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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 20. Die rechtserheblichen Thatsachen.
erwerbende Staat mit dem jetzt nur mehr halbsouveränen Staat ge-
schlossen hat; denn der Zweck einer solchen Notifikation besteht
ja (wie die Kongokonferenz 1885 ausdrücklich hervorgehoben hat)
gerade darin, den Widerspruch (Protest) derjenigen Staaten herbei-
zuführen, die ihrerseits irgend welchen Anspruch in Bezug auf
die in Frage stehende Rechtsveränderung geltend zu machen be-
absichtigen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob der Staat,
an welchen die amtliche Mitteilung gelangt, diese einfach zur
Kenntnis nimmt (prendre acte) oder ob er den Empfang der Mit-
teilung bescheinigt (accuser reception). Dagegen kann dem Still-
schweigen diese Bedeutung dann nicht beigelegt werden, wenn
die Veränderung nicht als eine vollzogene oder demnächst zu voll-
ziehende, sondern als eine erst in der Zukunft bevorstehende mit-
geteilt wird. So hat das Stillschweigen der Mächte gegenüber
der Mitteilung, dass Frankreich sich von Belgien das "Vorkaufs-
recht" an dem Kongostaat habe zusichern lassen (oben § 10 I 4)
nicht die Bedeutung eines Verzichtes der Signatarmächte der Kongo-
konferenz auf das ihnen gegen diesen Erwerb zustehende Wider-
spruchsrecht.

3. Die völkerrechtliche Willenserklärung ist an eine bestimmte
Form nicht gebunden, doch ist Schriftlichkeit der Erklärung die fast
allgemeine Regel.

Die von den Staaten beobachteten Grundsätze über die in Ver-
trägen sowie insbesondere auf Kongressen und Konferenzen ge-
brauchte Sprache gehören nicht dem Völkerrecht an, sondern der
internationalen Courtoisie (vgl. Artikel 120 der Wiener Schlussakte
über den Gebrauch der französischen Sprache).

4. Die Willenserklärung kann eine unbedingte oder eine be-
dingte sein.

Dabei sind die der allgemeinen Rechtslehre angehörenden
Begriffe der aufschiebenden wie der auflösenden Bedingung, sowie
der von der Bedingung zu unterscheidenden Auflage, sinngemäss
zur Anwendung zu bringen (oben § 5 III S. 26). Nichteintritt der
aufschiebenden oder Eintritt der auflösenden Bedingung hat die

§ 20. Die rechtserheblichen Thatsachen.
erwerbende Staat mit dem jetzt nur mehr halbsouveränen Staat ge-
schlossen hat; denn der Zweck einer solchen Notifikation besteht
ja (wie die Kongokonferenz 1885 ausdrücklich hervorgehoben hat)
gerade darin, den Widerspruch (Protest) derjenigen Staaten herbei-
zuführen, die ihrerseits irgend welchen Anspruch in Bezug auf
die in Frage stehende Rechtsveränderung geltend zu machen be-
absichtigen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob der Staat,
an welchen die amtliche Mitteilung gelangt, diese einfach zur
Kenntnis nimmt (prendre acte) oder ob er den Empfang der Mit-
teilung bescheinigt (accuser reception). Dagegen kann dem Still-
schweigen diese Bedeutung dann nicht beigelegt werden, wenn
die Veränderung nicht als eine vollzogene oder demnächst zu voll-
ziehende, sondern als eine erst in der Zukunft bevorstehende mit-
geteilt wird. So hat das Stillschweigen der Mächte gegenüber
der Mitteilung, daſs Frankreich sich von Belgien das „Vorkaufs-
recht“ an dem Kongostaat habe zusichern lassen (oben § 10 I 4)
nicht die Bedeutung eines Verzichtes der Signatarmächte der Kongo-
konferenz auf das ihnen gegen diesen Erwerb zustehende Wider-
spruchsrecht.

3. Die völkerrechtliche Willenserklärung ist an eine bestimmte
Form nicht gebunden, doch ist Schriftlichkeit der Erklärung die fast
allgemeine Regel.

Die von den Staaten beobachteten Grundsätze über die in Ver-
trägen sowie insbesondere auf Kongressen und Konferenzen ge-
brauchte Sprache gehören nicht dem Völkerrecht an, sondern der
internationalen Courtoisie (vgl. Artikel 120 der Wiener Schluſsakte
über den Gebrauch der französischen Sprache).

4. Die Willenserklärung kann eine unbedingte oder eine be-
dingte sein.

Dabei sind die der allgemeinen Rechtslehre angehörenden
Begriffe der aufschiebenden wie der auflösenden Bedingung, sowie
der von der Bedingung zu unterscheidenden Auflage, sinngemäſs
zur Anwendung zu bringen (oben § 5 III S. 26). Nichteintritt der
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[111/0133] § 20. Die rechtserheblichen Thatsachen. erwerbende Staat mit dem jetzt nur mehr halbsouveränen Staat ge- schlossen hat; denn der Zweck einer solchen Notifikation besteht ja (wie die Kongokonferenz 1885 ausdrücklich hervorgehoben hat) gerade darin, den Widerspruch (Protest) derjenigen Staaten herbei- zuführen, die ihrerseits irgend welchen Anspruch in Bezug auf die in Frage stehende Rechtsveränderung geltend zu machen be- absichtigen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob der Staat, an welchen die amtliche Mitteilung gelangt, diese einfach zur Kenntnis nimmt (prendre acte) oder ob er den Empfang der Mit- teilung bescheinigt (accuser reception). Dagegen kann dem Still- schweigen diese Bedeutung dann nicht beigelegt werden, wenn die Veränderung nicht als eine vollzogene oder demnächst zu voll- ziehende, sondern als eine erst in der Zukunft bevorstehende mit- geteilt wird. So hat das Stillschweigen der Mächte gegenüber der Mitteilung, daſs Frankreich sich von Belgien das „Vorkaufs- recht“ an dem Kongostaat habe zusichern lassen (oben § 10 I 4) nicht die Bedeutung eines Verzichtes der Signatarmächte der Kongo- konferenz auf das ihnen gegen diesen Erwerb zustehende Wider- spruchsrecht. 3. Die völkerrechtliche Willenserklärung ist an eine bestimmte Form nicht gebunden, doch ist Schriftlichkeit der Erklärung die fast allgemeine Regel. Die von den Staaten beobachteten Grundsätze über die in Ver- trägen sowie insbesondere auf Kongressen und Konferenzen ge- brauchte Sprache gehören nicht dem Völkerrecht an, sondern der internationalen Courtoisie (vgl. Artikel 120 der Wiener Schluſsakte über den Gebrauch der französischen Sprache). 4. Die Willenserklärung kann eine unbedingte oder eine be- dingte sein. Dabei sind die der allgemeinen Rechtslehre angehörenden Begriffe der aufschiebenden wie der auflösenden Bedingung, sowie der von der Bedingung zu unterscheidenden Auflage, sinngemäſs zur Anwendung zu bringen (oben § 5 III S. 26). Nichteintritt der aufschiebenden oder Eintritt der auflösenden Bedingung hat die

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/133>, abgerufen am 20.04.2024.