Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Norm. § 3.
Binding nennt diese Normen treffend Ungehorsamsver-
bote
. Wenn wir die unter 1 besprochenen allgemeinen
Normen als erste allgemeine Umwallung des Rechtsgutes,
als Hauptwall uns vorstellen wollen, so können wir die
Normen der zweiten Gruppe mit Ravelins vergleichen, die
über den Hauptwall an einzelnen Stellen vorspringen.

3. Der Gesetzgeber gebietet endlich einzelne bestimmte
Handlungen, weil ihre Unterlassung regelmäßig, wenn
auch nicht immer, eine Verletzung oder Gefährdung des Rechts-
gutes in sich birgt: Gehorsamsgebote nach Binding.
Bei unserem Bilde bleibend, könnten wir vielleicht von de-
tachirten Forts sprechen. Der letzte Abschnitt des StGB.'s,
die strafrechtlichen Nebengesetze des Reichs, sowie die Polizei-
strafgesetzgebung der Länder bieten zahlreiche Beispiele. Man
denke an das Gebot des Raupens, des Reinigens der Schorn-
steine, den Impfzwang, die Verpflichtung zur Desinfektion
bei Eisenbahnviehtransporten usw. Es sei ausdrücklich be-
tont, daß auch diese Gebote negative Bedeutung haben,
nicht zur Förderung, sondern zum Schutze der Rechtsgüter
da sind.

4. Es geschieht aber auch häufig, daß der Gesetzgeber
mehrere Rechtsgüter durch eine und dieselbe Norm
schützt. Aus dem bisher Gesagten geht zur Genüge hervor,
daß dies nur durch Normen geschehen kann, die den unter
2 und 3 besprochenen Gruppen angehören. Besondere Beach-
tung verdienen hier diejenigen Normen, durch welche der
Gesetzgeber sich gegen gewisse Arten des Angriffes wendet,
ohne der Richtung des Angriffes auf ein bestimmtes Rechts-
gut begriffliche Bedeutung beizulegen. So sind Münzfäl-
schung oder Urkundenfälschung verboten, weil sie an Münzen
und Urkunden, diesen wichtigen Trägern des rechtlichen Ver-

Die Norm. § 3.
Binding nennt dieſe Normen treffend Ungehorſamsver-
bote
. Wenn wir die unter 1 beſprochenen allgemeinen
Normen als erſte allgemeine Umwallung des Rechtsgutes,
als Hauptwall uns vorſtellen wollen, ſo können wir die
Normen der zweiten Gruppe mit Ravelins vergleichen, die
über den Hauptwall an einzelnen Stellen vorſpringen.

3. Der Geſetzgeber gebietet endlich einzelne beſtimmte
Handlungen, weil ihre Unterlaſſung regelmäßig, wenn
auch nicht immer, eine Verletzung oder Gefährdung des Rechts-
gutes in ſich birgt: Gehorſamsgebote nach Binding.
Bei unſerem Bilde bleibend, könnten wir vielleicht von de-
tachirten Forts ſprechen. Der letzte Abſchnitt des StGB.’s,
die ſtrafrechtlichen Nebengeſetze des Reichs, ſowie die Polizei-
ſtrafgeſetzgebung der Länder bieten zahlreiche Beiſpiele. Man
denke an das Gebot des Raupens, des Reinigens der Schorn-
ſteine, den Impfzwang, die Verpflichtung zur Desinfektion
bei Eiſenbahnviehtransporten uſw. Es ſei ausdrücklich be-
tont, daß auch dieſe Gebote negative Bedeutung haben,
nicht zur Förderung, ſondern zum Schutze der Rechtsgüter
da ſind.

