Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
III. Buch. Die friedl. Regelung u. Verwaltung gemeins. Interessen.
II. Die Verkehrsbeziehungen.
§ 26. Die Hochseeschiffahrt und die Freiheit des Meeres.

Perels, Das Internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart. 1882.

Derselbe, Handbuch des allgemeinen öffentlichen Seerechts im Deutschen
Reich. 1884.

Lemaine, Precis de droit maritime international. 1888.

Stoerk, H. H. II 483.

I.

Der völkerrechtliche Grundsatz der Meeresfreiheit schliesst jede
staatliche Herrschaft über die offene See aus. Jeder ursprüng-
liche oder abgeleitete Erwerb der Gebietshoheit über Teile des offenen
Meeres ist völkerrechtlich unmöglich. Das Meer ist nicht res nullius,
sondern res communis omnium. Jeder Staat hat das Recht, Handels-
schiffe und Kriegsschiffe im Frieden wie im Krieg unter seiner Flagge
und unter der ausschliesslichen Herrschaft seiner Gesetze die hohe See
befahren zu lassen und den unerschöpflichen Reichtum, den die Tiefen
des Meeres bieten, durch seine Fischerei für sich zu verwerten. Im
Kriege gehört mithin auch das Meer, unbeschadet der Rechte der Neu-
tralen, zum Kriegsschauplatz
(unten § 40 I).

Der Grundsatz der Meeresfreiheit ist bereits von H. Groot
in seiner Jugendschrift "mare liberum seu de jure quod Batavis
competit ad Indica commercia" 1609 gegen die weitgehenden An-
sprüche der grossen Seemächte vertreten worden. Er gelangte trotz
Seldens "mare clausum" 1635 (geschrieben 1618), Cromwells
Navigationsakte von 1651, insbesondere seit Bynkershoeks Schrift
"de dominio maris" 1702 zur allgemeinen Anerkennung und wird
heute von keiner Seite mehr in Frage gestellt.

II.

Aber die Durchführung dieses an sich unbestrittenen Grund-
satzes stösst auf nicht unbedeutende Schwierigkeiten.

1. Binnenmeere im weiteren Sinne des Wortes sind nicht mehr
"geschlossene Meere"
(mare clausum, oben § 9 III 2), wenn sie vom
Staatsgebiet mehrerer Uferstaaten umschlossen werden, mag auch die
Verbindung zwischen ihnen und der offenen See durch einen einzigen
Staat vom Ufer her beherrscht werden können. Auch für sie gilt mit-
hin der Grundsatz der Meeresfreiheit.

Geschlossene Binnenseen sind demnach das Azowsche Meer,
der Rigasche Meerbusen, die Zuidersee. Teile des offnen Meeres

III. Buch. Die friedl. Regelung u. Verwaltung gemeins. Interessen.
II. Die Verkehrsbeziehungen.
§ 26. Die Hochseeschiffahrt und die Freiheit des Meeres.

Perels, Das Internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart. 1882.

Derselbe, Handbuch des allgemeinen öffentlichen Seerechts im Deutschen
Reich. 1884.

Lemaine, Précis de droit maritime international. 1888.

Stoerk, H. H. II 483.

I.

Der völkerrechtliche Grundsatz der Meeresfreiheit schlieſst jede
staatliche Herrschaft über die offene See aus. Jeder ursprüng-
liche oder abgeleitete Erwerb der Gebietshoheit über Teile des offenen
Meeres ist völkerrechtlich unmöglich. Das Meer ist nicht res nullius,
sondern res communis omnium. Jeder Staat hat das Recht, Handels-
schiffe und Kriegsschiffe im Frieden wie im Krieg unter seiner Flagge
und unter der ausschlieſslichen Herrschaft seiner Gesetze die hohe See
befahren zu lassen und den unerschöpflichen Reichtum, den die Tiefen
des Meeres bieten, durch seine Fischerei für sich zu verwerten. Im
Kriege gehört mithin auch das Meer, unbeschadet der Rechte der Neu-
tralen, zum Kriegsschauplatz
(unten § 40 I).

