Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
verletzung. Der Schutz den sie gewährt, ist theuer erkauft.3
Der Staat schneidet in sein eigenes Fleisch, um seine Rechts-
güter zu wahren. Die Strafe ist, war und wird sein ein
Uebel nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für die
Gemeinschaft. Nur dann also und nur soweit wird diese
eigentümliche Art des Rechtsgüterschutzes gerechtfertigt, d. h.
dem Interesse der Gemeinschaft entsprechend sein, wenn sie
und soweit sie unbedingt notwendig ist zum
Schutze
der bedrohten Rechtsgüter. Sie ist das äußerste Mittel,
die ultima ratio des Staates. Daher die von jeher, wenn
auch nicht immer bewußt, hervortretende Tendenz der Gesetz-
gebung, das Gebiet des mit Strafe belegten Unrechts auf
das möglich kleinste Maß einzuengen.

2. Die Grenzen dieses Gebietes aber werden bestimmt
durch die Gefährlichkeit der einzelnen Delikte. Wolge-
merkt: durch ihre Gefährlichkeit in abstrakto nicht in konkreto.
Verbrechen ist "die von Seiten der Gesetzgebung
konstatirte Gefährdung der Lebensbedingungen der
Gesellschaft
" (Ihering, Zweck im Recht). Der Gesetz-
geber verbietet jedes Delikt, aber nur das gefährliche ver-
bietet er bei Strafe.

Die Gefährlichkeit kann liegen:

a) In der Unersetzlichkeit des angegriffenen Rechts-
gutes (das Leben, die Geschlechtsehre des Weibes).

b) In dem Werte des Rechtsgutes für die betr. Rechts-
gemeinschaft; richtiger, in der (häufig sehr subjektiven) Wert-
schätzung durch die rechtsetzenden Faktoren. Man denke
an die verschiedene Ausbildung des Strafrechts im theokra-
tischen und im Kriegerstaate, in der despotischen Monarchie

3 Wahlberg krimin. u. nationalökon. Gesichtspunkte. 1872.

Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
verletzung. Der Schutz den ſie gewährt, iſt theuer erkauft.3
Der Staat ſchneidet in ſein eigenes Fleiſch, um ſeine Rechts-
güter zu wahren. Die Strafe iſt, war und wird ſein ein
Uebel nicht nur für den Betroffenen, ſondern auch für die
Gemeinſchaft. Nur dann alſo und nur ſoweit wird dieſe
eigentümliche Art des Rechtsgüterſchutzes gerechtfertigt, d. h.
dem Intereſſe der Gemeinſchaft entſprechend ſein, wenn ſie
und ſoweit ſie unbedingt notwendig iſt zum
Schutze
der bedrohten Rechtsgüter. Sie iſt das äußerſte Mittel,
die ultima ratio des Staates. Daher die von jeher, wenn
auch nicht immer bewußt, hervortretende Tendenz der Geſetz-
gebung, das Gebiet des mit Strafe belegten Unrechts auf
das möglich kleinſte Maß einzuengen.

2. Die Grenzen dieſes Gebietes aber werden beſtimmt
durch die Gefährlichkeit der einzelnen Delikte. Wolge-
merkt: durch ihre Gefährlichkeit in abſtrakto nicht in konkreto.
Verbrechen iſt „die von Seiten der Geſetzgebung
konſtatirte Gefährdung der Lebensbedingungen der
Geſellſchaft
“ (Ihering, Zweck im Recht). Der Geſetz-
geber verbietet jedes Delikt, aber nur das gefährliche ver-
bietet er bei Strafe.

Die Gefährlichkeit kann liegen:

a) In der Unerſetzlichkeit des angegriffenen Rechts-
gutes (das Leben, die Geſchlechtsehre des Weibes).

b) In dem Werte des Rechtsgutes für die betr. Rechts-
gemeinſchaft; richtiger, in der (häufig ſehr ſubjektiven) Wert-
ſchätzung durch die rechtſetzenden Faktoren. Man denke
an die verſchiedene Ausbildung des Strafrechts im theokra-
tiſchen und im Kriegerſtaate, in der despotiſchen Monarchie

