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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Bedingungen d. Strafbarkeit im Allgemeinen. §. 30.

II. Fehlt eine der Bedingungen der Strafbarkeit, so kann
wohl ein Delikt, nie aber ein Verbrechen vorliegen. Der
nicht aus dem Delikte sondern aus dem Verbrechen dem
Staate gegen den Verbrecher erwachsende Strafanspruch
entsteht nicht
, wenn und so lange die Bedingungen seines
Entstehens nicht gegeben sind. So lange der Antrag nicht
gestellt, ist das sogenannte Antragsdelikt nicht Verbrechen.
Eben darum kann auch vor Eintritt der Bedingung (z. B.
der rechtskräftigen Scheidung der Ehe im Falle des §. 172
StGB.) weder die Verfolgung eingeleitet, noch auch nur der
Antrag auf Einleitung derselben mit rechtlicher Wirkung
gestellt werden. RGR. 3. Januar 1880, E I 44, R I 180;
23. März 1880, R I 505, E II 62. Ebenso ist -- um bei
dem Beispiele zu bleiben -- Begünstigung des Ehebruches
nur strafbar, wenn die Scheidung der Ehe erfolgt; der Vor-
wurf eines Ehebruchs nur unter der gleichen Bedingung
falsche Anschuldigung im Sinne des §. 164 StGB. usw.
Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre Wirkung
zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der deliktischen
Handlung; die nachträglich eingetretene Bedingung wirkt nicht
ex nunc sondern ex tunc, der Anspruch gilt als entstanden
in dem Augenblicke der begangenen Handlung. Tritt die
Bedingung dagegen nicht ein, so liegt ein Verbrechen über-
haupt nicht vor. An einer solchen normwidrigen, aber nicht
strafbaren Handlung ist strafbare Teilnahme nicht möglich
(vgl. unten §. 35 II 3); und ebenso sind alle objektiven
Maßregeln, die eine "strafbare Handlung" zur Voraus-
setzung haben, ausgeschlossen.1

1 Vgl. Liszt Reichspreßrecht §. 55.
Die Bedingungen d. Strafbarkeit im Allgemeinen. §. 30.

II. Fehlt eine der Bedingungen der Strafbarkeit, ſo kann
wohl ein Delikt, nie aber ein Verbrechen vorliegen. Der
nicht aus dem Delikte ſondern aus dem Verbrechen dem
Staate gegen den Verbrecher erwachſende Strafanſpruch
entſteht nicht
, wenn und ſo lange die Bedingungen ſeines
Entſtehens nicht gegeben ſind. So lange der Antrag nicht
geſtellt, iſt das ſogenannte Antragsdelikt nicht Verbrechen.
Eben darum kann auch vor Eintritt der Bedingung (z. B.
der rechtskräftigen Scheidung der Ehe im Falle des §. 172
StGB.) weder die Verfolgung eingeleitet, noch auch nur der
Antrag auf Einleitung derſelben mit rechtlicher Wirkung
geſtellt werden. RGR. 3. Januar 1880, E I 44, R I 180;
23. März 1880, R I 505, E II 62. Ebenſo iſt — um bei
dem Beiſpiele zu bleiben — Begünſtigung des Ehebruches
nur ſtrafbar, wenn die Scheidung der Ehe erfolgt; der Vor-
wurf eines Ehebruchs nur unter der gleichen Bedingung
falſche Anſchuldigung im Sinne des §. 164 StGB. uſw.
Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre Wirkung
zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der deliktiſchen
Handlung; die nachträglich eingetretene Bedingung wirkt nicht
ex nunc ſondern ex tunc, der Anſpruch gilt als entſtanden
in dem Augenblicke der begangenen Handlung. Tritt die
Bedingung dagegen nicht ein, ſo liegt ein Verbrechen über-
haupt nicht vor. An einer ſolchen normwidrigen, aber nicht
ſtrafbaren Handlung iſt ſtrafbare Teilnahme nicht möglich
(vgl. unten §. 35 II 3); und ebenſo ſind alle objektiven
Maßregeln, die eine „ſtrafbare Handlung“ zur Voraus-
ſetzung haben, ausgeſchloſſen.1

1 Vgl. Liszt Reichspreßrecht §. 55.
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[123/0149] Die Bedingungen d. Strafbarkeit im Allgemeinen. §. 30. II. Fehlt eine der Bedingungen der Strafbarkeit, ſo kann wohl ein Delikt, nie aber ein Verbrechen vorliegen. Der nicht aus dem Delikte ſondern aus dem Verbrechen dem Staate gegen den Verbrecher erwachſende Strafanſpruch entſteht nicht, wenn und ſo lange die Bedingungen ſeines Entſtehens nicht gegeben ſind. So lange der Antrag nicht geſtellt, iſt das ſogenannte Antragsdelikt nicht Verbrechen. Eben darum kann auch vor Eintritt der Bedingung (z. B. der rechtskräftigen Scheidung der Ehe im Falle des §. 172 StGB.) weder die Verfolgung eingeleitet, noch auch nur der Antrag auf Einleitung derſelben mit rechtlicher Wirkung geſtellt werden. RGR. 3. Januar 1880, E I 44, R I 180; 23. März 1880, R I 505, E II 62. Ebenſo iſt — um bei dem Beiſpiele zu bleiben — Begünſtigung des Ehebruches nur ſtrafbar, wenn die Scheidung der Ehe erfolgt; der Vor- wurf eines Ehebruchs nur unter der gleichen Bedingung falſche Anſchuldigung im Sinne des §. 164 StGB. uſw. Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre Wirkung zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der deliktiſchen Handlung; die nachträglich eingetretene Bedingung wirkt nicht ex nunc ſondern ex tunc, der Anſpruch gilt als entſtanden in dem Augenblicke der begangenen Handlung. Tritt die Bedingung dagegen nicht ein, ſo liegt ein Verbrechen über- haupt nicht vor. An einer ſolchen normwidrigen, aber nicht ſtrafbaren Handlung iſt ſtrafbare Teilnahme nicht möglich (vgl. unten §. 35 II 3); und ebenſo ſind alle objektiven Maßregeln, die eine „ſtrafbare Handlung“ zur Voraus- ſetzung haben, ausgeſchloſſen. 1 1 Vgl. Liszt Reichspreßrecht §. 55.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/149>, abgerufen am 20.04.2024.