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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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III. Buch. Die friedl. Regelung u. Verwaltung gemeins. Interessen.
Im übrigen kann den fremden Handelsschiffen die Durchfahrt durch
die Küstengewässer nicht versagt werden.

II.

Durchaus abweichende Grundsätze gelten dagegen für die inter-
nationalen Ströme, d. h. diejenigen Ströme, welche das Gebiet mehrerer
Staaten durchströmen (oder trennen) und vom Meere aus schiffbar sind.
Auf den internationalen Strömen soll die Schiffahrt den Schiffen aller
Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft freistehen.

Dieser Grundsatz wurde zuerst durch das Dekret des republi-
kanischen Conseil executif provisoire vom 16. November 1792, und
zwar zunächst für die Schelde und Maas, dann aber allgemein mit
den Worten ausgesprochen: "dass kein Staat ohne Ungerechtigkeit
das Recht für sich in Anspruch nehmen kann, den Lauf eines
Flusses zu benützen und die benachbarten Völker, die an dem Ober-
lauf gelegen sind, in dem Genuss dieser selben Vorteile zu hindern"
(also Beschränkung auf die Uferstaaten). Seither wurde die Frage
auf verschiedenen Kongressen und in verschiedenen Friedensschlüssen
erörtert, bis Artikel V des Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 die
Bestimmung traf: "Die Schiffahrt auf dem Rheine, von dem Punkte
an, wo er schiffbar wird, bis zur See (jusqu'a la mer), und um-
gekehrt, soll frei seyn, in der Maasse, dass sie niemandem unter-
sagt werden kann, und man wird sich bei dem künftigen Kon-
gresse mit den Grundsätzen beschäftigen, nach welchen die von
den Ufer-Staaten zu erhebenden Gefälle auf die gleichmässigste
und dem Handel aller Nationen am meisten günstige Weise regu-
liert werden können. -- Gleichergestalt soll bei dem künftigen
Kongresse untersucht und entschieden werden, in welcher Art die
obige Bestimmung, um den Verkehr zwischen den Völkern zu er-
leichtern und sie sich, eines dem andern, immer weniger fremd
zu machen, auch auf alle andern in ihrem Laufe schiffbaren und
verschiedene Staaten trennenden oder durchfliessenden Ströme aus-
gedehnt werden könne." Der Wiener Kongress hat dann in den
Artikeln 108--116 der Schlussakte vom 9. Juni 1815 diese Grund-
sätze im einzelnen, aber unter Vorbehalt besonderer Vereinbarungen
für die einzelnen Ströme, durchgeführt.


III. Buch. Die friedl. Regelung u. Verwaltung gemeins. Interessen.
Im übrigen kann den fremden Handelsschiffen die Durchfahrt durch
die Küstengewässer nicht versagt werden.

II.

Durchaus abweichende Grundsätze gelten dagegen für die inter-
nationalen Ströme, d. h. diejenigen Ströme, welche das Gebiet mehrerer
Staaten durchströmen (oder trennen) und vom Meere aus schiffbar sind.
Auf den internationalen Strömen soll die Schiffahrt den Schiffen aller
Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft freistehen.

Dieser Grundsatz wurde zuerst durch das Dekret des republi-
kanischen Conseil exécutif provisoire vom 16. November 1792, und
zwar zunächst für die Schelde und Maas, dann aber allgemein mit
den Worten ausgesprochen: „daſs kein Staat ohne Ungerechtigkeit
das Recht für sich in Anspruch nehmen kann, den Lauf eines
Flusses zu benützen und die benachbarten Völker, die an dem Ober-
lauf gelegen sind, in dem Genuſs dieser selben Vorteile zu hindern“
(also Beschränkung auf die Uferstaaten). Seither wurde die Frage
auf verschiedenen Kongressen und in verschiedenen Friedensschlüssen
erörtert, bis Artikel V des Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 die
Bestimmung traf: „Die Schiffahrt auf dem Rheine, von dem Punkte
an, wo er schiffbar wird, bis zur See (jusqu’à la mer), und um-
gekehrt, soll frei seyn, in der Maaſse, daſs sie niemandem unter-
sagt werden kann, und man wird sich bei dem künftigen Kon-
gresse mit den Grundsätzen beschäftigen, nach welchen die von
den Ufer-Staaten zu erhebenden Gefälle auf die gleichmäſsigste
und dem Handel aller Nationen am meisten günstige Weise regu-
liert werden können. — Gleichergestalt soll bei dem künftigen
Kongresse untersucht und entschieden werden, in welcher Art die
obige Bestimmung, um den Verkehr zwischen den Völkern zu er-
leichtern und sie sich, eines dem andern, immer weniger fremd
zu machen, auch auf alle andern in ihrem Laufe schiffbaren und
verschiedene Staaten trennenden oder durchflieſsenden Ströme aus-
gedehnt werden könne.“ Der Wiener Kongreſs hat dann in den
Artikeln 108—116 der Schluſsakte vom 9. Juni 1815 diese Grund-
sätze im einzelnen, aber unter Vorbehalt besonderer Vereinbarungen
für die einzelnen Ströme, durchgeführt.


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[148/0170] III. Buch. Die friedl. Regelung u. Verwaltung gemeins. Interessen. Im übrigen kann den fremden Handelsschiffen die Durchfahrt durch die Küstengewässer nicht versagt werden. II. Durchaus abweichende Grundsätze gelten dagegen für die inter- nationalen Ströme, d. h. diejenigen Ströme, welche das Gebiet mehrerer Staaten durchströmen (oder trennen) und vom Meere aus schiffbar sind. Auf den internationalen Strömen soll die Schiffahrt den Schiffen aller Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft freistehen. Dieser Grundsatz wurde zuerst durch das Dekret des republi- kanischen Conseil exécutif provisoire vom 16. November 1792, und zwar zunächst für die Schelde und Maas, dann aber allgemein mit den Worten ausgesprochen: „daſs kein Staat ohne Ungerechtigkeit das Recht für sich in Anspruch nehmen kann, den Lauf eines Flusses zu benützen und die benachbarten Völker, die an dem Ober- lauf gelegen sind, in dem Genuſs dieser selben Vorteile zu hindern“ (also Beschränkung auf die Uferstaaten). Seither wurde die Frage auf verschiedenen Kongressen und in verschiedenen Friedensschlüssen erörtert, bis Artikel V des Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 die Bestimmung traf: „Die Schiffahrt auf dem Rheine, von dem Punkte an, wo er schiffbar wird, bis zur See (jusqu’à la mer), und um- gekehrt, soll frei seyn, in der Maaſse, daſs sie niemandem unter- sagt werden kann, und man wird sich bei dem künftigen Kon- gresse mit den Grundsätzen beschäftigen, nach welchen die von den Ufer-Staaten zu erhebenden Gefälle auf die gleichmäſsigste und dem Handel aller Nationen am meisten günstige Weise regu- liert werden können. — Gleichergestalt soll bei dem künftigen Kongresse untersucht und entschieden werden, in welcher Art die obige Bestimmung, um den Verkehr zwischen den Völkern zu er- leichtern und sie sich, eines dem andern, immer weniger fremd zu machen, auch auf alle andern in ihrem Laufe schiffbaren und verschiedene Staaten trennenden oder durchflieſsenden Ströme aus- gedehnt werden könne.“ Der Wiener Kongreſs hat dann in den Artikeln 108—116 der Schluſsakte vom 9. Juni 1815 diese Grund- sätze im einzelnen, aber unter Vorbehalt besonderer Vereinbarungen für die einzelnen Ströme, durchgeführt.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/170>, abgerufen am 20.04.2024.