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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Strafrechtstheorien. §. 6.
Strafe die Vernichtung des Verbrechens durch die begriff-
liche Macht des Rechts. Das Recht ist ihm das verwirk-
lichte Reich der Vernunft, die äußere Existenz des vernünftigen
Wesens des Willens. Das Verbrechen, als die Negation
des Rechts, ist demnach in sich nichtig, denn der rechtswidrige
Wille ist im Widerspruche mit sich selbst. Die Strafe aber
ist die Offenbarung dieser Nichtigkeit des Verbrechens, die
Konstatirung seiner Scheinexistenz; die Strafe ist Negation
der Negation des Rechts (als Negation des Verbrechens),
mithin die Position, die Wiederherstellung des Rechts.
Hegel's Theorie ist von bestimmendem Einflusse gewesen auf
Manche der bedeutendsten Kriminalisten, insbesondere auf
Köstlin, Luden, Hälschner und Berner; aber auch in
v. Bar's Reprobationstheorie (Grundlagen des Strafrechts
1869), Heinze's Leistungstheorie, Kitz's Rescissionstheorie
(1874) lassen sich die Einwirkungen Hegel'scher Grundge-
danken nachweisen.

4. Die Strafe als göttliches Gebot. Nach Stahl
(Philosophie des Rechts) und Anderen ist der Staat dazu von
Gott gesetzt, um die äußere ethische Ordnung auf Erden zu
handhaben. Kraft dieser Vollmacht übt er die Strafgerech-
tigkeit, stellt er dem Verbrechen gegenüber die Herrlichkeit
des Staates, auf dem der Abglanz der Gottheit ruht, wieder
her durch die Niederwerfung desjenigen, der sich gegen die
ethische Ordnung empörte.

5. Scheinbar im diametralen Gegensatze zu den bis-
herigen Theorien und doch im innersten Kerne mit ihnen
nahe verwandt ist die Ansicht derjenigen, welche die Strafe
als Naturnotwendigkeit, als eine, kraft eines Natur-
gesetzes eintretende, notwendige Folge des Verbrechens be-
trachten. Der geistvollste Vertreter dieser Theorie ist Düh-

Die Strafrechtstheorien. §. 6.
Strafe die Vernichtung des Verbrechens durch die begriff-
liche Macht des Rechts. Das Recht iſt ihm das verwirk-
lichte Reich der Vernunft, die äußere Exiſtenz des vernünftigen
Weſens des Willens. Das Verbrechen, als die Negation
des Rechts, iſt demnach in ſich nichtig, denn der rechtswidrige
Wille iſt im Widerſpruche mit ſich ſelbſt. Die Strafe aber
iſt die Offenbarung dieſer Nichtigkeit des Verbrechens, die
Konſtatirung ſeiner Scheinexiſtenz; die Strafe iſt Negation
der Negation des Rechts (als Negation des Verbrechens),
mithin die Poſition, die Wiederherſtellung des Rechts.
Hegel’s Theorie iſt von beſtimmendem Einfluſſe geweſen auf
Manche der bedeutendſten Kriminaliſten, insbeſondere auf
Köſtlin, Luden, Hälſchner und Berner; aber auch in
v. Bar’s Reprobationstheorie (Grundlagen des Strafrechts
1869), Heinze’s Leiſtungstheorie, Kitz’s Resciſſionstheorie
(1874) laſſen ſich die Einwirkungen Hegel’ſcher Grundge-
danken nachweiſen.

4. Die Strafe als göttliches Gebot. Nach Stahl
(Philoſophie des Rechts) und Anderen iſt der Staat dazu von
Gott geſetzt, um die äußere ethiſche Ordnung auf Erden zu
handhaben. Kraft dieſer Vollmacht übt er die Strafgerech-
tigkeit, ſtellt er dem Verbrechen gegenüber die Herrlichkeit
des Staates, auf dem der Abglanz der Gottheit ruht, wieder
her durch die Niederwerfung desjenigen, der ſich gegen die
ethiſche Ordnung empörte.

5. Scheinbar im diametralen Gegenſatze zu den bis-
herigen Theorien und doch im innerſten Kerne mit ihnen
nahe verwandt iſt die Anſicht derjenigen, welche die Strafe
als Naturnotwendigkeit, als eine, kraft eines Natur-
geſetzes eintretende, notwendige Folge des Verbrechens be-
trachten. Der geiſtvollſte Vertreter dieſer Theorie iſt Düh-

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[21/0047] Die Strafrechtstheorien. §. 6. Strafe die Vernichtung des Verbrechens durch die begriff- liche Macht des Rechts. Das Recht iſt ihm das verwirk- lichte Reich der Vernunft, die äußere Exiſtenz des vernünftigen Weſens des Willens. Das Verbrechen, als die Negation des Rechts, iſt demnach in ſich nichtig, denn der rechtswidrige Wille iſt im Widerſpruche mit ſich ſelbſt. Die Strafe aber iſt die Offenbarung dieſer Nichtigkeit des Verbrechens, die Konſtatirung ſeiner Scheinexiſtenz; die Strafe iſt Negation der Negation des Rechts (als Negation des Verbrechens), mithin die Poſition, die Wiederherſtellung des Rechts. Hegel’s Theorie iſt von beſtimmendem Einfluſſe geweſen auf Manche der bedeutendſten Kriminaliſten, insbeſondere auf Köſtlin, Luden, Hälſchner und Berner; aber auch in v. Bar’s Reprobationstheorie (Grundlagen des Strafrechts 1869), Heinze’s Leiſtungstheorie, Kitz’s Resciſſionstheorie (1874) laſſen ſich die Einwirkungen Hegel’ſcher Grundge- danken nachweiſen. 4. Die Strafe als göttliches Gebot. Nach Stahl (Philoſophie des Rechts) und Anderen iſt der Staat dazu von Gott geſetzt, um die äußere ethiſche Ordnung auf Erden zu handhaben. Kraft dieſer Vollmacht übt er die Strafgerech- tigkeit, ſtellt er dem Verbrechen gegenüber die Herrlichkeit des Staates, auf dem der Abglanz der Gottheit ruht, wieder her durch die Niederwerfung desjenigen, der ſich gegen die ethiſche Ordnung empörte. 5. Scheinbar im diametralen Gegenſatze zu den bis- herigen Theorien und doch im innerſten Kerne mit ihnen nahe verwandt iſt die Anſicht derjenigen, welche die Strafe als Naturnotwendigkeit, als eine, kraft eines Natur- geſetzes eintretende, notwendige Folge des Verbrechens be- trachten. Der geiſtvollſte Vertreter dieſer Theorie iſt Düh-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/47>, abgerufen am 23.04.2024.