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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. §. 26.
fähigkeit überhaupt, der zur Erkenntnis der Straf-
barkeit der begangenen That erforderlichen Einsicht ins-
besondere
(die letztere muß positiv, eventuell durch die
Geschworenen -- StPO. §. 298 -- festgestellt werden)
in jedem einzelnen Falle.
a) Fehlt die Fähigkeit, so tritt Freisprechung ein
(StGB. §. 56). In dem Urteile kann die Unter-
bringung in eine Erziehungs- oder Besserungs-
anstalt ausgesprochen werden. Bezüglich dritter
Personen gilt das oben unter a gesagte.
b) Wird die Zurechnungsfähigkeit festgestellt, so tritt
in Berücksichtigung der "verminderten" Zurech-
nungsfähigkeit eine Reduktion der den Erwachse-
nen treffenden Strafrahmen ein (StGB. §. 57;
vgl. unten §. 54 II 2).

Einen singulären subjektiven Strafausschließungsgrund
(§. 30 III 3) enthält StGB. §. 173 (Blutschande) für Ver-
wandte und Verschwägerte absteigender Linie unter 18 Jahren.

2. Gehemmte Entwicklung.

Auch hier muß die Zurechnungsfähigkeit überhaupt, die
zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That er-
forderliche Einsicht insbesondere in jedem einzelnen Falle ge-
prüft und letztere positiv festgestellt werden (StGB. §. 58).
Bei konstatierter Zurechnungsfähigkeit tritt jedoch eine Re-
duktion der normalen Strafrahmen nicht ein, obwohl sie
auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre.

Wenn auch das Gesetz nur von Taubstummen aus-
drücklich spricht, so sind doch diese Bestimmungen auf alle
Fälle von Entwicklungshemmung gleichmäßig anzuwenden
(man denke an geringeren Cretinismus, an Angehörige wilder
Völkerstämme, in völliger Abgeschlossenheit aufgewachsene

Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. §. 26.
fähigkeit überhaupt, der zur Erkenntnis der Straf-
barkeit der begangenen That erforderlichen Einſicht ins-
beſondere
(die letztere muß poſitiv, eventuell durch die
Geſchworenen — StPO. §. 298 — feſtgeſtellt werden)
in jedem einzelnen Falle.
α) Fehlt die Fähigkeit, ſo tritt Freiſprechung ein
(StGB. §. 56). In dem Urteile kann die Unter-
bringung in eine Erziehungs- oder Beſſerungs-
anſtalt ausgeſprochen werden. Bezüglich dritter
Perſonen gilt das oben unter a geſagte.
β) Wird die Zurechnungsfähigkeit feſtgeſtellt, ſo tritt
in Berückſichtigung der „verminderten“ Zurech-
nungsfähigkeit eine Reduktion der den Erwachſe-
nen treffenden Strafrahmen ein (StGB. §. 57;
vgl. unten §. 54 II 2).

Einen ſingulären ſubjektiven Strafausſchließungsgrund
(§. 30 III 3) enthält StGB. §. 173 (Blutſchande) für Ver-
wandte und Verſchwägerte abſteigender Linie unter 18 Jahren.

2. Gehemmte Entwicklung.

Auch hier muß die Zurechnungsfähigkeit überhaupt, die
zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That er-
forderliche Einſicht insbeſondere in jedem einzelnen Falle ge-
prüft und letztere poſitiv feſtgeſtellt werden (StGB. §. 58).
Bei konſtatierter Zurechnungsfähigkeit tritt jedoch eine Re-
duktion der normalen Strafrahmen nicht ein, obwohl ſie
auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre.

Wenn auch das Geſetz nur von Taubſtummen aus-
drücklich ſpricht, ſo ſind doch dieſe Beſtimmungen auf alle
Fälle von Entwicklungshemmung gleichmäßig anzuwenden
(man denke an geringeren Cretinismus, an Angehörige wilder
Völkerſtämme, in völliger Abgeſchloſſenheit aufgewachſene

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[103/0129] Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. §. 26. fähigkeit überhaupt, der zur Erkenntnis der Straf- barkeit der begangenen That erforderlichen Einſicht ins- beſondere (die letztere muß poſitiv, eventuell durch die Geſchworenen — StPO. §. 298 — feſtgeſtellt werden) in jedem einzelnen Falle. α) Fehlt die Fähigkeit, ſo tritt Freiſprechung ein (StGB. §. 56). In dem Urteile kann die Unter- bringung in eine Erziehungs- oder Beſſerungs- anſtalt ausgeſprochen werden. Bezüglich dritter Perſonen gilt das oben unter a geſagte. β) Wird die Zurechnungsfähigkeit feſtgeſtellt, ſo tritt in Berückſichtigung der „verminderten“ Zurech- nungsfähigkeit eine Reduktion der den Erwachſe- nen treffenden Strafrahmen ein (StGB. §. 57; vgl. unten §. 54 II 2). Einen ſingulären ſubjektiven Strafausſchließungsgrund (§. 30 III 3) enthält StGB. §. 173 (Blutſchande) für Ver- wandte und Verſchwägerte abſteigender Linie unter 18 Jahren. 2. Gehemmte Entwicklung. Auch hier muß die Zurechnungsfähigkeit überhaupt, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That er- forderliche Einſicht insbeſondere in jedem einzelnen Falle ge- prüft und letztere poſitiv feſtgeſtellt werden (StGB. §. 58). Bei konſtatierter Zurechnungsfähigkeit tritt jedoch eine Re- duktion der normalen Strafrahmen nicht ein, obwohl ſie auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre. Wenn auch das Geſetz nur von Taubſtummen aus- drücklich ſpricht, ſo ſind doch dieſe Beſtimmungen auf alle Fälle von Entwicklungshemmung gleichmäßig anzuwenden (man denke an geringeren Cretinismus, an Angehörige wilder Völkerſtämme, in völliger Abgeſchloſſenheit aufgewachſene

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/129>, abgerufen am 28.03.2024.