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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 35. Der internationale Schutz ideeller Interessen.
andern Staat der Völkerrechtsgemeinschaft auszuüben. Sie dürfen
nicht etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen Religion
oder Konfession ungünstiger als Andersgläubige behandelt werden.
In den Verträgen mit den süd- und mittelamerikanischen Staaten
wird aber die Religionsfreiheit in dem eben umschriebenen Sinne
vielfach noch ausdrücklich vereinbart (oben S. 136). Selbstverständ-
lich ist es dagegen, dass im Verhältnis zu den nichtchristlichen
Staaten die Freiheit der Religionsübung ausdrücklicher und be-
sonderer Vereinbarung bedarf.

2. Über die Wahrung der Interessen der eigenen Staatsangehörigen
hinausgehend, hat der Berliner Kongress von 1878 die Balkanstaaten
verpflichtet, die Gleichheit der Religionsbekenntnisse in Gesetzgebung
und Verwaltung ausnahmslos durchzuführen.

So bestimmt Artikel 5 bezüglich Bulgariens: "Der Unterschied
des religiösen Glaubens und der Bekenntnisse darf Niemandem gegen-
über geltend gemacht werden als ein Grund der Ausschliessung
oder der Unfähigkeit bezüglich des Genusses der bürgerlichen
und politischen Rechte, der Zulassung zu öffentlichen Diensten,
Ämtern und Ehren oder der Ausübung der verschiedenen Berufs-
und Gewerbszweige, an welchem Orte es auch sei." -- "Die Freiheit
und die öffentliche Ausübung aller Kulte werden allen Angehörigen
Bulgariens sowie den Ausländern zugesichert, und es darf weder
der hierarchischen Organisation der verschiedenen Religionsgemein-
schaften noch deren Beziehungen zu ihren geistlichen Oberen ein
Hindernis entgegengestellt werden."

Ähnliche Bestimmungen finden sich in den Artikeln 27 für
Montenegro, 35 für Serbien, 44 für Rumänien.

3. Dieselbe Verpflichtung wurde, wenn auch in anderer Fassung,
durch den Berliner Kongress von 1878 der Türkei auferlegt.

Nach Artikel 62 nehmen die Mächte von dem freiwilligen
Entschluss der Hohen Pforte Kenntnis, "den Grundsatz der religiösen
Freiheit aufrecht zu erhalten und demselben die weiteste Aus-
dehnung zu geben." Die folgenden Artikel enthalten die nähere
Ausführung dieser Grundsätze. Dann fährt der Artikel fort: "Die
in der europäischen oder asiatischen Türkei reisenden Geistlichen,

§ 35. Der internationale Schutz ideeller Interessen.
andern Staat der Völkerrechtsgemeinschaft auszuüben. Sie dürfen
nicht etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen Religion
oder Konfession ungünstiger als Andersgläubige behandelt werden.
In den Verträgen mit den süd- und mittelamerikanischen Staaten
wird aber die Religionsfreiheit in dem eben umschriebenen Sinne
vielfach noch ausdrücklich vereinbart (oben S. 136). Selbstverständ-
lich ist es dagegen, daſs im Verhältnis zu den nichtchristlichen
Staaten die Freiheit der Religionsübung ausdrücklicher und be-
sonderer Vereinbarung bedarf.

2. Über die Wahrung der Interessen der eigenen Staatsangehörigen
hinausgehend, hat der Berliner Kongreſs von 1878 die Balkanstaaten
verpflichtet, die Gleichheit der Religionsbekenntnisse in Gesetzgebung
und Verwaltung ausnahmslos durchzuführen.

