Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 41. Die einzelnen Sätze des Kriegsrechts. Fortsetzung.
trat. Die Schlacht bei Solferino (24. Juni 1859) gab einem Schweizer
Bürger, Dunant, den Anlass, die Pflege verwundeter und kranker
Soldaten im Feldzug, insbesondere die Gründung von Vereinen
freiwilliger Krankenpfleger im Kriege, näher ins Auge zu fassen.
Er und ein anderer Schweizer, Moynier, der Vorsitzende der
Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft, bestimmten die Schweizer
Regierung, die übrigen Mächte zu einer Konferenz einzuladen, die
vom 8. bis 22. August 1864 in Genf tagte. Das Ergebnis dieser
Beratungen, die Genfer Konvention, wurde zuerst nur von acht
Staaten unterzeichnet (von der Schweiz, Baden, Belgien, Dänemark,
Spanien, Frankreich, Italien und den Niederlanden). Preussen und
andere Staaten folgten; Österreich schloss sich erst nach der Schlacht
bei Königgrätz, Russland erst im Jahre 1867 an. Seither sind die
sämtlichen civilisierten und halbcivilisierten Staaten beigetreten;
zuletzt 1897 der Oranje-Freistaat, sowie 1898 die Republica Mayor
von Centralamerika (oben S. 25) für Honduras und Nicaragua (während
Salvador schon früher sich angeschlossen hatte). Die Kriege nach 1864
lieferten den Beweis, dass die Konvention, so wohlthätig sie im all-
gemeinen gewirkt hatte, doch nach verschiedenen Richtungen hin der
Verbesserung und Erweiterung bedurfte. Insbesondere war von
Italien ihre Ausdehnung auf den Seekrieg angeregt worden. Nach
verschiedenen Verhandlungen trat eine abermalige Konferenz in
Genf zusammen. Sie einigte sich über 15 Zusatzartikel, die in der
Konvention vom 20. Oktober 1868 zusammengefasst wurden. Aber
diese neue Vereinbarung, die insbesondere auch die Ausdehnung
auf den Seekrieg enthielt, fand nicht die Genehmigung der Mächte
und ist daher bis zum heutigen Tage Projekt geblieben. Dennoch
haben Deutschland und Frankreich während des Krieges von 1870/71
sie als für sich verbindlich erklärt und ihr gemäss gehandelt.
Dasselbe haben, von der Regierung der Schweiz aufgefordert,
Spanien und die Vereinigten Staaten während des Krieges von
1898 gethan.

Der Genfer Konvention von 1864 gehören gegenwärtig
31 Staaten an. Diese sind: die Vereinigten Staaten, Argentinien,

v. Liszt, Völkerrecht. 15

§ 41. Die einzelnen Sätze des Kriegsrechts. Fortsetzung.
trat. Die Schlacht bei Solferino (24. Juni 1859) gab einem Schweizer
Bürger, Dunant, den Anlaſs, die Pflege verwundeter und kranker
Soldaten im Feldzug, insbesondere die Gründung von Vereinen
freiwilliger Krankenpfleger im Kriege, näher ins Auge zu fassen.
Er und ein anderer Schweizer, Moynier, der Vorsitzende der
Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft, bestimmten die Schweizer
Regierung, die übrigen Mächte zu einer Konferenz einzuladen, die
vom 8. bis 22. August 1864 in Genf tagte. Das Ergebnis dieser
Beratungen, die Genfer Konvention, wurde zuerst nur von acht
Staaten unterzeichnet (von der Schweiz, Baden, Belgien, Dänemark,
Spanien, Frankreich, Italien und den Niederlanden). Preuſsen und
andere Staaten folgten; Österreich schloſs sich erst nach der Schlacht
bei Königgrätz, Ruſsland erst im Jahre 1867 an. Seither sind die
sämtlichen civilisierten und halbcivilisierten Staaten beigetreten;
zuletzt 1897 der Oranje-Freistaat, sowie 1898 die Republica Mayor
von Centralamerika (oben S. 25) für Honduras und Nicaragua (während
Salvador schon früher sich angeschlossen hatte). Die Kriege nach 1864
lieferten den Beweis, daſs die Konvention, so wohlthätig sie im all-
gemeinen gewirkt hatte, doch nach verschiedenen Richtungen hin der
Verbesserung und Erweiterung bedurfte. Insbesondere war von
Italien ihre Ausdehnung auf den Seekrieg angeregt worden. Nach
verschiedenen Verhandlungen trat eine abermalige Konferenz in
Genf zusammen. Sie einigte sich über 15 Zusatzartikel, die in der
Konvention vom 20. Oktober 1868 zusammengefaſst wurden. Aber
diese neue Vereinbarung, die insbesondere auch die Ausdehnung
auf den Seekrieg enthielt, fand nicht die Genehmigung der Mächte
und ist daher bis zum heutigen Tage Projekt geblieben. Dennoch
haben Deutschland und Frankreich während des Krieges von 1870/71
sie als für sich verbindlich erklärt und ihr gemäſs gehandelt.
Dasselbe haben, von der Regierung der Schweiz aufgefordert,
Spanien und die Vereinigten Staaten während des Krieges von
1898 gethan.