Der Grundsatz der Meeresfreiheit ist bereits von H. Groot
in seiner Jugendschrift „mare liberum seu de jure quod Batavis
competit ad Indica commercia“ 1609 gegen die weitgehenden An-
sprüche der groſsen Seemächte vertreten worden. Er gelangte trotz
Seldens „mare clausum“ 1635 (geschrieben 1618), Cromwells
Navigationsakte von 1651, insbesondere seit Bynkershoeks Schrift
„de dominio maris“ 1702 zur allgemeinen Anerkennung und wird
heute von keiner Seite mehr in Frage gestellt.

II.

Aber die Durchführung dieses an sich unbestrittenen Grund-
satzes stöſst auf nicht unbedeutende Schwierigkeiten.

1. Binnenmeere im weiteren Sinne des Wortes sind nicht mehr
„geschlossene Meere“
(mare clausum, oben § 9 III 2), wenn sie vom
Staatsgebiet mehrerer Uferstaaten umschlossen werden, mag auch die
Verbindung zwischen ihnen und der offenen See durch einen einzigen
Staat vom Ufer her beherrscht werden können. Auch für sie gilt mit-
hin der Grundsatz der Meeresfreiheit.

Geschlossene Binnenseen sind demnach das Azowsche Meer,
der Rigasche Meerbusen, die Zuidersee. Teile des offnen Meeres

