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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 19. Die völkerrechtl. Rechtsverhältnisse im allgemeinen.
tum erwirbt, um auf diesem etwa ein Gebäude zu wissenschaft-
lichen Zwecken zu errichten, oder wenn das Deutsche Reich in
England ein Kohlenbergwerk von der englischen Regierung kauft,
so sind die dadurch erzeugten Rechtsverhältnisse nicht nach Völker-
recht, sondern nach Privatrecht zu beurteilen. Der Staat tritt hier
als Fiskus, d. h. als lediglich vermögensrechtliches Rechtssubjekt
auf, nicht als Subjekt des öffentlichen Rechtes. Dasselbe gilt,
wenn ein Staat etwa dem andern ein Gelddarlehn gewährt, oder
die Bürgschaft für ein von einem andern Staat aufgenommenes
Darlehn übernimmt. Dass in all diesen Fällen der verpflichtete
Staat nur vor seinen eigenen Gerichten Recht zu geben hat (oben
§ 7 II 3), kann an der Wesenheit der in Frage stehenden Rechts-
verhältnisse nichts ändern. Verletzung der vom Staat als Fiskus über-
nommenen Verpflichtungen ist mithin niemals völkerrechtliches Delikt.

Daraus ergiebt sich aber auch abermals (oben § 8 II 3),
dass der Begriff der sogenannten völkerrechtlichen Servituten
unhaltbar ist. Denn wenn es sich wirklich nur um die Einräu-
mung eines dinglichen Rechtes an fremder Sache handelt, so liegt
ein völkerrechtliches Rechtsverhältnis überhaupt nicht vor. Hat
aber ein Staat dem andern die Ausübung von Hoheitsrechten auf
seinem Gebiet gestattet oder sich in der Ausübung seiner Staats-
gewalt vertragsmässig beschränkt, so ist von einem dinglichen Recht
an fremder Sache nicht mehr die Rede. Entweder Einschränkung
des dominiums: dann entfällt die Anwendung des Völkerrechts;
oder aber Einschränkung des imperiums: dann entfällt der Begriff
der Servitut.

Von diesem Standpunkt aus kann auch die Beurteilung der-
jenigen Staatenverträge keine Schwierigkeiten bieten, welche die
über Hoheitsrechte getroffenen Vereinbarungen hinter dem Schein
eines privatrechtlichen Rechtsgeschäftes verbergen. Der gewollte
Inhalt des Geschäftes, nicht die zu seiner Verdeckung gewählte
Einkleidung ist massgebend. Das Rechtsgeschäft, durch welches
Schweden im Jahre 1877 die Insel St. Barthelemy gegen Zahlung
einer Summe Geldes an Frankreich abgetreten hat, ist kein "Kauf"

§ 19. Die völkerrechtl. Rechtsverhältnisse im allgemeinen.
tum erwirbt, um auf diesem etwa ein Gebäude zu wissenschaft-
lichen Zwecken zu errichten, oder wenn das Deutsche Reich in
England ein Kohlenbergwerk von der englischen Regierung kauft,
so sind die dadurch erzeugten Rechtsverhältnisse nicht nach Völker-
recht, sondern nach Privatrecht zu beurteilen. Der Staat tritt hier
als Fiskus, d. h. als lediglich vermögensrechtliches Rechtssubjekt
auf, nicht als Subjekt des öffentlichen Rechtes. Dasselbe gilt,
wenn ein Staat etwa dem andern ein Gelddarlehn gewährt, oder
die Bürgschaft für ein von einem andern Staat aufgenommenes
Darlehn übernimmt. Daſs in all diesen Fällen der verpflichtete
Staat nur vor seinen eigenen Gerichten Recht zu geben hat (oben
§ 7 II 3), kann an der Wesenheit der in Frage stehenden Rechts-
verhältnisse nichts ändern. Verletzung der vom Staat als Fiskus über-
nommenen Verpflichtungen ist mithin niemals völkerrechtliches Delikt.

