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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
kehrs, begangen, nach den verschiedensten Richtungen hin
störend in die Rechtsgüterwelt eingreifen. So sind durch
das Verbot von Brandstiftung und Ueberschwemmung, also
durch je eine Norm, Leben und Eigentum geschützt.

III. Umfang der imperativen Kraft der
Normen
.

1. Normwidrig ist jeder der Norm widersprechende Zu-
stand, ohne Rücksicht auf die Ursachen, die ihn herbeigeführt
haben: das schuldhafte Unrecht wie das schuldlose Nicht-
Recht
(vgl. unten §. 17 III), und innerhalb des ersteren
die vorsätzliche wie die fahrlässige Uebertretung der
Norm. Es gibt keine besonderen Fahrlässigkeits-
Normen
(vgl. unten §. 29). Und zwar gilt dieser Satz
gleichmäßig für alle Normen-Gruppen. Dabei sei schon hier
betont (vgl. unten §. 4 I), daß mit der Normwidrigkeit die
Strafbarkeit verbunden sein kann, nicht muß.

2. Normwidrig ist aber nicht nur die Herbeiführung
(bez. Hinderung) des Zustandes selbst, dessen Herbeiführung
die Norm verbietet (bez. gebietet), sondern jede Veränderung
der Außenwelt, welche die Gefahr des Uebertretenwerdens
der Norm in sich schließt. Der Begriff der Gefahr, in
jüngster Zeit lebhaft angegriffen (von Hertz) ist für das
Strafrecht unentbehrlich; er ist aber auch, sobald wir seine
Entstehung im Auge behalten, ein durchaus wissenschaftlicher
juristisch faßbarer Begriff. Wir nennen -- immer im Hin-
blicke auf einen bestimmten Erfolg -- Gefährdung1 jenen

1 [Spaltenumbruch] Feste Terminologie ist un-
erläßlich. Ich nehme Gefähr-
dung als größere Gefahr. Ge-
fahr würde vorliegen, wenn auch
nur in einem kleinen Perzent-[Spaltenumbruch] satze von Fällen, Gefährdung
dann, wenn sagen wir in über
50 % der Fälle der Erfolg ein-
zutreten pflegte.

Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
kehrs, begangen, nach den verſchiedenſten Richtungen hin
ſtörend in die Rechtsgüterwelt eingreifen. So ſind durch
das Verbot von Brandſtiftung und Ueberſchwemmung, alſo
durch je eine Norm, Leben und Eigentum geſchützt.

III. Umfang der imperativen Kraft der
Normen
.

1. Normwidrig iſt jeder der Norm widerſprechende Zu-
ſtand, ohne Rückſicht auf die Urſachen, die ihn herbeigeführt
haben: das ſchuldhafte Unrecht wie das ſchuldloſe Nicht-
Recht
(vgl. unten §. 17 III), und innerhalb des erſteren
die vorſätzliche wie die fahrläſſige Uebertretung der
Norm. Es gibt keine beſonderen Fahrläſſigkeits-
Normen
(vgl. unten §. 29). Und zwar gilt dieſer Satz
gleichmäßig für alle Normen-Gruppen. Dabei ſei ſchon hier
betont (vgl. unten §. 4 I), daß mit der Normwidrigkeit die
Strafbarkeit verbunden ſein kann, nicht muß.

2. Normwidrig iſt aber nicht nur die Herbeiführung
(bez. Hinderung) des Zuſtandes ſelbſt, deſſen Herbeiführung
die Norm verbietet (bez. gebietet), ſondern jede Veränderung
der Außenwelt, welche die Gefahr des Uebertretenwerdens
der Norm in ſich ſchließt. Der Begriff der Gefahr, in
jüngſter Zeit lebhaft angegriffen (von Hertz) iſt für das
Strafrecht unentbehrlich; er iſt aber auch, ſobald wir ſeine
Entſtehung im Auge behalten, ein durchaus wiſſenſchaftlicher
juriſtiſch faßbarer Begriff. Wir nennen — immer im Hin-
blicke auf einen beſtimmten Erfolg — Gefährdung1 jenen

1 [Spaltenumbruch] Feſte Terminologie iſt un-
erläßlich. Ich nehme Gefähr-
dung als größere Gefahr. Ge-
fahr würde vorliegen, wenn auch
nur in einem kleinen Perzent-[Spaltenumbruch] ſatze von Fällen, Gefährdung
dann, wenn ſagen wir in über
50 % der Fälle der Erfolg ein-
zutreten pflegte.
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[8/0034] Einleitung. I. Die Grundbegriffe. kehrs, begangen, nach den verſchiedenſten Richtungen hin ſtörend in die Rechtsgüterwelt eingreifen. So ſind durch das Verbot von Brandſtiftung und Ueberſchwemmung, alſo durch je eine Norm, Leben und Eigentum geſchützt. III. Umfang der imperativen Kraft der Normen. 1. Normwidrig iſt jeder der Norm widerſprechende Zu- ſtand, ohne Rückſicht auf die Urſachen, die ihn herbeigeführt haben: das ſchuldhafte Unrecht wie das ſchuldloſe Nicht- Recht (vgl. unten §. 17 III), und innerhalb des erſteren die vorſätzliche wie die fahrläſſige Uebertretung der Norm. Es gibt keine beſonderen Fahrläſſigkeits- Normen (vgl. unten §. 29). Und zwar gilt dieſer Satz gleichmäßig für alle Normen-Gruppen. Dabei ſei ſchon hier betont (vgl. unten §. 4 I), daß mit der Normwidrigkeit die Strafbarkeit verbunden ſein kann, nicht muß. 2. Normwidrig iſt aber nicht nur die Herbeiführung (bez. Hinderung) des Zuſtandes ſelbſt, deſſen Herbeiführung die Norm verbietet (bez. gebietet), ſondern jede Veränderung der Außenwelt, welche die Gefahr des Uebertretenwerdens der Norm in ſich ſchließt. Der Begriff der Gefahr, in jüngſter Zeit lebhaft angegriffen (von Hertz) iſt für das Strafrecht unentbehrlich; er iſt aber auch, ſobald wir ſeine Entſtehung im Auge behalten, ein durchaus wiſſenſchaftlicher juriſtiſch faßbarer Begriff. Wir nennen — immer im Hin- blicke auf einen beſtimmten Erfolg — Gefährdung 1 jenen 1 Feſte Terminologie iſt un- erläßlich. Ich nehme Gefähr- dung als größere Gefahr. Ge- fahr würde vorliegen, wenn auch nur in einem kleinen Perzent- ſatze von Fällen, Gefährdung dann, wenn ſagen wir in über 50 % der Fälle der Erfolg ein- zutreten pflegte.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/34>, abgerufen am 28.03.2024.