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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 40. Die einzelnen Kriegsrechtssätze.
die friedliche Bevölkerung des Landes. Ihr gegenüber ist die
Waffengewalt ausgeschlossen ("passiver Kriegsstand").

Feindseligkeiten, die ein Angehöriger der friedlichen Bevölkerung
gegen die Kriegsmacht des Gegners begeht, sind mithin als gemeine
Verbrechen nach dem massgebenden Strafrecht oder Standrecht zu
bestrafen.

Proklamation des Königs von Preussen vom 11. August 1870:
"Ich führe Krieg mit den französischen Soldaten und nicht mit
den Bürgern Frankreichs. Diese werden demnach fortfahren, einer
vollkommenen Sicherheit ihrer Personen und ihres Eigentums zu
geniessen, und zwar so lange als sie mich nicht selbst durch feind-
liche Unternehmungen gegen die deutschen Truppen des Rechtes
berauben werden, ihnen meinen Schutz angedeihen zu lassen."

Die Grenze ist nicht immer leicht zu ziehen, und die Meinungen
gehen noch vielfach auseinander. Napoleon I. hat 1813 das Lützow'-
sche Freicorps nicht als Bestandteil der Kriegsmacht anerkannt.
Während des deutsch-französischen Krieges waren es besonders die
Franctireurs, deren Rechtsstellung erbitterte Streitigkeiten verursachte.
Massgebend kann nur sein, ob die Freischaren (die "Irregulären"), die
neben den Soldaten diese in der Kriegführung unterstützen, organisiert
sind oder nicht; d. h. ob sie der regulären Kriegsmacht angegliedert
und unter deren Oberleitung gestellt sind, oder ob sie ausschliess-
lich auf eigene Faust den eingedrungenen Gegner bekämpfen (Andreas
Hofer 1809 in Tirol). Es muss aber ferner gefordert werden, dass
die erfolgte Eingliederung der Freischaren, wenn auch nicht durch
vollständige Uniformierung, so doch durch deutlich erkennbare Ab-
zeichen ersichtlich gemacht wird. In diesem Fall geniessen auch
die Freischaren die Rechte der Soldaten.

Das Gegenteil gilt von der nicht militärisch organisierten Be-
völkerung, die sich zum Schutz des Vaterlandes gegen den heran-
dringenden Feind erhoben hat (die levee en masse). Daher hat
die neuere Landesgesetzgebung auch den Landsturm militärisch
organisiert. So bestimmt das deutsche Reichsgesetz über den
Landsturm, vom 12. Februar 1875 (R. G. Bl. 1875 S. 63) (§ 5

§ 40. Die einzelnen Kriegsrechtssätze.
die friedliche Bevölkerung des Landes. Ihr gegenüber ist die
Waffengewalt ausgeschlossen („passiver Kriegsstand“).

Feindseligkeiten, die ein Angehöriger der friedlichen Bevölkerung
gegen die Kriegsmacht des Gegners begeht, sind mithin als gemeine
Verbrechen nach dem maſsgebenden Strafrecht oder Standrecht zu
bestrafen.

Proklamation des Königs von Preuſsen vom 11. August 1870:
„Ich führe Krieg mit den französischen Soldaten und nicht mit
den Bürgern Frankreichs. Diese werden demnach fortfahren, einer
vollkommenen Sicherheit ihrer Personen und ihres Eigentums zu
genieſsen, und zwar so lange als sie mich nicht selbst durch feind-
liche Unternehmungen gegen die deutschen Truppen des Rechtes
berauben werden, ihnen meinen Schutz angedeihen zu lassen.“

