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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Strafmittel im allgemeinen. §. 43.
ständige Erreichung sämmtlicher Strafzwecke ausreichend ist,
wir mithin eine Zahl von Strafmitteln mit einander kombi-
nieren müssen, um zum Ziele zu gelangen, entsteht die wei-
tere an das Strafmittelsystem zu stellende Anforderung,
daß die verschiedenen Strafmittel untereinander in einem
klaren, einfachen, Abschätzung und stufenweisen Uebergang
zulassenden Verhältnisse zu einander stehen. Man kann
diese Eigenschaft als die Kommensurabilität der Strafmittel
bezeichnen.

II. 1. Aus dem eben Gesagten folgt die unbestreitbare
Berechtigung der Freiheitsstrafe, weitaus die erste Stelle
im Strafensysteme der Neuzeit einzunehmen. Sie ist schmieg-
sam, wie kein anderes Strafmittel; sie kann von stunden-
langem Stubenarrest bis zu lebenslanger Kettenstrafe steigen;
sie gestattet dem unbefangenen Strafvollzug, die sämmtlichen
denkbaren Strafzwecke mit größtmöglicher Sicherheit anzu-
streben; sie läßt Verbindung mit den anderen Strafmitteln
und nicht-unvermittelte Abgrenzung von denselben (den meisten
von ihnen wenigstens) zu. Freilich verlangt die Freiheits-
strafe, um ihre segensreiche Wirkung entfalten zu können,
klarere Einsicht in Wesen und Zweck der Strafe, als sie
heute in den tonangebenden Kreisen vorhanden zu sein pflegt.
Aber wenn die Freiheitsstrafe in den alten Strafanstalten
plan- und ziellos gebraucht, in den neuen im Dienste einer
durchaus einseitigen "Besserungs"-Theorie mißbraucht wird,
so wird doch durch diesen Umstand die Ansicht derjenigen
nicht gerechtfertigt, welche in unseren Tagen (Mittelstädt)
mit gleicher Einseitigkeit die zufälligen Fehler des Straf-
vollzuges als wesentliche Fehler des Strafmittels aufgefaßt,
und die Stellung der Freiheitsstrafe in dem modernen Straf-
mittelsysteme angefochten haben.

Die Strafmittel im allgemeinen. §. 43.
ſtändige Erreichung ſämmtlicher Strafzwecke ausreichend iſt,
wir mithin eine Zahl von Strafmitteln mit einander kombi-
nieren müſſen, um zum Ziele zu gelangen, entſteht die wei-
tere an das Strafmittelſyſtem zu ſtellende Anforderung,
daß die verſchiedenen Strafmittel untereinander in einem
klaren, einfachen, Abſchätzung und ſtufenweiſen Uebergang
zulaſſenden Verhältniſſe zu einander ſtehen. Man kann
dieſe Eigenſchaft als die Kommenſurabilität der Strafmittel
bezeichnen.

II. 1. Aus dem eben Geſagten folgt die unbeſtreitbare
Berechtigung der Freiheitsſtrafe, weitaus die erſte Stelle
im Strafenſyſteme der Neuzeit einzunehmen. Sie iſt ſchmieg-
ſam, wie kein anderes Strafmittel; ſie kann von ſtunden-
langem Stubenarreſt bis zu lebenslanger Kettenſtrafe ſteigen;
ſie geſtattet dem unbefangenen Strafvollzug, die ſämmtlichen
denkbaren Strafzwecke mit größtmöglicher Sicherheit anzu-
ſtreben; ſie läßt Verbindung mit den anderen Strafmitteln
und nicht-unvermittelte Abgrenzung von denſelben (den meiſten
von ihnen wenigſtens) zu. Freilich verlangt die Freiheits-
ſtrafe, um ihre ſegensreiche Wirkung entfalten zu können,
klarere Einſicht in Weſen und Zweck der Strafe, als ſie
heute in den tonangebenden Kreiſen vorhanden zu ſein pflegt.
Aber wenn die Freiheitsſtrafe in den alten Strafanſtalten
plan- und ziellos gebraucht, in den neuen im Dienſte einer
durchaus einſeitigen „Beſſerungs“-Theorie mißbraucht wird,
ſo wird doch durch dieſen Umſtand die Anſicht derjenigen
nicht gerechtfertigt, welche in unſeren Tagen (Mittelſtädt)
mit gleicher Einſeitigkeit die zufälligen Fehler des Straf-
vollzuges als weſentliche Fehler des Strafmittels aufgefaßt,
und die Stellung der Freiheitsſtrafe in dem modernen Straf-
mittelſyſteme angefochten haben.

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[179/0205] Die Strafmittel im allgemeinen. §. 43. ſtändige Erreichung ſämmtlicher Strafzwecke ausreichend iſt, wir mithin eine Zahl von Strafmitteln mit einander kombi- nieren müſſen, um zum Ziele zu gelangen, entſteht die wei- tere an das Strafmittelſyſtem zu ſtellende Anforderung, daß die verſchiedenen Strafmittel untereinander in einem klaren, einfachen, Abſchätzung und ſtufenweiſen Uebergang zulaſſenden Verhältniſſe zu einander ſtehen. Man kann dieſe Eigenſchaft als die Kommenſurabilität der Strafmittel bezeichnen. II. 1. Aus dem eben Geſagten folgt die unbeſtreitbare Berechtigung der Freiheitsſtrafe, weitaus die erſte Stelle im Strafenſyſteme der Neuzeit einzunehmen. Sie iſt ſchmieg- ſam, wie kein anderes Strafmittel; ſie kann von ſtunden- langem Stubenarreſt bis zu lebenslanger Kettenſtrafe ſteigen; ſie geſtattet dem unbefangenen Strafvollzug, die ſämmtlichen denkbaren Strafzwecke mit größtmöglicher Sicherheit anzu- ſtreben; ſie läßt Verbindung mit den anderen Strafmitteln und nicht-unvermittelte Abgrenzung von denſelben (den meiſten von ihnen wenigſtens) zu. Freilich verlangt die Freiheits- ſtrafe, um ihre ſegensreiche Wirkung entfalten zu können, klarere Einſicht in Weſen und Zweck der Strafe, als ſie heute in den tonangebenden Kreiſen vorhanden zu ſein pflegt. Aber wenn die Freiheitsſtrafe in den alten Strafanſtalten plan- und ziellos gebraucht, in den neuen im Dienſte einer durchaus einſeitigen „Beſſerungs“-Theorie mißbraucht wird, ſo wird doch durch dieſen Umſtand die Anſicht derjenigen nicht gerechtfertigt, welche in unſeren Tagen (Mittelſtädt) mit gleicher Einſeitigkeit die zufälligen Fehler des Straf- vollzuges als weſentliche Fehler des Strafmittels aufgefaßt, und die Stellung der Freiheitsſtrafe in dem modernen Straf- mittelſyſteme angefochten haben.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/205>, abgerufen am 20.04.2024.