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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.

Die Zusage der Meistbegünstigung wird wohl auch einge-
schränkt durch den Zusatz, dass die gewissen Mächten gewährten
Begünstigungen dem andern Kontrahenten nicht zu gute kommen
sollen. So bestimmt Artikel 11 des Frankfurter Friedens vom
10. Mai 1871, nachdem in Absatz 1 die Meistbegünstigung zugesagt
worden, in Absatz 3: "Jedoch sind ausgenommen von der vorge-
dachten Regel die Begünstigungen, welche einer der vertragenden
Teile durch Handelsverträge anderen Ländern gewährt hat oder
gewähren wird, als den folgenden: England, Belgien, Niederland,
Schweiz, Österreich, Russland".

Ein weiteres Beispiel bietet die deutsch-französische Er-
klärung vom 18. November 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 7), nach
welcher von dem dem Deutschen Reich in Tunis gewährten Meist-
begünstigungsrecht die Vorteile ausgenommen sind, die das ober-
herrliche Frankreich geniesst. Vgl. weiter den deutschen Freund-
schafts- u. s. w. Vertrag mit Nicaragua vom 4. Februar 1896
(R. G. Bl. 1897 S. 171) Artikel 32: "Es ist verabredet worden,
dass die besonderen Vorteile, welche der Freistaat Nicaragua den
übrigen vier mittelamerikanischen Freistaaten oder einem derselben
eingeräumt hat oder künftig einräumen wird, deutscherseits auf
Grund des in diesem Vertrage zugestandenen Meistbegünstigungs-
rechts nicht beansprucht werden können, solange jene Vorteile auch
allen anderen dritten Staaten vorenthalten werden."

Schraut, System der Handelsverträge und der Meistbegünstigung. 1874.

Melle in H. H. III 204.

IV.

Die Aufhebung der Verträge erfolgt nach den bekannten, der
allgemeinen Rechtslehre angehörigen Grundsätzen.

Nur zwei Punkte bedürfen der Erörterung.

1. Die Behauptung, dass alle völkerrechtlichen Verträge mit
der stillschweigenden Klausel "rebus sic stantibus" geschlossen
werden, ist zweifellos unrichtig; durch diesen Satz würde das
Völkerrecht in seinen Grundlagen verneint.

Verträge, die auf eine bestimmte Zeit geschlossen worden sind,
können, mangels besonderer Vereinbarung, jedenfalls nicht vor Ablauf

§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.

Die Zusage der Meistbegünstigung wird wohl auch einge-
schränkt durch den Zusatz, daſs die gewissen Mächten gewährten
Begünstigungen dem andern Kontrahenten nicht zu gute kommen
sollen. So bestimmt Artikel 11 des Frankfurter Friedens vom
10. Mai 1871, nachdem in Absatz 1 die Meistbegünstigung zugesagt
worden, in Absatz 3: „Jedoch sind ausgenommen von der vorge-
dachten Regel die Begünstigungen, welche einer der vertragenden
Teile durch Handelsverträge anderen Ländern gewährt hat oder
gewähren wird, als den folgenden: England, Belgien, Niederland,
Schweiz, Österreich, Ruſsland“.

Ein weiteres Beispiel bietet die deutsch-französische Er-
klärung vom 18. November 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 7), nach
welcher von dem dem Deutschen Reich in Tunis gewährten Meist-
begünstigungsrecht die Vorteile ausgenommen sind, die das ober-
herrliche Frankreich genieſst. Vgl. weiter den deutschen Freund-
schafts- u. s. w. Vertrag mit Nicaragua vom 4. Februar 1896
(R. G. Bl. 1897 S. 171) Artikel 32: „Es ist verabredet worden,
daſs die besonderen Vorteile, welche der Freistaat Nicaragua den
übrigen vier mittelamerikanischen Freistaaten oder einem derselben
eingeräumt hat oder künftig einräumen wird, deutscherseits auf
Grund des in diesem Vertrage zugestandenen Meistbegünstigungs-
rechts nicht beansprucht werden können, solange jene Vorteile auch
allen anderen dritten Staaten vorenthalten werden.“

Schraut, System der Handelsverträge und der Meistbegünstigung. 1874.

Melle in H. H. III 204.

IV.

Die Aufhebung der Verträge erfolgt nach den bekannten, der
allgemeinen Rechtslehre angehörigen Grundsätzen.

Nur zwei Punkte bedürfen der Erörterung.

1. Die Behauptung, daſs alle völkerrechtlichen Verträge mit
der stillschweigenden Klausel „rebus sic stantibus“ geschlossen
werden, ist zweifellos unrichtig; durch diesen Satz würde das
Völkerrecht in seinen Grundlagen verneint.

Verträge, die auf eine bestimmte Zeit geschlossen worden sind,
können, mangels besonderer Vereinbarung, jedenfalls nicht vor Ablauf

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[117/0139] § 21. Die völkerrechtlichen Verträge. Die Zusage der Meistbegünstigung wird wohl auch einge- schränkt durch den Zusatz, daſs die gewissen Mächten gewährten Begünstigungen dem andern Kontrahenten nicht zu gute kommen sollen. So bestimmt Artikel 11 des Frankfurter Friedens vom 10. Mai 1871, nachdem in Absatz 1 die Meistbegünstigung zugesagt worden, in Absatz 3: „Jedoch sind ausgenommen von der vorge- dachten Regel die Begünstigungen, welche einer der vertragenden Teile durch Handelsverträge anderen Ländern gewährt hat oder gewähren wird, als den folgenden: England, Belgien, Niederland, Schweiz, Österreich, Ruſsland“. Ein weiteres Beispiel bietet die deutsch-französische Er- klärung vom 18. November 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 7), nach welcher von dem dem Deutschen Reich in Tunis gewährten Meist- begünstigungsrecht die Vorteile ausgenommen sind, die das ober- herrliche Frankreich genieſst. Vgl. weiter den deutschen Freund- schafts- u. s. w. Vertrag mit Nicaragua vom 4. Februar 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 171) Artikel 32: „Es ist verabredet worden, daſs die besonderen Vorteile, welche der Freistaat Nicaragua den übrigen vier mittelamerikanischen Freistaaten oder einem derselben eingeräumt hat oder künftig einräumen wird, deutscherseits auf Grund des in diesem Vertrage zugestandenen Meistbegünstigungs- rechts nicht beansprucht werden können, solange jene Vorteile auch allen anderen dritten Staaten vorenthalten werden.“ Schraut, System der Handelsverträge und der Meistbegünstigung. 1874. Melle in H. H. III 204. IV. Die Aufhebung der Verträge erfolgt nach den bekannten, der allgemeinen Rechtslehre angehörigen Grundsätzen. Nur zwei Punkte bedürfen der Erörterung. 1. Die Behauptung, daſs alle völkerrechtlichen Verträge mit der stillschweigenden Klausel „rebus sic stantibus“ geschlossen werden, ist zweifellos unrichtig; durch diesen Satz würde das Völkerrecht in seinen Grundlagen verneint. Verträge, die auf eine bestimmte Zeit geschlossen worden sind, können, mangels besonderer Vereinbarung, jedenfalls nicht vor Ablauf

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/139>, abgerufen am 23.04.2024.