So bestimmt Artikel 5 bezüglich Bulgariens: „Der Unterschied
des religiösen Glaubens und der Bekenntnisse darf Niemandem gegen-
über geltend gemacht werden als ein Grund der Ausschlieſsung
oder der Unfähigkeit bezüglich des Genusses der bürgerlichen
und politischen Rechte, der Zulassung zu öffentlichen Diensten,
Ämtern und Ehren oder der Ausübung der verschiedenen Berufs-
und Gewerbszweige, an welchem Orte es auch sei.“ — „Die Freiheit
und die öffentliche Ausübung aller Kulte werden allen Angehörigen
Bulgariens sowie den Ausländern zugesichert, und es darf weder
der hierarchischen Organisation der verschiedenen Religionsgemein-
schaften noch deren Beziehungen zu ihren geistlichen Oberen ein
Hindernis entgegengestellt werden.“

Ähnliche Bestimmungen finden sich in den Artikeln 27 für
Montenegro, 35 für Serbien, 44 für Rumänien.

3. Dieselbe Verpflichtung wurde, wenn auch in anderer Fassung,
durch den Berliner Kongreſs von 1878 der Türkei auferlegt.

Nach Artikel 62 nehmen die Mächte von dem freiwilligen
Entschluſs der Hohen Pforte Kenntnis, „den Grundsatz der religiösen
Freiheit aufrecht zu erhalten und demselben die weiteste Aus-
dehnung zu geben.“ Die folgenden Artikel enthalten die nähere
Ausführung dieser Grundsätze. Dann fährt der Artikel fort: „Die
in der europäischen oder asiatischen Türkei reisenden Geistlichen,

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[185/0207] § 35. Der internationale Schutz ideeller Interessen. andern Staat der Völkerrechtsgemeinschaft auszuüben. Sie dürfen nicht etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen Religion oder Konfession ungünstiger als Andersgläubige behandelt werden. In den Verträgen mit den süd- und mittelamerikanischen Staaten wird aber die Religionsfreiheit in dem eben umschriebenen Sinne vielfach noch ausdrücklich vereinbart (oben S. 136). Selbstverständ- lich ist es dagegen, daſs im Verhältnis zu den nichtchristlichen Staaten die Freiheit der Religionsübung ausdrücklicher und be- sonderer Vereinbarung bedarf. 2. Über die Wahrung der Interessen der eigenen Staatsangehörigen hinausgehend, hat der Berliner Kongreſs von 1878 die Balkanstaaten verpflichtet, die Gleichheit der Religionsbekenntnisse in Gesetzgebung und Verwaltung ausnahmslos durchzuführen. So bestimmt Artikel 5 bezüglich Bulgariens: „Der Unterschied des religiösen Glaubens und der Bekenntnisse darf Niemandem gegen- über geltend gemacht werden als ein Grund der Ausschlieſsung oder der Unfähigkeit bezüglich des Genusses der bürgerlichen und politischen Rechte, der Zulassung zu öffentlichen Diensten, Ämtern und Ehren oder der Ausübung der verschiedenen Berufs- und Gewerbszweige, an welchem Orte es auch sei.“ — „Die Freiheit und die öffentliche Ausübung aller Kulte werden allen Angehörigen Bulgariens sowie den Ausländern zugesichert, und es darf weder der hierarchischen Organisation der verschiedenen Religionsgemein- schaften noch deren Beziehungen zu ihren geistlichen Oberen ein Hindernis entgegengestellt werden.“ Ähnliche Bestimmungen finden sich in den Artikeln 27 für Montenegro, 35 für Serbien, 44 für Rumänien. 3. Dieselbe Verpflichtung wurde, wenn auch in anderer Fassung, durch den Berliner Kongreſs von 1878 der Türkei auferlegt. Nach Artikel 62 nehmen die Mächte von dem freiwilligen Entschluſs der Hohen Pforte Kenntnis, „den Grundsatz der religiösen Freiheit aufrecht zu erhalten und demselben die weiteste Aus- dehnung zu geben.“ Die folgenden Artikel enthalten die nähere Ausführung dieser Grundsätze. Dann fährt der Artikel fort: „Die in der europäischen oder asiatischen Türkei reisenden Geistlichen,

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/207>, abgerufen am 29.03.2024.