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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.
unter welchen sie geschah, hervorgeht. Dieser letzte Zusatz
sagt nur, daß mit dem Ueberschreiten der Grenzen der Be-
rechtigung die Rechtswidrigkeit beginnt.10 Falsch ist es, die
Absicht zu betonen und diese als etwas vom Vorsatze ver-
schiedenes aufzufassen.11

2. Mit dem Beweise der Wahrheit entfällt ohne
Weiteres die Annahme der in den §§. 186, 187, 189 (oben
II 2--5) enthaltenen Delikte, welche begrifflich Unwahrheit
oder wenigstens Nicht-Beweisbarkeit der behaupteten
oder verbreiteten Thatsachen erfordern. Aber auch im Falle
des §. 185 (oben II 1) schließt die Wahrheit der Thatsachen
(soweit solche überhaupt in Frage stehen) die Rechtswidrigkeit
aus; es sei denn, daß die durch das Recht die Wahrheit zu
sagen gezogenen Grenzen überschritten wurden, und der
Thäter dem Vorbringen der Thatsachen etwas Weiteres, eine
Beleidigung enthaltendes, hinzugefügt hat. Dies und nichts
Anderes sagt §. 192 mit den Worten: "Der Wahrheits-
beweis schließt die Bestrafung nach §. 185 nicht aus, wenn
das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Be-
hauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter
welchen sie geschah, hervorgeht."

Ist die Thatsache eine strafbare Handlung, so ist (§. 190
StGB.) der Wahrheitsbeweis:

a) als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte
wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt;
10 [Spaltenumbruch] Bei dieser Auffassung des
§. 193 kann es keinem Zweifel
unterliegen, daß derselbe auch
auf die Fälle der Verleumdung
prinzipiell anzuwenden ist.
Freilich wird Berechtigung
zur Verleumdung nur ganz aus-[Spaltenumbruch] nahmsweise (z. B. im Notstande)
vorliegen.
11 [Spaltenumbruch] Bedenklich RGR. 5. De-
zember 1879, R I 116; 16. März
1880, E I 317, R I 475;
30. April 1880, E I 406.

Erſtes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.
unter welchen ſie geſchah, hervorgeht. Dieſer letzte Zuſatz
ſagt nur, daß mit dem Ueberſchreiten der Grenzen der Be-
rechtigung die Rechtswidrigkeit beginnt.10 Falſch iſt es, die
Abſicht zu betonen und dieſe als etwas vom Vorſatze ver-
ſchiedenes aufzufaſſen.11

2. Mit dem Beweiſe der Wahrheit entfällt ohne
Weiteres die Annahme der in den §§. 186, 187, 189 (oben
II 2—5) enthaltenen Delikte, welche begrifflich Unwahrheit
oder wenigſtens Nicht-Beweisbarkeit der behaupteten
oder verbreiteten Thatſachen erfordern. Aber auch im Falle
des §. 185 (oben II 1) ſchließt die Wahrheit der Thatſachen
(ſoweit ſolche überhaupt in Frage ſtehen) die Rechtswidrigkeit
aus; es ſei denn, daß die durch das Recht die Wahrheit zu
ſagen gezogenen Grenzen überſchritten wurden, und der
Thäter dem Vorbringen der Thatſachen etwas Weiteres, eine
Beleidigung enthaltendes, hinzugefügt hat. Dies und nichts
Anderes ſagt §. 192 mit den Worten: „Der Wahrheits-
beweis ſchließt die Beſtrafung nach §. 185 nicht aus, wenn
das Vorhandenſein einer Beleidigung aus der Form der Be-
hauptung oder Verbreitung oder aus den Umſtänden, unter
welchen ſie geſchah, hervorgeht.“

Iſt die Thatſache eine ſtrafbare Handlung, ſo iſt (§. 190
StGB.) der Wahrheitsbeweis:

a) als erbracht anzuſehen, wenn der Beleidigte
wegen dieſer Handlung rechtskräftig verurteilt;
10 [Spaltenumbruch] Bei dieſer Auffaſſung des
§. 193 kann es keinem Zweifel
unterliegen, daß derſelbe auch
auf die Fälle der Verleumdung
prinzipiell anzuwenden iſt.
Freilich wird Berechtigung
zur Verleumdung nur ganz aus-[Spaltenumbruch] nahmsweiſe (z. B. im Notſtande)
vorliegen.
11 [Spaltenumbruch] Bedenklich RGR. 5. De-
zember 1879, R I 116; 16. März
1880, E I 317, R I 475;
30. April 1880, E I 406.
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[326/0352] Erſtes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter. unter welchen ſie geſchah, hervorgeht. Dieſer letzte Zuſatz ſagt nur, daß mit dem Ueberſchreiten der Grenzen der Be- rechtigung die Rechtswidrigkeit beginnt. 10 Falſch iſt es, die Abſicht zu betonen und dieſe als etwas vom Vorſatze ver- ſchiedenes aufzufaſſen. 11 2. Mit dem Beweiſe der Wahrheit entfällt ohne Weiteres die Annahme der in den §§. 186, 187, 189 (oben II 2—5) enthaltenen Delikte, welche begrifflich Unwahrheit oder wenigſtens Nicht-Beweisbarkeit der behaupteten oder verbreiteten Thatſachen erfordern. Aber auch im Falle des §. 185 (oben II 1) ſchließt die Wahrheit der Thatſachen (ſoweit ſolche überhaupt in Frage ſtehen) die Rechtswidrigkeit aus; es ſei denn, daß die durch das Recht die Wahrheit zu ſagen gezogenen Grenzen überſchritten wurden, und der Thäter dem Vorbringen der Thatſachen etwas Weiteres, eine Beleidigung enthaltendes, hinzugefügt hat. Dies und nichts Anderes ſagt §. 192 mit den Worten: „Der Wahrheits- beweis ſchließt die Beſtrafung nach §. 185 nicht aus, wenn das Vorhandenſein einer Beleidigung aus der Form der Be- hauptung oder Verbreitung oder aus den Umſtänden, unter welchen ſie geſchah, hervorgeht.“ Iſt die Thatſache eine ſtrafbare Handlung, ſo iſt (§. 190 StGB.) der Wahrheitsbeweis: a) als erbracht anzuſehen, wenn der Beleidigte wegen dieſer Handlung rechtskräftig verurteilt; 10 Bei dieſer Auffaſſung des §. 193 kann es keinem Zweifel unterliegen, daß derſelbe auch auf die Fälle der Verleumdung prinzipiell anzuwenden iſt. Freilich wird Berechtigung zur Verleumdung nur ganz aus- nahmsweiſe (z. B. im Notſtande) vorliegen. 11 Bedenklich RGR. 5. De- zember 1879, R I 116; 16. März 1880, E I 317, R I 475; 30. April 1880, E I 406.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/352>, abgerufen am 20.04.2024.