Der Genfer Konvention von 1864 gehören gegenwärtig
31 Staaten an. Diese sind: die Vereinigten Staaten, Argentinien,

v. Liszt, Völkerrecht. 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0247" n="225"/><fw place="top" type="header">§ 41. Die einzelnen Sätze des Kriegsrechts. Fortsetzung.</fw><lb/>
trat. Die Schlacht bei Solferino (24. Juni 1859) gab einem Schweizer<lb/>
Bürger, <hi rendition="#g">Dunant</hi>, den Anla&#x017F;s, die Pflege verwundeter und kranker<lb/>
Soldaten im Feldzug, insbesondere die Gründung von Vereinen<lb/>
freiwilliger Krankenpfleger im Kriege, näher ins Auge zu fassen.<lb/>
Er und ein anderer Schweizer, <hi rendition="#g">Moynier</hi>, der Vorsitzende der<lb/>
Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft, bestimmten die Schweizer<lb/>
Regierung, die übrigen Mächte zu einer Konferenz einzuladen, die<lb/>
vom 8. bis 22. August 1864 in Genf tagte. Das Ergebnis dieser<lb/>
Beratungen, die Genfer Konvention, wurde zuerst nur von acht<lb/>
Staaten unterzeichnet (von der Schweiz, Baden, Belgien, Dänemark,<lb/>
Spanien, Frankreich, Italien und den Niederlanden). Preu&#x017F;sen und<lb/>
andere Staaten folgten; Österreich schlo&#x017F;s sich erst nach der Schlacht<lb/>
bei Königgrätz, Ru&#x017F;sland erst im Jahre 1867 an. Seither sind die<lb/>
sämtlichen civilisierten und halbcivilisierten Staaten beigetreten;<lb/>
zuletzt 1897 der Oranje-Freistaat, sowie 1898 die Republica Mayor<lb/>
von Centralamerika (oben S. 25) für Honduras und Nicaragua (während<lb/>
Salvador schon früher sich angeschlossen hatte). Die Kriege nach 1864<lb/>
lieferten den Beweis, da&#x017F;s die Konvention, so wohlthätig sie im all-<lb/>
gemeinen gewirkt hatte, doch nach verschiedenen Richtungen hin der<lb/>
Verbesserung und Erweiterung bedurfte. Insbesondere war von<lb/>
Italien ihre Ausdehnung auf den Seekrieg angeregt worden. Nach<lb/>
verschiedenen Verhandlungen trat eine abermalige Konferenz in<lb/>
Genf zusammen. Sie einigte sich über 15 Zusatzartikel, die in der<lb/>
Konvention vom 20. Oktober 1868 zusammengefa&#x017F;st wurden. Aber<lb/>
diese neue Vereinbarung, die insbesondere auch die Ausdehnung<lb/>
auf den Seekrieg enthielt, fand nicht die Genehmigung der Mächte<lb/>
und ist daher bis zum heutigen Tage Projekt geblieben. Dennoch<lb/>
haben Deutschland und Frankreich während des Krieges von 1870/71<lb/>
sie als für sich verbindlich erklärt und ihr gemä&#x017F;s gehandelt.<lb/>
Dasselbe haben, von der Regierung der Schweiz aufgefordert,<lb/>
Spanien und die Vereinigten Staaten während des Krieges von<lb/>
1898 gethan.</p><lb/>
            <p>Der Genfer Konvention von 1864 gehören gegenwärtig<lb/>
31 Staaten an. Diese sind: die Vereinigten Staaten, Argentinien,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">v. <hi rendition="#g">Liszt</hi>, Völkerrecht. 15</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0247] § 41. Die einzelnen Sätze des Kriegsrechts. Fortsetzung. trat. Die Schlacht bei Solferino (24. Juni 1859) gab einem Schweizer Bürger, Dunant, den Anlaſs, die Pflege verwundeter und kranker Soldaten im Feldzug, insbesondere die Gründung von Vereinen freiwilliger Krankenpfleger im Kriege, näher ins Auge zu fassen. Er und ein anderer Schweizer, Moynier, der Vorsitzende der Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft, bestimmten die Schweizer Regierung, die übrigen Mächte zu einer Konferenz einzuladen, die vom 8. bis 22. August 1864 in Genf tagte. Das Ergebnis dieser Beratungen, die Genfer Konvention, wurde zuerst nur von acht Staaten unterzeichnet (von der Schweiz, Baden, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Italien und den Niederlanden). Preuſsen und andere Staaten folgten; Österreich schloſs sich erst nach der Schlacht bei Königgrätz, Ruſsland erst im Jahre 1867 an. Seither sind die sämtlichen civilisierten und halbcivilisierten Staaten beigetreten; zuletzt 1897 der Oranje-Freistaat, sowie 1898 die Republica Mayor von Centralamerika (oben S. 25) für Honduras und Nicaragua (während Salvador schon früher sich angeschlossen hatte). Die Kriege nach 1864 lieferten den Beweis, daſs die Konvention, so wohlthätig sie im all- gemeinen gewirkt hatte, doch nach verschiedenen Richtungen hin der Verbesserung und Erweiterung bedurfte. Insbesondere war von Italien ihre Ausdehnung auf den Seekrieg angeregt worden. Nach verschiedenen Verhandlungen trat eine abermalige Konferenz in Genf zusammen. Sie einigte sich über 15 Zusatzartikel, die in der Konvention vom 20. Oktober 1868 zusammengefaſst wurden. Aber diese neue Vereinbarung, die insbesondere auch die Ausdehnung auf den Seekrieg enthielt, fand nicht die Genehmigung der Mächte und ist daher bis zum heutigen Tage Projekt geblieben. Dennoch haben Deutschland und Frankreich während des Krieges von 1870/71 sie als für sich verbindlich erklärt und ihr gemäſs gehandelt. Dasselbe haben, von der Regierung der Schweiz aufgefordert, Spanien und die Vereinigten Staaten während des Krieges von 1898 gethan. Der Genfer Konvention von 1864 gehören gegenwärtig 31 Staaten an. Diese sind: die Vereinigten Staaten, Argentinien, v. Liszt, Völkerrecht. 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/247
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/247>, abgerufen am 28.03.2024.