3 Wahlberg krimin. u. nationalökon. Geſichtspunkte. 1872.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0038" n="12"/><fw place="top" type="header">Einleitung. <hi rendition="#aq">I.</hi> Die Grundbegriffe.</fw><lb/><hi rendition="#g">verletzung</hi>. Der Schutz den &#x017F;ie gewährt, i&#x017F;t theuer erkauft.<note place="foot" n="3"><hi rendition="#g">Wahlberg</hi> krimin. u. nationalökon. Ge&#x017F;ichtspunkte. 1872.</note><lb/>
Der Staat &#x017F;chneidet in &#x017F;ein eigenes Flei&#x017F;ch, um &#x017F;eine Rechts-<lb/>
güter zu wahren. Die Strafe i&#x017F;t, war und wird &#x017F;ein ein<lb/><hi rendition="#g">Uebel</hi> nicht nur für den Betroffenen, &#x017F;ondern auch für die<lb/>
Gemein&#x017F;chaft. Nur dann al&#x017F;o und nur &#x017F;oweit wird die&#x017F;e<lb/>
eigentümliche Art des Rechtsgüter&#x017F;chutzes gerechtfertigt, d. h.<lb/>
dem Intere&#x017F;&#x017F;e der Gemein&#x017F;chaft ent&#x017F;prechend &#x017F;ein, <hi rendition="#g">wenn &#x017F;ie<lb/>
und &#x017F;oweit &#x017F;ie unbedingt notwendig i&#x017F;t zum</hi> Schutze<lb/>
der bedrohten Rechtsgüter. Sie i&#x017F;t das <hi rendition="#g">äußer&#x017F;te</hi> Mittel,<lb/>
die <hi rendition="#aq">ultima ratio</hi> des Staates. Daher die von jeher, wenn<lb/>
auch nicht immer bewußt, hervortretende Tendenz der Ge&#x017F;etz-<lb/>
gebung, das Gebiet des mit Strafe belegten Unrechts auf<lb/>
das möglich klein&#x017F;te Maß einzuengen.</p><lb/>
            <p>2. Die Grenzen die&#x017F;es Gebietes aber werden be&#x017F;timmt<lb/>
durch die <hi rendition="#g">Gefährlichkeit</hi> der einzelnen Delikte. Wolge-<lb/>
merkt: durch ihre Gefährlichkeit in ab&#x017F;trakto nicht in konkreto.<lb/>
Verbrechen i&#x017F;t &#x201E;<hi rendition="#g">die von Seiten der Ge&#x017F;etzgebung<lb/>
kon&#x017F;tatirte Gefährdung der Lebensbedingungen der<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi>&#x201C; (<hi rendition="#g">Ihering</hi>, Zweck im Recht). Der Ge&#x017F;etz-<lb/>
geber verbietet jedes Delikt, aber nur das gefährliche ver-<lb/>
bietet er bei Strafe.</p><lb/>
            <p>Die Gefährlichkeit kann liegen:</p><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">a</hi>) In der <hi rendition="#g">Uner&#x017F;etzlichkeit</hi> des angegriffenen Rechts-<lb/>
gutes (das Leben, die Ge&#x017F;chlechtsehre des Weibes).</p><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">b</hi>) In dem <hi rendition="#g">Werte</hi> des Rechtsgutes für die betr. Rechts-<lb/>
gemein&#x017F;chaft; richtiger, in der (häufig &#x017F;ehr &#x017F;ubjektiven) Wert-<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;chätzung</hi> durch die recht&#x017F;etzenden Faktoren. Man denke<lb/>
an die ver&#x017F;chiedene Ausbildung des Strafrechts im theokra-<lb/>
ti&#x017F;chen und im Krieger&#x017F;taate, in der despoti&#x017F;chen Monarchie<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0038] Einleitung. I. Die Grundbegriffe. verletzung. Der Schutz den ſie gewährt, iſt theuer erkauft. 3 Der Staat ſchneidet in ſein eigenes Fleiſch, um ſeine Rechts- güter zu wahren. Die Strafe iſt, war und wird ſein ein Uebel nicht nur für den Betroffenen, ſondern auch für die Gemeinſchaft. Nur dann alſo und nur ſoweit wird dieſe eigentümliche Art des Rechtsgüterſchutzes gerechtfertigt, d. h. dem Intereſſe der Gemeinſchaft entſprechend ſein, wenn ſie und ſoweit ſie unbedingt notwendig iſt zum Schutze der bedrohten Rechtsgüter. Sie iſt das äußerſte Mittel, die ultima ratio des Staates. Daher die von jeher, wenn auch nicht immer bewußt, hervortretende Tendenz der Geſetz- gebung, das Gebiet des mit Strafe belegten Unrechts auf das möglich kleinſte Maß einzuengen. 2. Die Grenzen dieſes Gebietes aber werden beſtimmt durch die Gefährlichkeit der einzelnen Delikte. Wolge- merkt: durch ihre Gefährlichkeit in abſtrakto nicht in konkreto. Verbrechen iſt „die von Seiten der Geſetzgebung konſtatirte Gefährdung der Lebensbedingungen der Geſellſchaft“ (Ihering, Zweck im Recht). Der Geſetz- geber verbietet jedes Delikt, aber nur das gefährliche ver- bietet er bei Strafe. Die Gefährlichkeit kann liegen: a) In der Unerſetzlichkeit des angegriffenen Rechts- gutes (das Leben, die Geſchlechtsehre des Weibes). b) In dem Werte des Rechtsgutes für die betr. Rechts- gemeinſchaft; richtiger, in der (häufig ſehr ſubjektiven) Wert- ſchätzung durch die rechtſetzenden Faktoren. Man denke an die verſchiedene Ausbildung des Strafrechts im theokra- tiſchen und im Kriegerſtaate, in der despotiſchen Monarchie 3 Wahlberg krimin. u. nationalökon. Geſichtspunkte. 1872.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/38
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/38>, abgerufen am 16.04.2024.