Daraus ergiebt sich aber auch abermals (oben § 8 II 3),
daſs der Begriff der sogenannten völkerrechtlichen Servituten
unhaltbar ist. Denn wenn es sich wirklich nur um die Einräu-
mung eines dinglichen Rechtes an fremder Sache handelt, so liegt
ein völkerrechtliches Rechtsverhältnis überhaupt nicht vor. Hat
aber ein Staat dem andern die Ausübung von Hoheitsrechten auf
seinem Gebiet gestattet oder sich in der Ausübung seiner Staats-
gewalt vertragsmäſsig beschränkt, so ist von einem dinglichen Recht
an fremder Sache nicht mehr die Rede. Entweder Einschränkung
des dominiums: dann entfällt die Anwendung des Völkerrechts;
oder aber Einschränkung des imperiums: dann entfällt der Begriff
der Servitut.

Von diesem Standpunkt aus kann auch die Beurteilung der-
jenigen Staatenverträge keine Schwierigkeiten bieten, welche die
über Hoheitsrechte getroffenen Vereinbarungen hinter dem Schein
eines privatrechtlichen Rechtsgeschäftes verbergen. Der gewollte
Inhalt des Geschäftes, nicht die zu seiner Verdeckung gewählte
Einkleidung ist maſsgebend. Das Rechtsgeschäft, durch welches
Schweden im Jahre 1877 die Insel St. Barthélemy gegen Zahlung
einer Summe Geldes an Frankreich abgetreten hat, ist kein „Kauf“

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[105/0127] § 19. Die völkerrechtl. Rechtsverhältnisse im allgemeinen. tum erwirbt, um auf diesem etwa ein Gebäude zu wissenschaft- lichen Zwecken zu errichten, oder wenn das Deutsche Reich in England ein Kohlenbergwerk von der englischen Regierung kauft, so sind die dadurch erzeugten Rechtsverhältnisse nicht nach Völker- recht, sondern nach Privatrecht zu beurteilen. Der Staat tritt hier als Fiskus, d. h. als lediglich vermögensrechtliches Rechtssubjekt auf, nicht als Subjekt des öffentlichen Rechtes. Dasselbe gilt, wenn ein Staat etwa dem andern ein Gelddarlehn gewährt, oder die Bürgschaft für ein von einem andern Staat aufgenommenes Darlehn übernimmt. Daſs in all diesen Fällen der verpflichtete Staat nur vor seinen eigenen Gerichten Recht zu geben hat (oben § 7 II 3), kann an der Wesenheit der in Frage stehenden Rechts- verhältnisse nichts ändern. Verletzung der vom Staat als Fiskus über- nommenen Verpflichtungen ist mithin niemals völkerrechtliches Delikt. Daraus ergiebt sich aber auch abermals (oben § 8 II 3), daſs der Begriff der sogenannten völkerrechtlichen Servituten unhaltbar ist. Denn wenn es sich wirklich nur um die Einräu- mung eines dinglichen Rechtes an fremder Sache handelt, so liegt ein völkerrechtliches Rechtsverhältnis überhaupt nicht vor. Hat aber ein Staat dem andern die Ausübung von Hoheitsrechten auf seinem Gebiet gestattet oder sich in der Ausübung seiner Staats- gewalt vertragsmäſsig beschränkt, so ist von einem dinglichen Recht an fremder Sache nicht mehr die Rede. Entweder Einschränkung des dominiums: dann entfällt die Anwendung des Völkerrechts; oder aber Einschränkung des imperiums: dann entfällt der Begriff der Servitut. Von diesem Standpunkt aus kann auch die Beurteilung der- jenigen Staatenverträge keine Schwierigkeiten bieten, welche die über Hoheitsrechte getroffenen Vereinbarungen hinter dem Schein eines privatrechtlichen Rechtsgeschäftes verbergen. Der gewollte Inhalt des Geschäftes, nicht die zu seiner Verdeckung gewählte Einkleidung ist maſsgebend. Das Rechtsgeschäft, durch welches Schweden im Jahre 1877 die Insel St. Barthélemy gegen Zahlung einer Summe Geldes an Frankreich abgetreten hat, ist kein „Kauf“

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/127>, abgerufen am 24.04.2024.