4. Es geſchieht aber auch häufig, daß der Geſetzgeber
mehrere Rechtsgüter durch eine und dieſelbe Norm
ſchützt. Aus dem bisher Geſagten geht zur Genüge hervor,
daß dies nur durch Normen geſchehen kann, die den unter
2 und 3 beſprochenen Gruppen angehören. Beſondere Beach-
tung verdienen hier diejenigen Normen, durch welche der
Geſetzgeber ſich gegen gewiſſe Arten des Angriffes wendet,
ohne der Richtung des Angriffes auf ein beſtimmtes Rechts-
gut begriffliche Bedeutung beizulegen. So ſind Münzfäl-
ſchung oder Urkundenfälſchung verboten, weil ſie an Münzen
und Urkunden, dieſen wichtigen Trägern des rechtlichen Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0033" n="7"/><fw place="top" type="header">Die Norm. § 3.</fw><lb/>
Binding nennt die&#x017F;e Normen treffend <hi rendition="#g">Ungehor&#x017F;amsver-<lb/>
bote</hi>. Wenn wir die unter 1 be&#x017F;prochenen allgemeinen<lb/>
Normen als er&#x017F;te allgemeine Umwallung des Rechtsgutes,<lb/>
als <hi rendition="#g">Hauptwall</hi> uns vor&#x017F;tellen wollen, &#x017F;o können wir die<lb/>
Normen der zweiten Gruppe mit <hi rendition="#g">Ravelins</hi> vergleichen, die<lb/>
über den Hauptwall an einzelnen Stellen vor&#x017F;pringen.</p><lb/>
            <p>3. Der Ge&#x017F;etzgeber <hi rendition="#g">gebietet</hi> endlich einzelne <hi rendition="#g">be&#x017F;timmte</hi><lb/>
Handlungen, weil ihre Unterla&#x017F;&#x017F;ung <hi rendition="#g">regelmäßig</hi>, wenn<lb/>
auch nicht immer, eine Verletzung oder Gefährdung des Rechts-<lb/>
gutes in &#x017F;ich birgt: <hi rendition="#g">Gehor&#x017F;amsgebote</hi> nach Binding.<lb/>
Bei un&#x017F;erem Bilde bleibend, könnten wir vielleicht von de-<lb/>
tachirten Forts &#x017F;prechen. Der letzte Ab&#x017F;chnitt des StGB.&#x2019;s,<lb/>
die &#x017F;trafrechtlichen Nebenge&#x017F;etze des Reichs, &#x017F;owie die Polizei-<lb/>
&#x017F;trafge&#x017F;etzgebung der Länder bieten zahlreiche Bei&#x017F;piele. Man<lb/>
denke an das Gebot des Raupens, des Reinigens der Schorn-<lb/>
&#x017F;teine, den Impfzwang, die Verpflichtung zur Desinfektion<lb/>
bei Ei&#x017F;enbahnviehtransporten u&#x017F;w. Es &#x017F;ei ausdrücklich be-<lb/>
tont, daß auch die&#x017F;e <hi rendition="#g">Gebote</hi> negative Bedeutung haben,<lb/>
nicht zur Förderung, &#x017F;ondern zum <hi rendition="#g">Schutze</hi> der Rechtsgüter<lb/>
da &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>4. Es ge&#x017F;chieht aber auch häufig, daß der Ge&#x017F;etzgeber<lb/><hi rendition="#g">mehrere</hi> Rechtsgüter durch <hi rendition="#g">eine und die&#x017F;elbe</hi> Norm<lb/>
&#x017F;chützt. Aus dem bisher Ge&#x017F;agten geht zur Genüge hervor,<lb/>
daß dies nur durch Normen ge&#x017F;chehen kann, die den unter<lb/>
2 und 3 be&#x017F;prochenen Gruppen angehören. Be&#x017F;ondere Beach-<lb/>
tung verdienen hier diejenigen Normen, durch welche der<lb/>
Ge&#x017F;etzgeber &#x017F;ich gegen gewi&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#g">Arten</hi> des Angriffes wendet,<lb/>
ohne der <hi rendition="#g">Richtung</hi> des Angriffes auf ein be&#x017F;timmtes Rechts-<lb/>
gut begriffliche Bedeutung beizulegen. So &#x017F;ind Münzfäl-<lb/>
&#x017F;chung oder Urkundenfäl&#x017F;chung verboten, weil &#x017F;ie <hi rendition="#g">an</hi> Münzen<lb/>
und Urkunden, die&#x017F;en wichtigen Trägern des rechtlichen Ver-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0033] Die Norm. § 3. Binding nennt dieſe Normen treffend Ungehorſamsver- bote. Wenn wir die unter 1 beſprochenen allgemeinen Normen als erſte allgemeine Umwallung des Rechtsgutes, als Hauptwall uns vorſtellen wollen, ſo können wir die Normen der zweiten Gruppe mit Ravelins vergleichen, die über den Hauptwall an einzelnen Stellen vorſpringen. 3. Der Geſetzgeber gebietet endlich einzelne beſtimmte Handlungen, weil ihre Unterlaſſung regelmäßig, wenn auch nicht immer, eine Verletzung oder Gefährdung des Rechts- gutes in ſich birgt: Gehorſamsgebote nach Binding. Bei unſerem Bilde bleibend, könnten wir vielleicht von de- tachirten Forts ſprechen. Der letzte Abſchnitt des StGB.’s, die ſtrafrechtlichen Nebengeſetze des Reichs, ſowie die Polizei- ſtrafgeſetzgebung der Länder bieten zahlreiche Beiſpiele. Man denke an das Gebot des Raupens, des Reinigens der Schorn- ſteine, den Impfzwang, die Verpflichtung zur Desinfektion bei Eiſenbahnviehtransporten uſw. Es ſei ausdrücklich be- tont, daß auch dieſe Gebote negative Bedeutung haben, nicht zur Förderung, ſondern zum Schutze der Rechtsgüter da ſind. 4. Es geſchieht aber auch häufig, daß der Geſetzgeber mehrere Rechtsgüter durch eine und dieſelbe Norm ſchützt. Aus dem bisher Geſagten geht zur Genüge hervor, daß dies nur durch Normen geſchehen kann, die den unter 2 und 3 beſprochenen Gruppen angehören. Beſondere Beach- tung verdienen hier diejenigen Normen, durch welche der Geſetzgeber ſich gegen gewiſſe Arten des Angriffes wendet, ohne der Richtung des Angriffes auf ein beſtimmtes Rechts- gut begriffliche Bedeutung beizulegen. So ſind Münzfäl- ſchung oder Urkundenfälſchung verboten, weil ſie an Münzen und Urkunden, dieſen wichtigen Trägern des rechtlichen Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/33
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/33>, abgerufen am 19.04.2024.