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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.
b) wenn mittels einer Thätlichkeit, d. h. mittels eines
unmittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden
gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriffes be-
gangen, Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis
bis zu 2 Jahren. Der verschiedene Vorsatz scheidet die
Realinjurie und die Körperverletzung; ist -- was wohl
in der Regel der Fall sein dürfte -- das Bewußtsein
vorhanden, daß die Handlung nach beiden Richtungen
hin kausal sein werde, so giebt nach dem oben §. 40
III Gesagten der höhere Strafsatz den Ausschlag.

2. Die Gefährdung der Ehre durch üble Nachrede
(StGB. §. 186), d. i. das Behaupten oder Verbreiten von
nicht erweislich wahren Thatsachen ("Thatsache" vgl. oben §. 73
S. 290) in Beziehung auf einen Anderen, welche denselben ver-
ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herab-
zuwürdigen geeignet sind. Die üble Nachrede ist nicht Ver-
letzung, sondern Gefährdung der Ehre; nicht Ausdruck der
Nichtachtung, sondern Mitteilung des Materiales, das An-
dere
zur Nichtachtung veranlassen kann. Sie kann daher
nicht gegenüber dem Betroffenen,5 sondern nur in Bezug
auf ihn gegenüber dritten Personen, begangen werden; und ist
vollendet mit der Behauptung oder Verbreitung der That-
sachen. Daher ist ferner -- im Gegensatze zu dem oben unter 1
Gesagten -- nicht die Anschauung derjenigen Kreise, für
welche die Aeußerung zunächst berechnet ist, sondern die des ob-
jektiv urteilenden Publikums maßgebend.6 Der Vorsatz muß
auch das Bewußtsein, die Thatsachen seien nicht erweislich
wahr
umfassen. Hält der Behauptende die Thatsachen für

5 [Spaltenumbruch] RGR. 24. Oktober 1879,
R I 14.
6 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 23. Januar[Spaltenumbruch] 1880, E I 161 (zunächst mit
Bezug auf §. 131 StGB. ge-
fällt).
Erſtes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.
b) wenn mittels einer Thätlichkeit, d. h. mittels eines
unmittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden
gerichteten, wenn auch fehlgeſchlagenen Angriffes be-
gangen, Geldſtrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis
bis zu 2 Jahren. Der verſchiedene Vorſatz ſcheidet die
Realinjurie und die Körperverletzung; iſt — was wohl
in der Regel der Fall ſein dürfte — das Bewußtſein
vorhanden, daß die Handlung nach beiden Richtungen
hin kauſal ſein werde, ſo giebt nach dem oben §. 40
III Geſagten der höhere Strafſatz den Ausſchlag.

2. Die Gefährdung der Ehre durch üble Nachrede
(StGB. §. 186), d. i. das Behaupten oder Verbreiten von
nicht erweislich wahren Thatſachen („Thatſache“ vgl. oben §. 73
S. 290) in Beziehung auf einen Anderen, welche denſelben ver-
ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herab-
zuwürdigen geeignet ſind. Die üble Nachrede iſt nicht Ver-
letzung, ſondern Gefährdung der Ehre; nicht Ausdruck der
Nichtachtung, ſondern Mitteilung des Materiales, das An-
dere
zur Nichtachtung veranlaſſen kann. Sie kann daher
nicht gegenüber dem Betroffenen,5 ſondern nur in Bezug
auf ihn gegenüber dritten Perſonen, begangen werden; und iſt
vollendet mit der Behauptung oder Verbreitung der That-
ſachen. Daher iſt ferner — im Gegenſatze zu dem oben unter 1
Geſagten — nicht die Anſchauung derjenigen Kreiſe, für
welche die Aeußerung zunächſt berechnet iſt, ſondern die des ob-
jektiv urteilenden Publikums maßgebend.6 Der Vorſatz muß
auch das Bewußtſein, die Thatſachen ſeien nicht erweislich
wahr
umfaſſen. Hält der Behauptende die Thatſachen für

5 [Spaltenumbruch] RGR. 24. Oktober 1879,
R I 14.
6 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 23. Januar[Spaltenumbruch] 1880, E I 161 (zunächſt mit
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[322/0348] Erſtes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter. b) wenn mittels einer Thätlichkeit, d. h. mittels eines unmittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden gerichteten, wenn auch fehlgeſchlagenen Angriffes be- gangen, Geldſtrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren. Der verſchiedene Vorſatz ſcheidet die Realinjurie und die Körperverletzung; iſt — was wohl in der Regel der Fall ſein dürfte — das Bewußtſein vorhanden, daß die Handlung nach beiden Richtungen hin kauſal ſein werde, ſo giebt nach dem oben §. 40 III Geſagten der höhere Strafſatz den Ausſchlag. 2. Die Gefährdung der Ehre durch üble Nachrede (StGB. §. 186), d. i. das Behaupten oder Verbreiten von nicht erweislich wahren Thatſachen („Thatſache“ vgl. oben §. 73 S. 290) in Beziehung auf einen Anderen, welche denſelben ver- ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herab- zuwürdigen geeignet ſind. Die üble Nachrede iſt nicht Ver- letzung, ſondern Gefährdung der Ehre; nicht Ausdruck der Nichtachtung, ſondern Mitteilung des Materiales, das An- dere zur Nichtachtung veranlaſſen kann. Sie kann daher nicht gegenüber dem Betroffenen, 5 ſondern nur in Bezug auf ihn gegenüber dritten Perſonen, begangen werden; und iſt vollendet mit der Behauptung oder Verbreitung der That- ſachen. Daher iſt ferner — im Gegenſatze zu dem oben unter 1 Geſagten — nicht die Anſchauung derjenigen Kreiſe, für welche die Aeußerung zunächſt berechnet iſt, ſondern die des ob- jektiv urteilenden Publikums maßgebend. 6 Der Vorſatz muß auch das Bewußtſein, die Thatſachen ſeien nicht erweislich wahr umfaſſen. Hält der Behauptende die Thatſachen für 5 RGR. 24. Oktober 1879, R I 14. 6 Vgl. RGR. 23. Januar 1880, E I 161 (zunächſt mit Bezug auf §. 131 StGB. ge- fällt).

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/348>, abgerufen am 28.03.2024.