Die Grenze ist nicht immer leicht zu ziehen, und die Meinungen
gehen noch vielfach auseinander. Napoleon I. hat 1813 das Lützow’-
sche Freicorps nicht als Bestandteil der Kriegsmacht anerkannt.
Während des deutsch-französischen Krieges waren es besonders die
Franctireurs, deren Rechtsstellung erbitterte Streitigkeiten verursachte.
Maſsgebend kann nur sein, ob die Freischaren (die „Irregulären“), die
neben den Soldaten diese in der Kriegführung unterstützen, organisiert
sind oder nicht; d. h. ob sie der regulären Kriegsmacht angegliedert
und unter deren Oberleitung gestellt sind, oder ob sie ausschlieſs-
lich auf eigene Faust den eingedrungenen Gegner bekämpfen (Andreas
Hofer 1809 in Tirol). Es muſs aber ferner gefordert werden, daſs
die erfolgte Eingliederung der Freischaren, wenn auch nicht durch
vollständige Uniformierung, so doch durch deutlich erkennbare Ab-
zeichen ersichtlich gemacht wird. In diesem Fall genieſsen auch
die Freischaren die Rechte der Soldaten.

Das Gegenteil gilt von der nicht militärisch organisierten Be-
völkerung, die sich zum Schutz des Vaterlandes gegen den heran-
dringenden Feind erhoben hat (die levée en masse). Daher hat
die neuere Landesgesetzgebung auch den Landsturm militärisch
organisiert. So bestimmt das deutsche Reichsgesetz über den
Landsturm, vom 12. Februar 1875 (R. G. Bl. 1875 S. 63) (§ 5

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[219/0241] § 40. Die einzelnen Kriegsrechtssätze. die friedliche Bevölkerung des Landes. Ihr gegenüber ist die Waffengewalt ausgeschlossen („passiver Kriegsstand“). Feindseligkeiten, die ein Angehöriger der friedlichen Bevölkerung gegen die Kriegsmacht des Gegners begeht, sind mithin als gemeine Verbrechen nach dem maſsgebenden Strafrecht oder Standrecht zu bestrafen. Proklamation des Königs von Preuſsen vom 11. August 1870: „Ich führe Krieg mit den französischen Soldaten und nicht mit den Bürgern Frankreichs. Diese werden demnach fortfahren, einer vollkommenen Sicherheit ihrer Personen und ihres Eigentums zu genieſsen, und zwar so lange als sie mich nicht selbst durch feind- liche Unternehmungen gegen die deutschen Truppen des Rechtes berauben werden, ihnen meinen Schutz angedeihen zu lassen.“ Die Grenze ist nicht immer leicht zu ziehen, und die Meinungen gehen noch vielfach auseinander. Napoleon I. hat 1813 das Lützow’- sche Freicorps nicht als Bestandteil der Kriegsmacht anerkannt. Während des deutsch-französischen Krieges waren es besonders die Franctireurs, deren Rechtsstellung erbitterte Streitigkeiten verursachte. Maſsgebend kann nur sein, ob die Freischaren (die „Irregulären“), die neben den Soldaten diese in der Kriegführung unterstützen, organisiert sind oder nicht; d. h. ob sie der regulären Kriegsmacht angegliedert und unter deren Oberleitung gestellt sind, oder ob sie ausschlieſs- lich auf eigene Faust den eingedrungenen Gegner bekämpfen (Andreas Hofer 1809 in Tirol). Es muſs aber ferner gefordert werden, daſs die erfolgte Eingliederung der Freischaren, wenn auch nicht durch vollständige Uniformierung, so doch durch deutlich erkennbare Ab- zeichen ersichtlich gemacht wird. In diesem Fall genieſsen auch die Freischaren die Rechte der Soldaten. Das Gegenteil gilt von der nicht militärisch organisierten Be- völkerung, die sich zum Schutz des Vaterlandes gegen den heran- dringenden Feind erhoben hat (die levée en masse). Daher hat die neuere Landesgesetzgebung auch den Landsturm militärisch organisiert. So bestimmt das deutsche Reichsgesetz über den Landsturm, vom 12. Februar 1875 (R. G. Bl. 1875 S. 63) (§ 5

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/241>, abgerufen am 29.03.2024.