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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 22. Die Sicherung bestehender völkerrechtl. Verpflichtungen.
22. Die Sicherung bestehender völkerrechtlicher
Verpflichtungen.

Milovanowitsch, Des traites de garantie en droit international. 1888.
Gessner, H. H. III 83.

I.

Das alte Recht hatte, ganz abgesehen von den privatrechtlich
anerkannten Formen der Pfandbestellung und der Bürgschaft, eine ganze
Reihe verschiedenartiger Mittel angewendet, um die Erfüllung be-
stehender völkerrechtlicher Verpflichtungen zu sichern.

So insbesondere die eidliche Bekräftigung des gegebenen Ver-
sprechens (besonders auch bei Friedensverträgen), die Stellung von
Geiseln (während des deutsch-französischen Krieges noch vielfach
angewendet), das Einlager u. s. w.

Unter den in der Rechtsübung unserer Tage verwendeten Mitteln
zur Sicherung völkerrechtlicher Verpflichtungen sind hervorzuheben:

1. Die vollständige oder teilweise Verpfändung der Staatsein-
nahmen;
2. die pfandweise Besetzung von fremdem Staatsgebiet mit Über-
nahme der Verwaltung
(doch gehört sie hierher nur soweit sie ver-
tragsmässig eingeräumt ist, nicht aber als Art der Repressalien;
unten § 38 III);
3. die rein militärische Besetzung von fremdem Staatsgebiet,
bei welcher die Verwaltung in den Händen der zuständigen Staatsgewalt
verbleibt;
besonders häufig angewendet zur Sicherung der Leistung
einer Kriegsentschädigung (vgl. Artikel VIII der Versailler Friedens-
präliminarien vom 26. Februar 1871, R. G. Bl. 1871 S. 215);
4. der Garantievertrag mit oder zwischen dritten Mächten.
II.

Garantieverträge sind diejenigen völkerrechtlichen Verträge,
durch welche ein Staat sich verpflichtet, entweder für die Erfüllung
der völkerrechtlichen Verpflichtungen eines andern Staates, oder aber
dafür einzustehen, dass dieser von seiten eines andern Staates in seinen
völkerrechtlichen Rechten nicht beeinträchtigt werde.

Die übernommene Garantie, die eine einseitige oder eine
gegenseitige sein kann, verpflichtet den garantierenden Staat,
seine ganze Kraft, wenn nötig, mit den Waffen in der Hand, für
das gegebene Versprechen einzusetzen; die von mehreren Staaten
gemeinsam geleistete Garantie berechtigt im Zweifel jeden von

§ 22. Die Sicherung bestehender völkerrechtl. Verpflichtungen.
22. Die Sicherung bestehender völkerrechtlicher
Verpflichtungen.

Milovanowitsch, Des traités de garantie en droit international. 1888.
Geſsner, H. H. III 83.

I.

Das alte Recht hatte, ganz abgesehen von den privatrechtlich
anerkannten Formen der Pfandbestellung und der Bürgschaft, eine ganze
Reihe verschiedenartiger Mittel angewendet, um die Erfüllung be-
stehender völkerrechtlicher Verpflichtungen zu sichern.

So insbesondere die eidliche Bekräftigung des gegebenen Ver-
sprechens (besonders auch bei Friedensverträgen), die Stellung von
Geiseln (während des deutsch-französischen Krieges noch vielfach
angewendet), das Einlager u. s. w.

Unter den in der Rechtsübung unserer Tage verwendeten Mitteln
zur Sicherung völkerrechtlicher Verpflichtungen sind hervorzuheben:

1. Die vollständige oder teilweise Verpfändung der Staatsein-
nahmen;
2. die pfandweise Besetzung von fremdem Staatsgebiet mit Über-
nahme der Verwaltung
(doch gehört sie hierher nur soweit sie ver-
tragsmäſsig eingeräumt ist, nicht aber als Art der Repressalien;
unten § 38 III);
3. die rein militärische Besetzung von fremdem Staatsgebiet,
bei welcher die Verwaltung in den Händen der zuständigen Staatsgewalt
verbleibt;
besonders häufig angewendet zur Sicherung der Leistung
einer Kriegsentschädigung (vgl. Artikel VIII der Versailler Friedens-
präliminarien vom 26. Februar 1871, R. G. Bl. 1871 S. 215);
4. der Garantievertrag mit oder zwischen dritten Mächten.
II.

Garantieverträge sind diejenigen völkerrechtlichen Verträge,
durch welche ein Staat sich verpflichtet, entweder für die Erfüllung
der völkerrechtlichen Verpflichtungen eines andern Staates, oder aber
dafür einzustehen, daſs dieser von seiten eines andern Staates in seinen
völkerrechtlichen Rechten nicht beeinträchtigt werde.

Die übernommene Garantie, die eine einseitige oder eine
gegenseitige sein kann, verpflichtet den garantierenden Staat,
seine ganze Kraft, wenn nötig, mit den Waffen in der Hand, für
das gegebene Versprechen einzusetzen; die von mehreren Staaten
gemeinsam geleistete Garantie berechtigt im Zweifel jeden von

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[119/0141] § 22. Die Sicherung bestehender völkerrechtl. Verpflichtungen. 22. Die Sicherung bestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen. Milovanowitsch, Des traités de garantie en droit international. 1888. Geſsner, H. H. III 83. I. Das alte Recht hatte, ganz abgesehen von den privatrechtlich anerkannten Formen der Pfandbestellung und der Bürgschaft, eine ganze Reihe verschiedenartiger Mittel angewendet, um die Erfüllung be- stehender völkerrechtlicher Verpflichtungen zu sichern. So insbesondere die eidliche Bekräftigung des gegebenen Ver- sprechens (besonders auch bei Friedensverträgen), die Stellung von Geiseln (während des deutsch-französischen Krieges noch vielfach angewendet), das Einlager u. s. w. Unter den in der Rechtsübung unserer Tage verwendeten Mitteln zur Sicherung völkerrechtlicher Verpflichtungen sind hervorzuheben: 1. Die vollständige oder teilweise Verpfändung der Staatsein- nahmen; 2. die pfandweise Besetzung von fremdem Staatsgebiet mit Über- nahme der Verwaltung (doch gehört sie hierher nur soweit sie ver- tragsmäſsig eingeräumt ist, nicht aber als Art der Repressalien; unten § 38 III); 3. die rein militärische Besetzung von fremdem Staatsgebiet, bei welcher die Verwaltung in den Händen der zuständigen Staatsgewalt verbleibt; besonders häufig angewendet zur Sicherung der Leistung einer Kriegsentschädigung (vgl. Artikel VIII der Versailler Friedens- präliminarien vom 26. Februar 1871, R. G. Bl. 1871 S. 215); 4. der Garantievertrag mit oder zwischen dritten Mächten. II. Garantieverträge sind diejenigen völkerrechtlichen Verträge, durch welche ein Staat sich verpflichtet, entweder für die Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen eines andern Staates, oder aber dafür einzustehen, daſs dieser von seiten eines andern Staates in seinen völkerrechtlichen Rechten nicht beeinträchtigt werde. Die übernommene Garantie, die eine einseitige oder eine gegenseitige sein kann, verpflichtet den garantierenden Staat, seine ganze Kraft, wenn nötig, mit den Waffen in der Hand, für das gegebene Versprechen einzusetzen; die von mehreren Staaten gemeinsam geleistete Garantie berechtigt im Zweifel jeden von

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/141>, abgerufen am 16.04.2024.