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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
das Recht zur selbständigen Kriegführung von ihrem Mutterlande
der Ausübung nach übertragen werden.

Einzelne Staatsbürger, welche die Waffen gegen einen fremden
Staat ergreifen, werden nach Strafrecht und Standrecht, nicht nach
Völkerrecht behandelt (Schill 1809).

Die Auflehnung der Staatsbürger gegen ihre eigene Staats-
gewalt (der Bürgerkrieg) ist nicht Krieg im völkerrechtlichen Sinne
des Wortes und erzeugt daher insbesondere nicht die Rechte und
Pflichten der Neutralität.

Dasselbe gilt von dem Kampfe der Teilstaaten einer Real-
union oder eines Bundesstaates, sei es untereinander, sei es gegen
die Centralgewalt. Dagegen ist Krieg im völkerrechtlichen Sinne
möglich zwischen den Gliedern einer Personalunion oder eines
Staatenbundes.

Die Aufständischen können, wenn sie einen Teil des Staatsge-
bietes thatsächlich besetzt halten und geordnet verwalten, sowie regel-
mässige Verbindungen mit den übrigen Staaten zu unterhalten in der
Lage sind, als kriegführende Macht (partie belligerante) anerkannt
werden.

Die Anerkennung bindet nur den anerkennenden Staat; sie
verpflichtet ihn insbesondere zur Neutralität. Sie verpflichtet aber
auch die anerkannte Partei, sich den Rechtsregeln des Völkerrechts
zu unterwerfen. Vorzeitige Anerkennung (wenn deren Voraus-
setzungen noch nicht vorliegen) erscheint als völkerrechtswidrige
Intervention (oben § 7 II).

Feraud-Giraud, R. G. III 277.

2. Halbsouveräne Staaten haben das Kriegsrecht nur auf Grund
besonderer Vereinbarungen mit dem schützenden Staat oder auf Grund
eines besonderen Gewohnheitsrechtes
(oben § 6 IV S. 31).

So hat Egypten eine Reihe von selbständigen Kriegen in
Afrika geführt. Bulgarien hat 1885 anerkannt, dass es das Recht
der Kriegführung nicht habe.

Der Krieg des geschützten Staates gegen den Schutzstaat muss
dagegen stets als innerer Kampf betrachtet werden, der den nicht be-
teiligten Mächten die Pflicht der Neutralität nicht auferlegt.


IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
das Recht zur selbständigen Kriegführung von ihrem Mutterlande
der Ausübung nach übertragen werden.

Einzelne Staatsbürger, welche die Waffen gegen einen fremden
Staat ergreifen, werden nach Strafrecht und Standrecht, nicht nach
Völkerrecht behandelt (Schill 1809).

Die Auflehnung der Staatsbürger gegen ihre eigene Staats-
gewalt (der Bürgerkrieg) ist nicht Krieg im völkerrechtlichen Sinne
des Wortes und erzeugt daher insbesondere nicht die Rechte und
Pflichten der Neutralität.

Dasselbe gilt von dem Kampfe der Teilstaaten einer Real-
union oder eines Bundesstaates, sei es untereinander, sei es gegen
die Centralgewalt. Dagegen ist Krieg im völkerrechtlichen Sinne
möglich zwischen den Gliedern einer Personalunion oder eines
Staatenbundes.

Die Aufständischen können, wenn sie einen Teil des Staatsge-
bietes thatsächlich besetzt halten und geordnet verwalten, sowie regel-
mäſsige Verbindungen mit den übrigen Staaten zu unterhalten in der
Lage sind, als kriegführende Macht (partie belligérante) anerkannt
werden.

Die Anerkennung bindet nur den anerkennenden Staat; sie
verpflichtet ihn insbesondere zur Neutralität. Sie verpflichtet aber
auch die anerkannte Partei, sich den Rechtsregeln des Völkerrechts
zu unterwerfen. Vorzeitige Anerkennung (wenn deren Voraus-
setzungen noch nicht vorliegen) erscheint als völkerrechtswidrige
Intervention (oben § 7 II).

Féraud-Giraud, R. G. III 277.

2. Halbsouveräne Staaten haben das Kriegsrecht nur auf Grund
besonderer Vereinbarungen mit dem schützenden Staat oder auf Grund
eines besonderen Gewohnheitsrechtes
(oben § 6 IV S. 31).

So hat Egypten eine Reihe von selbständigen Kriegen in
Afrika geführt. Bulgarien hat 1885 anerkannt, daſs es das Recht
der Kriegführung nicht habe.

Der Krieg des geschützten Staates gegen den Schutzstaat muſs
dagegen stets als innerer Kampf betrachtet werden, der den nicht be-
teiligten Mächten die Pflicht der Neutralität nicht auferlegt.


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[208/0230] IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung. das Recht zur selbständigen Kriegführung von ihrem Mutterlande der Ausübung nach übertragen werden. Einzelne Staatsbürger, welche die Waffen gegen einen fremden Staat ergreifen, werden nach Strafrecht und Standrecht, nicht nach Völkerrecht behandelt (Schill 1809). Die Auflehnung der Staatsbürger gegen ihre eigene Staats- gewalt (der Bürgerkrieg) ist nicht Krieg im völkerrechtlichen Sinne des Wortes und erzeugt daher insbesondere nicht die Rechte und Pflichten der Neutralität. Dasselbe gilt von dem Kampfe der Teilstaaten einer Real- union oder eines Bundesstaates, sei es untereinander, sei es gegen die Centralgewalt. Dagegen ist Krieg im völkerrechtlichen Sinne möglich zwischen den Gliedern einer Personalunion oder eines Staatenbundes. Die Aufständischen können, wenn sie einen Teil des Staatsge- bietes thatsächlich besetzt halten und geordnet verwalten, sowie regel- mäſsige Verbindungen mit den übrigen Staaten zu unterhalten in der Lage sind, als kriegführende Macht (partie belligérante) anerkannt werden. Die Anerkennung bindet nur den anerkennenden Staat; sie verpflichtet ihn insbesondere zur Neutralität. Sie verpflichtet aber auch die anerkannte Partei, sich den Rechtsregeln des Völkerrechts zu unterwerfen. Vorzeitige Anerkennung (wenn deren Voraus- setzungen noch nicht vorliegen) erscheint als völkerrechtswidrige Intervention (oben § 7 II). Féraud-Giraud, R. G. III 277. 2. Halbsouveräne Staaten haben das Kriegsrecht nur auf Grund besonderer Vereinbarungen mit dem schützenden Staat oder auf Grund eines besonderen Gewohnheitsrechtes (oben § 6 IV S. 31). So hat Egypten eine Reihe von selbständigen Kriegen in Afrika geführt. Bulgarien hat 1885 anerkannt, daſs es das Recht der Kriegführung nicht habe. Der Krieg des geschützten Staates gegen den Schutzstaat muſs dagegen stets als innerer Kampf betrachtet werden, der den nicht be- teiligten Mächten die Pflicht der Neutralität nicht auferlegt.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/230>, abgerufen am 28.03.2024.