohnsitz entscheiden. Nach der ersten Ansicht ist das Schiff ein feindliches, wenn es einem Angehörigen des gegnerischen Staates gehört; nach der zweiten, wenn sein Eigentümer in dem gegnerischen Staat seinen Wohnsitz hat. Es ist ferner daran festzuhalten, daſs auch die nach Aus- bruch des Krieges stattgehabte Veränderung in der Staatszugehörig- keit des Schiffes von den Kriegführenden anerkannt werden muſs,

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/258>, abgerufen am 19.04.2024.