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0162" n="140"/>
        <fw place="top" type="header">III. Buch. Die friedl. Regelung u. Verwaltung gemeins. Interessen.</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">II. Die Verkehrsbeziehungen.</hi> </head><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">§ 26. Die Hochseeschiffahrt und die Freiheit des Meeres.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Perels</hi>, Das Internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart. 1882.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Derselbe</hi>, Handbuch des allgemeinen öffentlichen Seerechts im Deutschen<lb/>
Reich. 1884.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Lemaine</hi>, Précis de droit maritime international. 1888.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stoerk</hi>, H. H. II 483.</p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">I.</hi> </head>
              <p><hi rendition="#b">Der völkerrechtliche Grundsatz der Meeresfreiheit schlie&#x017F;st jede<lb/>
staatliche Herrschaft über die offene See aus. Jeder ursprüng-<lb/>
liche oder abgeleitete Erwerb der Gebietshoheit über Teile des offenen<lb/>
Meeres ist völkerrechtlich unmöglich. Das Meer ist nicht res nullius,<lb/>
sondern res communis omnium. Jeder Staat hat das Recht, Handels-<lb/>
schiffe und Kriegsschiffe im Frieden wie im Krieg unter seiner Flagge<lb/>
und unter der ausschlie&#x017F;slichen Herrschaft seiner Gesetze die hohe See<lb/>
befahren zu lassen und den unerschöpflichen Reichtum, den die Tiefen<lb/>
des Meeres bieten, durch seine Fischerei für sich zu verwerten. Im<lb/>
Kriege gehört mithin auch das Meer, unbeschadet der Rechte der Neu-<lb/>
tralen, zum Kriegsschauplatz</hi> (unten § 40 I).</p><lb/>
              <p>Der Grundsatz der Meeresfreiheit ist bereits von H. <hi rendition="#g">Groot</hi><lb/>
in seiner Jugendschrift &#x201E;mare liberum seu de jure quod Batavis<lb/>
competit ad Indica commercia&#x201C; 1609 gegen die weitgehenden An-<lb/>
sprüche der gro&#x017F;sen Seemächte vertreten worden. Er gelangte trotz<lb/><hi rendition="#g">Seldens</hi> &#x201E;mare clausum&#x201C; 1635 (geschrieben 1618), <hi rendition="#g">Cromwells</hi><lb/>
Navigationsakte von 1651, insbesondere seit <hi rendition="#g">Bynkershoeks</hi> Schrift<lb/>
&#x201E;de dominio maris&#x201C; 1702 zur allgemeinen Anerkennung und wird<lb/>
heute von keiner Seite mehr in Frage gestellt.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">II.</hi> </head>
              <p> <hi rendition="#b">Aber die Durchführung dieses an sich unbestrittenen Grund-<lb/>
satzes stö&#x017F;st auf nicht unbedeutende Schwierigkeiten.</hi> </p><lb/>
              <p><hi rendition="#b">1. Binnenmeere im weiteren Sinne des Wortes sind nicht mehr<lb/>
&#x201E;geschlossene Meere&#x201C;</hi> (mare clausum, oben § 9 III 2), <hi rendition="#b">wenn sie vom<lb/>
Staatsgebiet mehrerer Uferstaaten umschlossen werden, mag auch die<lb/>
Verbindung zwischen ihnen und der offenen See durch einen einzigen<lb/>
Staat vom Ufer her beherrscht werden können. Auch für sie gilt mit-<lb/>
hin der Grundsatz der Meeresfreiheit.</hi></p><lb/>
              <p>Geschlossene Binnenseen sind demnach das Azowsche Meer,<lb/>
der Rigasche Meerbusen, die Zuidersee. Teile des offnen Meeres<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0162] III. Buch. Die friedl. Regelung u. Verwaltung gemeins. Interessen. II. Die Verkehrsbeziehungen. § 26. Die Hochseeschiffahrt und die Freiheit des Meeres. Perels, Das Internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart. 1882. Derselbe, Handbuch des allgemeinen öffentlichen Seerechts im Deutschen Reich. 1884. Lemaine, Précis de droit maritime international. 1888. Stoerk, H. H. II 483. I. Der völkerrechtliche Grundsatz der Meeresfreiheit schlieſst jede staatliche Herrschaft über die offene See aus. Jeder ursprüng- liche oder abgeleitete Erwerb der Gebietshoheit über Teile des offenen Meeres ist völkerrechtlich unmöglich. Das Meer ist nicht res nullius, sondern res communis omnium. Jeder Staat hat das Recht, Handels- schiffe und Kriegsschiffe im Frieden wie im Krieg unter seiner Flagge und unter der ausschlieſslichen Herrschaft seiner Gesetze die hohe See befahren zu lassen und den unerschöpflichen Reichtum, den die Tiefen des Meeres bieten, durch seine Fischerei für sich zu verwerten. Im Kriege gehört mithin auch das Meer, unbeschadet der Rechte der Neu- tralen, zum Kriegsschauplatz (unten § 40 I). Der Grundsatz der Meeresfreiheit ist bereits von H. Groot in seiner Jugendschrift „mare liberum seu de jure quod Batavis competit ad Indica commercia“ 1609 gegen die weitgehenden An- sprüche der groſsen Seemächte vertreten worden. Er gelangte trotz Seldens „mare clausum“ 1635 (geschrieben 1618), Cromwells Navigationsakte von 1651, insbesondere seit Bynkershoeks Schrift „de dominio maris“ 1702 zur allgemeinen Anerkennung und wird heute von keiner Seite mehr in Frage gestellt. II. Aber die Durchführung dieses an sich unbestrittenen Grund- satzes stöſst auf nicht unbedeutende Schwierigkeiten. 1. Binnenmeere im weiteren Sinne des Wortes sind nicht mehr „geschlossene Meere“ (mare clausum, oben § 9 III 2), wenn sie vom Staatsgebiet mehrerer Uferstaaten umschlossen werden, mag auch die Verbindung zwischen ihnen und der offenen See durch einen einzigen Staat vom Ufer her beherrscht werden können. Auch für sie gilt mit- hin der Grundsatz der Meeresfreiheit. Geschlossene Binnenseen sind demnach das Azowsche Meer, der Rigasche Meerbusen, die Zuidersee. Teile des offnen Meeres

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/162
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/162>, abgerufen am 20.04.2024.