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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Der Begriff der Strafe. §. 42.
hängt werden. So wie die Bestrafung in Haus und Schule,
in Kirche und Vereinigung nicht Strafe im technischen Sinne
ist (vgl. oben §. 1), so ist auch die Bestrafung, die zwar vom
Staate, aber nicht kraft der ihm zukommenden öffentlichen
Zwangsgewalt ausgeht, keine eigentliche Strafe. Dies ist
der Grund, warum die staatliche Disziplinarstrafe, die
der Staat im Interesse des internen Dienstes verhängt, nicht
Strafe im engeren Sinne ist.8 Konsequenzen: Ihre Ver-
hängung ist, weil nicht Strafsache, nicht Sache der ordent-
lichen Strafgerichte; dieselbe Normübertretung kann Diszi-
plinarstrafe und überdies eigentliche Strafe nach sich ziehen
(anerkannt u. A. in §. 95 der Seemannsordnung vom 27. De-
zember 1872) usw.

V. Nachteile, die auf die Nichtbeachtung eines nicht
imperativen
Rechtssatzes gesetzt sind, sind nicht Strafe.
So die sogenannten Prozeßstrafen aller Art; die pro-
zessualen Vorschriften heischen nicht unbedingten Gehorsam,
wie die staatlichen Imperative, sie stellen vielmehr die Wahl
zwischen zwei Alternativen frei.

VI. Die Strafe ist an die begangene Rechtsverletzung
geknüpft und wenn sie auch durch ihre Zweckbestimmung in
die Zukunft reicht, so hat sie doch nicht einzelne konkrete
Handlungen und Unterlassungen, sondern diese Handlungen
und Unterlassungen in abstracto im Auge. Dadurch
unterscheidet sie sich vom Strafzwange, der auf die Her-
beiführung einer konkreten Handlung oder Unterlassung
durch Rechtsgüterverletzung gerichtet ist. Wichtig ist die
Unterscheidung für das Prozeßrecht: Strafzwang zur Reali-

8 [Spaltenumbruch] Lit. über diese sehr bestrittene
Frage bei Laband Staatsr. I[Spaltenumbruch] S. 448, Binding Grundriß
S. 112, Zorn Staatsr. S. 243.

Der Begriff der Strafe. §. 42.
hängt werden. So wie die Beſtrafung in Haus und Schule,
in Kirche und Vereinigung nicht Strafe im techniſchen Sinne
iſt (vgl. oben §. 1), ſo iſt auch die Beſtrafung, die zwar vom
Staate, aber nicht kraft der ihm zukommenden öffentlichen
Zwangsgewalt ausgeht, keine eigentliche Strafe. Dies iſt
der Grund, warum die ſtaatliche Disziplinarſtrafe, die
der Staat im Intereſſe des internen Dienſtes verhängt, nicht
Strafe im engeren Sinne iſt.8 Konſequenzen: Ihre Ver-
hängung iſt, weil nicht Strafſache, nicht Sache der ordent-
lichen Strafgerichte; dieſelbe Normübertretung kann Diszi-
plinarſtrafe und überdies eigentliche Strafe nach ſich ziehen
(anerkannt u. A. in §. 95 der Seemannsordnung vom 27. De-
zember 1872) uſw.

V. Nachteile, die auf die Nichtbeachtung eines nicht
imperativen
Rechtsſatzes geſetzt ſind, ſind nicht Strafe.
So die ſogenannten Prozeßſtrafen aller Art; die pro-
zeſſualen Vorſchriften heiſchen nicht unbedingten Gehorſam,
wie die ſtaatlichen Imperative, ſie ſtellen vielmehr die Wahl
zwiſchen zwei Alternativen frei.

VI. Die Strafe iſt an die begangene Rechtsverletzung
geknüpft und wenn ſie auch durch ihre Zweckbeſtimmung in
die Zukunft reicht, ſo hat ſie doch nicht einzelne konkrete
Handlungen und Unterlaſſungen, ſondern dieſe Handlungen
und Unterlaſſungen in abstracto im Auge. Dadurch
unterſcheidet ſie ſich vom Strafzwange, der auf die Her-
beiführung einer konkreten Handlung oder Unterlaſſung
durch Rechtsgüterverletzung gerichtet iſt. Wichtig iſt die
Unterſcheidung für das Prozeßrecht: Strafzwang zur Reali-

8 [Spaltenumbruch] Lit. über dieſe ſehr beſtrittene
Frage bei Laband Staatsr. I[Spaltenumbruch] S. 448, Binding Grundriß
S. 112, Zorn Staatsr. S. 243.
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[175/0201] Der Begriff der Strafe. §. 42. hängt werden. So wie die Beſtrafung in Haus und Schule, in Kirche und Vereinigung nicht Strafe im techniſchen Sinne iſt (vgl. oben §. 1), ſo iſt auch die Beſtrafung, die zwar vom Staate, aber nicht kraft der ihm zukommenden öffentlichen Zwangsgewalt ausgeht, keine eigentliche Strafe. Dies iſt der Grund, warum die ſtaatliche Disziplinarſtrafe, die der Staat im Intereſſe des internen Dienſtes verhängt, nicht Strafe im engeren Sinne iſt. 8 Konſequenzen: Ihre Ver- hängung iſt, weil nicht Strafſache, nicht Sache der ordent- lichen Strafgerichte; dieſelbe Normübertretung kann Diszi- plinarſtrafe und überdies eigentliche Strafe nach ſich ziehen (anerkannt u. A. in §. 95 der Seemannsordnung vom 27. De- zember 1872) uſw. V. Nachteile, die auf die Nichtbeachtung eines nicht imperativen Rechtsſatzes geſetzt ſind, ſind nicht Strafe. So die ſogenannten Prozeßſtrafen aller Art; die pro- zeſſualen Vorſchriften heiſchen nicht unbedingten Gehorſam, wie die ſtaatlichen Imperative, ſie ſtellen vielmehr die Wahl zwiſchen zwei Alternativen frei. VI. Die Strafe iſt an die begangene Rechtsverletzung geknüpft und wenn ſie auch durch ihre Zweckbeſtimmung in die Zukunft reicht, ſo hat ſie doch nicht einzelne konkrete Handlungen und Unterlaſſungen, ſondern dieſe Handlungen und Unterlaſſungen in abstracto im Auge. Dadurch unterſcheidet ſie ſich vom Strafzwange, der auf die Her- beiführung einer konkreten Handlung oder Unterlaſſung durch Rechtsgüterverletzung gerichtet iſt. Wichtig iſt die Unterſcheidung für das Prozeßrecht: Strafzwang zur Reali- 8 Lit. über dieſe ſehr beſtrittene Frage bei Laband Staatsr. I S. 448, Binding Grundriß S. 112, Zorn Staatsr. S. 243.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/201>, abgerufen am 25.04.2024.